06.02.2025
Punk ist tot, sein Klon lebt weiter

Untot seit 45 Jahren

Punk ist schon lange dahingeschieden und wirkt doch so, als ob er die ewige Jugend besäße. Denn der Polit-Punk, der aus der Erbmasse des ursprünglichen entstand, findet heute noch Anhänger vorwiegend in der kulturindustriellen Peripherie. Unbedingt Hörenswertes kommt dabei jedoch nicht zustande.

Punk feiert sein 50jähriges Jubiläum – oder gibt es nichts zu feiern? Wann, wie und wo Punk zuerst aufkam und was genau Punk eigentlich ist oder war, ob Punk noch ­gelebt wird oder ins Museum gehört – daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Punk stirbt nie, solange es jugendliche Außenseiter gibt, schrieb Jan Tölva (5/2025)

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50 Jahre Punk – das klingt ein wenig nach den Slogans für Rabattaktionen großer Firmen, die ihre Kunden einladen, die kontinuierliche Erfolgsgeschichte des Unternehmens, wie es so heißt, mitzufeiern: 50 Jahre Ikea in Deutschland, 45 Jahre Mediamarkt und so weiter. Genau das führt in die Irre: Die Geschichte des Punk ist weder lang noch kontinuierlich und erfolgreich schon gar nicht, sie ist kurz, abrupt endend, aber folgenreich. Es sollte deshalb vielleicht besser heißen: Vor 50 Jahren – Punk.

Zwar gibt es auch heutzutage Sub­genres und Subkulturen, die man mit dem Label Punk versehen kann, ja ­sogar zeitgenössische Bands und ihre Fans, die sich selbst als Punks bezeichnen und Dresscodes und Haarschnitten frönen, die 1976 in der Londoner Carnaby Street populär wurden. Aber ist das ein Zeichen eines sich seit 50 Jahren auf wundersame Weise ewig erneuernden jugendlichen Antiauto­ritarismus, der sich nie verbraucht, nie schal und altbacken wird, wie es Jan Tölva an dieser Stelle behauptete? Wohl eher nicht. Punk-Adaptionen scheinen eher Ausdruck einer verbreiteten Bockigkeit zu sein, die Simon Reynolds allzu abschätzig als »Retromania« charakterisiert: einer durchaus sympathischen Bockigkeit, die sich im repetitiven re-enacting von Musik- und Modestilen vergangener Epochen zeigt, in denen Rock (wie zuvor Jazz) als Schrittmacher gesellschaftlicher Emanzipation gelten konnte. Punk ist da ein Übergangsphänomen: Er gehört einerseits noch in die Zeit, die die heutige Retro-Sehnsucht stimuliert, andererseits hatte er selbst in den Siebzigern bereits angezeigt, dass das hergebrachte und liebgewonnene Bündnis aus Popkultur und Progressivität brüchig wurde. Punk war ein tiefer Einschnitt, der die auf ihn folgenden Jugendkulturen prägte, was spätestens im Rückblick schwerlich zu bestreiten sein dürfte.

Der geklonte Punk entfaltete zunächst dort seine Wirkung, wo es noch sozialstaatliche Restbestände und damit den Luxus der Langeweile gab oder wo allzu heftige Prüderie und Bigotterie vorwalteten.

So stellt Punk heute zunächst ein Retro-Phänomen unter vielen dar, will sagen: Punk kommt schon lange nicht mehr mit. Und wozu auch? Was heißt es denn, zeitgemäß zu sein im Zeitalter der konfektionierten elektronischen Musik für den Durchschnittskonsumenten, die auf eine maximale Aufmerksamkeitsdauer von zehn Sekunden zugeschnitten ist und die es nicht einmal mehr wagt, den melodisch-rhythmischen Horizont eines einfachen Kinderlieds zu überschreiten? Es würde also keineswegs zur Schande gereichen, sich einzugestehen, dass man, weil technischer Fortschritt und soziale wie mentale Regression eins geworden sind, am Vergangenen festhält und es immer und immer reproduziert, um überhaupt noch Distanz zu dieser Gegenwart zu gewinnen.

Auf den ersten Blick teilt Punk also das Schicksal aller ihm vorangegangenen Popkulturen. Dixieland gibt es beim Frühschoppen der Arbeiterwohlfahrt, Swing im Studentenclub, Rockabilly zum Schraubertreffen – und Punk im Hausprojekt. Doch ist Punk eben auch nicht so weit aus der Zeit gefallen, dass die Distanzierung von der Gegenwart so selbstverständlich gelingt wie bei den anderen Retro-Genres. Punk ist zu eng, wenn auch auf überaus ambivalente Weise mit dem Aufkommen von Postmoderne und Neoliberalismus verknüpft.

Verrohung, Verarmung, Aussortiertwerden

Punk vor 50 Jahren – das war das Kunststück nihilistisch-grotesker Überaffirmation des sich ankündigenden Niedergangs, die gerade dadurch Protest war, dass nicht im landläufigen Sinn protestiert wurde. Wie kann man sich das vorstellen? Mitte der Siebziger adaptierten britische Bands einen höchst randständigen US-Musikstil, dessen Einfluss sich auf einige Straßenzüge in Manhattan beschränkt hatte, und machten ihn zu einem Massenphänomen.

Für die Dead Boys aus New York City hatte sich 1975 so gut wie niemand interessiert, für die Sex Pistols aus London 1976 aber fast alle. Ihre Negativität traf den Nerv, sie hielten dem zerbröckelnden Wohlfahrtsstaat und seinen gebrochenen Versprechen den Spiegel vor, aber nicht moralisch, sondern amoralisch.

