Hundejahre einer Vorstadt-Mom
In Marielle Hellers Horrokomödie »Nightbitch« haben die Figuren keine Namen. Es gibt die Mutter (Amy Adams), die sich pausenlos um ihren zweijährigen Sohn kümmert, den Ehemann (Scoot McNairy), der ständig auf Geschäftsreise ist, und es gibt das schick eingerichtete Haus in der US-amerikanischen Kleinstadt, das für die Frau zu einem Gefängnis wird. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Debütroman der Schriftstellerin Rachel Yoder.
Heller, die vor allem für Dramedy (»The Diary of a Teenage Girl«, »Can You Ever Forgive Me?«) bekannt ist, hat das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Heller und Yoder sind selbst Mütter. Yoder hat »Nightbitch« in kurzen Sprints geschrieben, immer dann, wenn ihr Sohn in der Kita war; auch Heller musste Arbeit und Care-Arbeit miteinander vereinbaren; während des Drehbuchschreibens hat sie sich immer wieder um ihre Kinder gekümmert.
Vor der Geburt ihres Jungen hat die Frau mit Enthusiasmus als Künstlerin und Kuratorin gearbeitet, jetzt erledigt sie teilnahmslos den Haushalt. Butter wird in der Pfanne erhitzt, stoisch wird mit dem Löffel im Topf gerührt, reglos in die Ferne gestarrt. Spielplatz, die verhasste Mutter-Kind-Gruppe »Book Babies«, Mahlzeiten am viel zu niedrigen Kindertisch, dann wieder auf den Spielplatz und die Schaukel anstoßen. In einer nicht enden wollenden Schleife reihen sich die Szenen aneinander. Die Mutter ist mit ihren Kräften am Ende, von einem unterstützenden Partner fehlt jede Spur.
»Nightbitch« schildert die Isolation und Belastung von Müttern, verbeißt sich aber in einen abenteuerlichen Muttermythos und beschwört – wenn auch augenzwinkernd – die Einheit von Weiblichkeit und Natur.
Aber dann kommt der Ehemann plötzlich ausgeschlafen und gutgelaunt von der Geschäftsreise nach Hause. Sie schlägt vor, eine Teilzeitarbeit aufzunehmen, doch er weiß ganz genau, dass sich das nicht lohnen wird. Denn wie soll sie in Teilzeit mehr verdienen, als die Babysitterin kosten wird? Und das Kind bei den schrecklichen Tagesmüttern in der furchtbaren Kindertagesstätte zu lassen, sei wirklich herzlos. Er hingegen würde alles, wirklich alles dafür tun, um auch mal einen Tag mit dem Kind allein zu Hause zu entspannen. Er würde dafür töten. Aber wie funktioniert das mit dem Baden nochmal? Und wo ist eigentlich die Sonnencreme?
Die erdrückende und klaustrophobische Kleinfamilie funktioniert eine Weile. Aber abgeschnitten von der Welt wird die Vorstadt-Mom bald von der Angst geplagt, beruflich den Anschluss zu verlieren und nie wieder eine gute Idee zu haben. Sie will auch nicht so sein wie die anderen Mütter, die ihr schmerzhaft vor Augen führen, wie schnell sich die hochfliegende Pläne von einst zerschlagen können. Sie grenzt sich von den anderen Frauen ab, isoliert sich nur noch mehr. Und der Ehemann sieht einfach nicht, welche Arbeit seine Frau den ganzen Tag leistet, die er lapidar als Babysitting bezeichnet.
Ungeheurer Appetit auf rohes Fleisch
Zur Auflösung dieser beklemmenden Konstellation bedient sich »Nightbitch« des Repertoires des Body-Horror-Genres, aber auch des Werwolf-Mythos. Die Protagonistin beginnt, merkwürdige Veränderungen an ihrem Körper wahrzunehmen. Sie spürt, dass ihr ein haariger Stummel am Hintern wächst, sie bekommt spitzere Zähne, verspürt einen ungeheuren Appetit auf rohes Fleisch und eine plötzliche Abneigung gegen die Familienkatze. Als dann auch noch ein sympathisches Rudel Hunde mit etwas Blutigem im Maul vor ihrer Haustür steht, nimmt die Geschichte eine groteske Wendung: In einem spontanen Akt schließt sich die Frau den Streunern an und verschwindet mit ihnen in der Nacht.
