Verlorene Stimme
In einem opulent ausgestatteten Salon stehen Hausangestellte und Einsatzkräfte bedrückt um eine Leiche herum, die von einem Möbelstück verdeckt wird. Mit einem Tuch bedeckt wird die Bahre angehoben und aus der palastartigen Wohnung hinausgetragen, auf die Straßen von Paris – Pablo Larraín eröffnet den letzten Teil seiner Diven-Trilogie (nach »Jackie« über Jacqueline Kennedy und »Spencer« über Diana, Princess of Wales) nicht etwa mit der Kindheit der griechischen Sopranistin Maria Callas, sondern mit ihrem Tod am 16. September 1977 im Alter von nur 53 Jahren.
Es ist ein fragwürdiger Einstieg, in dem sich bereits Entscheidendes über das Interesse des chilenischen Regisseurs an der großen Opernsängerin prägnant ausdrückt: »Maria« zeigt Callas als eine gebrochene, verhärtete, dem Wahnsinn nahe Grande Dame, die sich nicht damit abfinden kann, dass der Erfolg schwindet, und darüber in den Tod strauchelt.
Es ist ein Film aus der Perspektive eines Regisseurs, der in seinem Interesse an den großen Diven krampfhaft eine ihm offenbar unzugängliche Sphäre der weiblichen Tragödie zu verstehen versucht und nichts anderes als Verzweiflung und Niedergang entdecken kann – eine Unzulänglichkeit dramatischer Welterfahrung, die Larraín mit aufwendigem Ästhetizismus zu kaschieren sucht.
Die bisweilen zwar etwas zu sehr an Hochglanzmagazine erinnernde Ästhetik hilft dem Film dennoch durch seine dramaturgischen Schwierigkeiten und sorgt dafür, dass er immerhin schön anzusehen ist.
Doch der Reihe nach. Nach dem Einstieg springt der Film eine Woche zurück und erzählt die letzten Tage im Leben der Operndiva, gespielt von Angelina Jolie, die mit ihren beiden Hausangestellten Bruna (Alba Rohrwacher) und Ferruccio (Pierfrancesco Favino) in der besagten luxuriösen Wohnung lebt. Ihnen gegenüber tritt sie herrisch und erniedrigend auf, lässt Ferruccio ohne ersichtlichen Grund trotz seiner Rückenprobleme immer wieder den Flügel von einer Ecke in die andere umstellen, von Bruna verlangt sie unterwürfiges Lob für ihre stark nachlassenden Stimmdarbietungen. Es wird schnell deutlich, dass Maria unter Medikamentenabhängigkeit leidet und ihre besorgten Angestellten diesbezüglich immer wieder hinters Licht führt – die arrangierten Arztbesuche lehnt sie wüst ab.
Maria gibt vor, sich auf ein Fernsehinterview vorzubereiten, das sie an diesem Tag zu geben beabsichtige. Sie schminkt sich ausgiebig vor einem kunstvollen Spiegel, ein üppiges Szenenbild, das auf der großen Leinwand tatsächlich einige Wucht entwickelt – die bisweilen zwar etwas zu sehr an Hochglanzmagazine erinnernde Ästhetik hilft dem Film dennoch durch seine dramaturgischen Schwierigkeiten und sorgt dafür, dass er immerhin schön anzusehen ist.
Gefüllte Opernhäuser und eine so schneidende wie voluminöse Stimme
Immer wieder wird die Erzählung unterbrochen von Rückblenden auf die Zeit des großen Erfolgs, gefüllte Opernhäuser und eine so schneidende wie voluminöse Stimme, die in der Intonation absolute Perfektion erreicht. Sie verleihen dem Film einen collagenartigen Charakter, sorgen aber auch dafür, dass Maria Callas’ Können stets ein Vergangenes, Verlorenes bleibt. Larraíns eigenem Anspruch, seinen Protagonistinnen ihre Stimme wiederzugeben, läuft diese Anordnung konsequent zuwider.
Zumal er sich auf eine Zeit konzentriert, in der Marias Stimme keine gesanglichen Höhen mehr erreicht, sondern mit Härte und Kälte kleine Gemeinheiten von sich gibt oder von den Wirrungen eines medikamentengetrübten Geistes berichtet. Hier scheint jemand weniger darum bemüht, Maria Callas Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, als sich an ihrem tragischen Ende emotional und dramaturgisch zu bereichern, ihrem Andenken das Bild einer verhärmten Geisteskranken aufzudrücken.