Insbesondere die Pistols verkörperten durch musikalisch-ästhetische Antizipation gerade die Drohungen, die spätestens unter Margaret Thatcher in Großbritannien in die Tat umgesetzt werden sollten: Verrohung, Verarmung, Aussortiertwerden. Ekel, Überdruss und Widerwillen substituierten hier effektvoll die abhandenkommende Hoffnung auf ein besseres Leben. Ganz bewusst produzierten sich die Pistols als Superschund, der den üblichen und gewöhnlichen an Scheußlichkeit noch zu übertrumpfen trachtete; die Maskerade der bösartigen Idiotie gehörte dazu wie das Hakenkreuz-Shirt zu Sid Vicious.

Diese Haltung konnte aber nicht von Bestand sein; die Verhältnisse überholten ihre Antizipation rasch, die Realität wurde grimmiger als das Bild, das Punk von ihr gezeichnet hatte. Der Thatcherismus war (sozial)staatsfeindlicher als jeder Staatsfeind, (markt-)anarchistischer als jeder Anarchist und rücksichtsloser als jeder Rüpel.

Aussehen wie aus der Mülltonne gezogen

Punk zu sein, auf die eigenen unzureichenden Mittel zurückgeworfen zu werden, auszusehen wie aus der Mülltonne gezogen – das war keine freiwillige Entscheidung mehr, sondern zwangsläufiges Schicksal von Millionen. Punk war Alltag, Alltag war Punk, und auch dessen musikalische Kargheit passte nur allzu gut dazu. »Punk Is Dead« resümierten Crass bereits 1978 in einem Songtitel. Das Rezept der Pistols, Damned oder Slaughter & the Dogs konnte nicht mehr funktionieren, nur ausgemachte Ignoranten wie The Exploited oder GBH taten eine Weile noch so, als ob sich nichts geändert hätte.

Die ursprüngliche Version des Punk war nun zwar tot, er hinterließ aber eine Erbschaft, die ihn zum untoten Fortwesen in verschiedener Form verurteilte. Sein Nachhall machte dem Heavy Metal Beine – bei Motörhead, Venom und schließlich Thrash Metal deutlich zu vernehmen – und verpasste dem traditionellen Stampfrock der Skinheads eine Generalüberholung. Indie-Rock und Grunge zogen und ziehen immer wieder einmal das Punk-Register, sprich verfallen in einen eiligen und überbetonten Viervierteltakt (manche clowneske Revival-Band der jüngeren Vergangenheit à la Rancid oder Sum 41 beschränkt sich auch nur darauf). Zum indirekten Erbe des Punk gehört zudem die Verschlankung und Ökonomisierung der Tanzmusik, darin war Disco dem Minimalismus des Punk ein getreuer Zeitgenosse.

Und geklont wurde Punk natürlich auch: Crass, Clash oder Stiff Little Fingers machten etwas Alt-Neues aus ihm. Sie benutzten den Punk-Stil für ihren schablonenhaften Polit-Rock, dem schließlich mit der verheerenden Niederlage des Bergarbeiterstreiks 1984/1985 die Luft ausging – allerdings nur in Großbritannien. Im damaligen Zentrum der Popkultur war Punk zwar nun endgültig ein toter Hund, doch der Polit-Punk hatte zu dieser Zeit längst schon seinen Weg in die kulturindustrielle Provinz und von dort in die Peripherie angetreten. Dieser geklonte Punk reüssierte zunächst dort, wo es noch sozialstaatliche Restbestände und damit den Luxus der Langeweile gab oder wo allzu heftige Prüderie und Bigotterie vorwalteten. Wirkmächtig ist er noch immer da, wo autoritäre Herrschaftsformen bestehen. Die erste Ausbreitungswelle erfasste die USA, Deutschland, Skandinavien; 1983 waren zum Beispiel finnische Hardcore-Bands der letzte Schrei. Den Raum der ehemaligen Sowjetunion, Argentinien oder nunmehr eben Indonesien erreichte die zweite Welle.

Für den Klon-Punk spricht nur das sozialpädagogische Argument, das Jan Tölva als »Superpower des Punk« bemüht: »Menschen ein Zuhause geben, die die Gesellschaft und manchmal auch die eigene biologische Familie vor die Tür gesetzt hat.«

Den kalifornischen Dead Kennedys gebührt das Verdienst, um 1980 herum die bis heute gültige Blaupause des Polit-Punk entworfen zu haben. Musikalisch schraubten sie das Tempo bis an die Grenzen des analog Machbaren hoch und kürzten den Sound um auch im ursprünglichen Punk tradierte Rock-’n’-Roll-Elemente wie das Zusammenspiel von Leitstimme und Gruppengesang. Wichtiger aber war, dass sie ihre parolenhaften Texte mit einer Präsentation verbanden, die zwar von fern an die Frechheiten des frühen Punk erinnerte, aber letztlich doch der klassischen Agit-Prop-Montage verhaftet blieb; die Guten klagen die Bösen an.

Dieser Standard blieb bis heute bestehen, 45 lange Jahre. Dass er den Gegebenheiten des jeweiligen Rezeptionslandes beziehungsweise des rezipierenden Mi­lieus angepasst wurde, also ein wenig folklorisiert oder identitätspolitisch diversifiziert, ändert nichts an der Öde.

Für den Klon-Punk spricht so nur das sozialpädagogische Argument, das Jan Tölva als »Superpower des Punk« bemüht: »Menschen ein Zuhause geben, die die Gesellschaft und manchmal auch die eigene biologische Familie vor die Tür gesetzt hat.« Das kann man gerne gelten lassen. Was man allerdings auch gelten lassen sollte, ist, dass einem die musikalisch uninspirierte Phrasendrescherei rasch und heftig auf die Nerven fallen kann.