Unterm Schlamm liegt die Kohle
Der »Mönch von Lützerath« hatte Mitteilungsbedarf. »Wie soll man auf eine Polizei- und Justizinstitution reagieren, die 270 Verfahren gegen Menschen eingeleitet hat, die an diesem Tag zum Demonstrieren gekommen waren? Und kein einziges gegen Polizisten, das wirklich zur Verurteilung geführt hat?« fragte Loïc Schneider in seiner Verteidigungsrede am Mittwoch vergangener Woche vor dem voll besetzten Amtsgerichtsaal in Erkelenz.
Er ist angeklagt wegen tätlichen Angriffs auf Polizisten und Körperverletzung. Ausgiebig und Gandhi und Tolstoj zitierend sprach der 29jährige Franzose von der Widerstandspflicht gegen die »Klimakatastrophe« und gegen die Polizeigewalt, die es am 14.Januar 2023 gegeben habe.
Ein Video zeigt, wie mehrere Beamte hilflos im Boden versanken und nicht mehr auf die Beine kamen, während eine vermummte Gestalt in einer Mönchskutte leichtfüßig um sie herumstolzierte.
An jenem Tag demonstrierte Schneider mit Tausenden anderen gegen den Abriss des Dorfes Lützerath im Rheinischen Revier zum Zweck der Kohleförderung. Es hatte geregnet und die Polizisten hatten mit ihrer schweren Ausrüstung einige Probleme, sich im tiefen Schlamm fortzubewegen. Ein Video zeigt, wie mehrere Beamte hilflos im Boden versanken und nicht mehr auf die Beine kamen, während eine vermummte Gestalt in einer Mönchskutte relativ leichtfüßig um sie herumstolzierte – und schließlich einem Beamten einen Schubser gab, so dass der wieder auf dem Boden landete.
Das Video ging viral, der Mönch wurde berühmt. Dass Loïc Schneider in der Kutte steckte, wurde erst gut ein Jahr später öffentlich bekannt. Bild berichtete, die Polizei habe den »mysteriösen Aggro-Mönch enttarnt« und identifizierte ihn als »Loïc S.«, obwohl es nicht einmal eine Anklage gegen ihn gab.
Kurz darauf gab Schneider dem Stern ein Interview und bezeichnete sich selbst als der Mönch von Lützerath. Das nahm die Staatsanwaltschaft offenbar zum Anlass, die Ermittlungen gegen ihn aufzunehmen. Nun steht er vor Gericht. Er soll nicht nur einen Polizeibeamten geschubst, sondern auch einen anderen von hinten gegen das Bein getreten haben. Dieser sei gestürzt und habe Schmerzen an der Schulter und ein Hämatom erlitten, heißt es in der Anklageschrift.
Doch Schneider zeigte sich vor Gericht überzeugt: »Das einzige Opfer in dieser Szene ist der Stolz einer Polizei und eines Staats, die nicht mehr wissen, wie sie reagieren sollen.« Er gab unumwunden zu, der Mönch von Lützerath gewesen zu sein, betonte aber: »Ich bereue mein Verhalten nicht: Mir ging es darum, Menschen zu beschützen, und nicht darum, der Polizei Gewalt anzutun.«
Mara Sauer vom Aktionsbündnis »Lützerath lebt« sagte der Jungle World: »Es geht Schneider darum zu zeigen, wie es systematisch Polizeigewalt gegeben hat gegen Menschen, die für unsere Lebensgrundlagen und gegen die politische Entscheidung der Landesregierung friedlich protestierten.« Der Profit des Energiekonzerns RWE sei der Regierung in Düsseldorf wichtiger als das Wohlergehen der Menschen hier und weltweit.
Grundrechtekomitee: »Systematische brutale Polizeigewalt«
Der Verein Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V., auch bekannt als Grundrechtekomitee, sprach damals in seinem »Bericht über die Demonstrationsbeobachtung rund um die Räumung von Lützerath« von »systematischer brutaler Polizeigewalt«. Es habe »zahlreiche verletzte Demonstrant:innen« gegeben, »davon außerordentlich viele mit Kopfverletzungen«.
Die beiden Polizisten, die Schneider geschubst haben soll, sollen am 5. Februar, vernommen werden. Dann wird wohl auch das Urteil fallen – eine Haftstrafe wäre möglich. Wobei Sauer unter Berufung auf »solidarische Prozessbegleiter« anmerkte: »Einige unser Prozessbegleiter sagten, dass es vielleicht doch einen Freispruch wegen mangelnder Beweise, wer tatsächlich unter der Mönchskutte steckte, gegeben hätte, wenn Schneider sich nicht geständig gezeigt hätte.«
»Ich wollte, dass die Gewalt aufhört«
Schneider sagte bereits vor Prozessbeginn: »Ich nahm an der Demonstration teil und war manchmal mit der christlichen Gruppe ›Kirche im Dorf lassen‹ unterwegs.« Er habe das Geschehen für einen Livestream gefilmt. »Aber schon beim Filmen musste ich dreimal weinen, weil ich so viel Gewalt sah.«
Zu viel für den Obstbauern und Altenpfleger aus Nancy: »Ich ertrug es einfach nicht mehr. Die Polizei prügelte rücksichtslos auf friedliche Menschen ein« – hätte er nur zusehen sollen? Als dann ein weiterer Beamter auf die Menschen zugerannt sei, habe er »instinktiv sein Bein ausgestreckt« und ihn so zu Fall gebracht. »Es war eine Reaktion auf das Geschehen. Ich wollte, dass die Gewalt aufhört.«