So wird nach und nach deutlich, dass das Kamerateam nur in ihrer Phantasie existiert, sie im Rede- und Antwortspiel mit den jungen Musikjournalisten in Wahrheit ihre eigenen Memoiren verfasst – nur für sich selbst, nur in ihrem Kopf, als der vermeintlich im Angesicht des Todes ablaufende Rückblick auf das eigene Leben. Dass Larraín, der seine eigene Rolle als Regisseur des Biopics in der Figur des Fragestellers reflektiert sehen dürfte, sich anmaßt, diese ihre intime Selbsterinnerung auf die Leinwand bringen zu können, ist schon einigermaßen gewagt.
In den Klammern eines bis zur Totenstarre versteiften Drehbuchs
Umso mehr, als auch in den Rückblicken, die die Rahmenhandlung immer wieder durchbrechen und in relativ ungeordneter Weise frühe Erniedrigungen durch deutsche SS-Männer in der griechischen Heimat, den Anfang und Niedergang der Beziehung zu dem Reeder und Milliardär Aristoteles Onassis und ihre künstlerische Karriere streifen, kein Moment der Unbeschwertheit, des Glücks, des gelebten Lebens kenntlich wird. »Maria« bleibt in jeder Sekunde einer ästhetischen und atmosphärischen Vision verpflichtet, die so hermetisch geschlossen ist, dass unter ihr nichts atmen und schon gar nicht Maria Callas ihre Stimme wiederfinden kann.
Daran ändern auch die Dialoge wenig, die zwar hin und wieder eine gewisse Tiefe aufbieten und Maria immerhin einen kunstphilosophischen Zugang zu den Fragen der Oper zugestehen – aber auch sie bleiben bleiern ernst und spürbar in den Klammern eines bis zur Totenstarre versteiften Drehbuchs verfangen. Angelina Jolie kann man für ihre Darstellung daher nur schwerlich einen Vorwurf machen, sie verkörpert eindringlich und präzise jene maskenhafte Projektionsfläche für Larraíns Vorstellungen von Tragödie, Gebrochensein und Niedergang, für die er Maria Callas in Dienst nimmt.
Dass an ihrem Spiel also nichts lebendig werden kann, scheint mehr der erdrückenden Regiearbeit geschuldet denn einem etwaigen Mangel an schauspielerischen Fähigkeiten. Auch fügt sich ihre Erscheinung mit Hilfe von bis zur Makellosigkeit perfektioniertem Kostüm- und Maskenbild in die ästhetische Bildoberfläche, an der »Maria« noch am ehesten so etwas wie Sehgenuss zu bieten vermag.
Rückblicke auf die ungebetenen Besuche der Nazis
Unter dieser Oberfläche, die Maria mal in ihrer Wohnung, mal auf den Straßen und in den Cafés von Paris und in den Rückblicken auch einerseits in der ärmlichen griechischen Heimat und andererseits im Reichtum auf der Jacht Onassis’ zeigt, soll sich wohl so etwas wie einen Blick in die Seele der großen Sängerin vermitteln – doch die technische und ästhetische Perfektion wird dabei von einer Dramaturgie kontrastiert, die so wirr ist, wie Marias Geisteszustand porträtiert wird.
So bleibt ständig unklar, ob Maria, die während ihrer letzten Tage noch einmal Gesangsunterricht zu nehmen beginnt, damit an ihrem Abschied oder einem großen Neuanfang arbeitet, dann wieder reißen Erinnerungen urplötzlich ab, und was genau die Rückblicke auf die ungebetenen Besuche der Nazis in ihrer Jugend erzählen wollen, von denen einer zu allem Überfluss auch noch als von ihrer Stimme gerührter Musikliebhaber gezeigt wird, will sich auch nicht recht erschließen.
Die Lüge, die Larraín über Maria Callas erzählt, findet nach zwei viel zu langen Stunden schließlich ihr wohlverdientes Ende.
All das könnte als eine cineastische Reflexion auf die Selbstbetrachtung eines in Auflösung begriffenen Geistes große Wirkung entfalten, hätte »Maria« sich nicht dermaßen übernommen und in die Enge eines kinematographischen Korsetts gezwängt, das einzig die Selbstgefälligkeit des erfolgsverwöhnten Meisterfilmbiographen unangenehm ausstellt.
Die Lüge, die Larraín über Maria Callas erzählt, findet nach zwei viel zu langen Stunden schließlich ihr wohlverdientes Ende, wenn während der Credits Archivaufnahmen aus dem tatsächlich gelebten Leben der Sängerin gezeigt werden und man eine schöne Frau mit Strohhut sieht, die an einem sonnigen Nachmittag in einem Boot sitzt und – endlich – gelöst lächelt.
Maria (USA/IT/D 2024). Buch: Steven Knight. Regie: Pablo Larraín. Darsteller: Angelina Jolie, Pierfrancesco Favino, Alba Rohrwacher, Haluk Bilginer, Kodi Smit-McPhee