06.02.2025
Rechtsextreme greifen Wahlkampfhelfer und Politiker an

Wahlkampf mit Risiko

Vor der Bundestagswahl sind Politiker und Wahlkampfhelfer vermehrt Angriffen und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt.

Greifswald, Donnerstag vorvergangener Woche: Sechs Jugendliche bewarfen der Polizei zufolge das Wahlkampfteam der SPD-Bundestagsabgeordneten Anna Kassautzki mit Eiern, einer von ihnen soll »Heil Hitler« gerufen und den Hitlergruß gezeigt haben. Am Sonntag zuvor hatte ein betrunkener 34jähriger drei Mitglieder der Grünen im Landkreis Oldenburg angegriffen. Der Polizei zufolge sang der Mann verfassungsfeindliche Parolen, riss ein soeben aufgehängtes Plakat ab und schlug einem der Wahlkämpfer mehrfach ins Gesicht.

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl häufen sich Angriffe auf und Einschüchterungsversuche gegen Politiker oder Wahlkampfhelfer, vor allem in Ostdeutschland. Davon kann auch Sebastian S. berichten, der sich bei der Linksjugend Solid, der Jugendorganisation der Linkspartei, engagiert. Vor knapp zwei Wochen, so erzählt der 23jährige der Jungle World, habe er mit drei zum Teil minderjährigen Genossen einen Infostand am Dresdner Hauptbahnhof aufgebaut. Etwa eine Stunde sei alles gut gelaufen, man habe sich mit Passanten unterhalten und Broschüren verteilt.

Am häufigsten wurden im Jahr 2023 die Parteieinrichtungen und Repräsentanten der Grünen angegriffen.

Die Gruppe hatte jedoch nicht bedacht, dass am Nachmittag ein Heimspiel von Dynamo Dresden stattfand. Der Bahnhofsbereich sei bald von zurückkehrenden Fans überflutet gewesen. Anfängliche Beleidigungen wie »Volksverräter«, »Zecken« oder auch »Fotzen« habe man noch achselzuckend über sich ergehen lassen. Dann habe sich jedoch eine wachsende Gruppe teils vermummter Personen bedrohlich nah am Stand positioniert, den Tisch mit Stickern wie »I love NS« beklebt, ihn schließlich umgeworfen und damit gedroht, den Stand anzuzünden. Einer Polizeimeldung zufolge handelte es sich um acht junge Männer, die Betroffenen schätzen, dass es zeitweilig eher an die 15 waren. »Die wurden immer aufdringlicher. Irgendwann haben wir dann gesagt, okay, wir brechen das jetzt hier ab«, berichtet ­Sebastian.

Bereits im vergangenen Jahr hatten mehrere gewaltsame Angriffe vor der Europawahl und ostdeutschen Landtagswahlen eine Debatte ausgelöst. Am heftigsten war ein Überfall auf den sächsischen SPD-Spitzenkandidaten Matthias Ecke, der Anfang Mai in Dresden beim Aufhängen von Plakaten für den Europawahlkampf von vier jungen mutmaßlichen Rechtsextremen zusammengeschlagen wurde und mehrere Knochenbrüche erlitt.

Im Laufe des Jahres wurden zwei Gesetzentwürfe eingebracht, deren erster es erschweren sollte, an Privatadressen von Politikern zu gelangen; der zweite Entwurf sollte den neuen Straftatbestand des politischen Stalkings schaffen, um vor allem Kommunalpolitiker besser zu schützen. Doch der Bundestag hat noch keines der beiden Gesetze verabschiedet.

Schaum­torte auf Christian Lindner 

Nicht mit den Gewaltakten der Rechtsextremen zu vergleichen sind Proteste, wie sie sich vereinzelt in Handlungen von Linken zeigen: So wurde kürzlich bei einer Wahlkampfveranstaltung in Greifswald von einem Mitglied der Linkspartei eine Schaum­torte auf Christian Lindner geworfen. In einem anderen Fall fanden sich jüngst Graffiti-Schriftzüge wie »Klassenkampf statt Vaterland« und »Merz aufs Maul« an einer Schützenhalle im Sauerland, in der am Tag darauf der Kanzlerkandidat der Unionsparteien, Friedrich Merz (CDU), auftreten sollte.

Doch mit großem Abstand am häufigsten Ziel von Straftaten waren 2023 Repräsentanten und Parteieinrichtungen der Grünen – Erstere in 1.219 Fällen, Letztere in 224 Fällen. Die Zahl der gegen AfD-Vertreter gerichteten Akte hingegen sank von 866 im Jahr 2019 auf 478 im Jahr 2023; hinzu kamen 115 Taten, die sich gegen AfD-Einrichtungen wendeten.

Die Zahl der Fälle allgemeiner politisch motivierter Kriminalität hat sich in den vergangenen zehn Jahren auf rund 60.000 fast verdoppelt, den bei weitem größter Teil machen politisch rechts motivierte Straftaten aus. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und ­antisemitischer Gewalt (VBRG) zählt sogar noch mehr Fälle als das BKA und kritisierte in der Vergangenheit die »Untererfassung rechter Gewalt durch die Polizei und Ermittlungsbehörden«. Das BKA spricht von 1.270 rechten Gewalttaten für 2023; der VBRG hingegen registrierte 2.589 »rechte Gewalttaten«, das seien 20 Prozent mehr als im Vorjahr – bei mehr als der Hälfte handele es um Körperverletzungsdelikte.

Zunahme rechts motivierter Straftaten um 17 Prozent

Vorläufige Daten für 2024 ergeben bis einschließlich November bereits eine Zunahme rechts motivierter Straftaten um mindestens 17 Prozent. Belastbare Zahlen zum derzeitigen Bundestagswahlkampf gibt es noch nicht. Die überwiegende Mehrheit der durch die Medien bekannt gewordenen Taten, die über reinen Vandalismus hinausgehen, kommt jedoch zurzeit allem Anschein nach aus dem rechtsextremen Bereich.

Im Fall von Sebastian S. beruhigte sich die Lage erst, als die Polizei eintraf. »Das hätte auch schieflaufen können«, meint er im Nachhinein. Er habe sich »ein bisschen ausgeliefert gefühlt«. Sein Engagement im Wahlkampf aufgeben wolle er deshalb aber nicht.