Regelmäßig verwandelt sich die Protagonistin von da an in eine Hundsfrau, die nächtens durch die Straßen zieht, die bellt und knurrt und sich mit gefletschten Zähnen aufs Essen stürzt. Aber auch tagsüber fällt sie aus der Rolle und bewegt sich gerne mal auf allen Vieren. Die ehemals so rationale Person hat das Tier in sich entdeckt: die Nightbitch, die dem Film den Titel gibt. Es ist ein Spiel mit dem Wort bitch, das im Englischen Hündin, aber auch Nutte oder Miststück bedeutet. Kaum dass die Frau ihre animalische Seite zugelassen hat, kehrt auch die alte Kreativität zurück. Eine Ausstellung wird im Handumdrehen auf die Beine gestellt – Thema: Mutterschaft. Auch mit dem Kind klappt es plötzlich besser, Schmutz, Lärm und Chaos, die der Kleine verursacht, sind auf einmal kein Problem mehr.
Aus der gestressten Frau ist jetzt eine Vollblutmutter geworden, die sich auf eine verborgene und in ihr schlummernde Kraft zurückbesinnt. Eine Zauberkraft, über die bereits ihre Mutter verfügte, wie es in Rückblenden auf die Kindheit der Protagonistin erzählt wird. Sie ist – wie Yoder – in einer Familie aufgewachsen, die zur patriarchal geprägten Mennonitensekte gehört. Traumartige Bilder zeigen die Mutter der Protagonistin im traditionellen Kleid der Amish People in der Dunkelheit auf allen Vieren. Pünktlich zum Frühstückmachen aber kehrt auch sie zurück.
Der klaustrophobische Mikrokosmos der Kleinfamilie
»Nightbitch« schildert die Isolation und Belastung von Müttern, verbeißt sich aber in einen abenteuerlichen Muttermythos und beschwört – wenn auch augenzwinkernd – die Einheit von Weiblichkeit und Natur. Statt die traditionelle Rollenverteilung in der Kindererziehung in Frage zu stellen, wird die Frau zum Haustier mit glänzendem und frisch gewaschenem Fell abgerichtet. Dabei wirkt nicht einmal das Rudel wild oder rebellisch, brav laufen die Hunde über den Rasen der frisch gemähten Vorgärten. Der klaustrophobische Mikrokosmos der Kleinfamilie wird in »Nightbitch« nicht aufgebrochen, nur die innere Haltung der Hauptfigur ändert sich – und plötzlich ist alles gar nicht mehr schlimm.
Statt die eigene Ohnmacht schmerzhaft anzuerkennen, werden die Ohnmachtsgefühle ausgelagert und durch die mythische Erzählung überschrieben. Das trostlose Leben einer house mom wird so mit Sinn erfüllt, die Transformation zur Nightbitch zum Symbol weiblicher Resilienz erhoben. Die Anrufung dieser Kraft scheint den einfachen Ausweg aus der Verzweiflung zu bieten. Doch liegt nicht gerade in dieser zugespitzten Mythologisierung von Weiblichkeit die Unterdrückung begründet?
Die anfängliche Ambivalenz der Figur, die zwischen der Liebe zum Kind und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung hin- und hergerissen ist, interessiert im Verlauf nicht weiter. Als der trottelige Ehemann sich die Kunstausstellung seiner Liebsten ansieht, versteht sogar er, dass Kinderbetreuung kein Spiel ist. Doch selbst für diese Erkenntnis muss die Ehefrau ihm noch unter die Arme greifen. Die Verantwortung liegt mal wieder allein bei ihr.
»Nightbitch« ist sehr viel weniger bissig als erwartet. Statt aufzubegehren gegen das gesellschaftliche Idealbild wird Mutterschaft mit den hippen Mitteln des Body Horror mystifiziert. Silvia Bovenschen merkte einmal an, dass eine Ideologie, welche Frauen auf archetypische Wesensbestimmungen zurückwirft, aus der Großen Mutter schnell die ausgebeutete Mutterkreuz-Empfängerin macht. Ganz so arg kommt es im Film aber nicht. Immerhin: Nightbitch gebiert am Ende ihr zweites Kind.
»Nightbitch« (USA 2024) kann auf Disney Plus gestreamt werden.