13.02.2025
»Diamond Jubilee« von Cindy Lee

Spätes Echo

Cindy Lees zweistündiges Monumentalwerk »Diamond Jubilee« mit 32 Songs fand sich in den Bestenlisten für 2024 ganz weit vorne, wurde hierzulande wenig besprochen.

Bei zahlreichen subkulturaffinen Musikmagazinen weltweit fand sich in den Bestenlisten für 2024 ein Album ganz weit vorne, das hierzulande weniger besprochen wurde. Cindy Lee hatte für ihr zweistündiges Monumentalwerk »Diamond Jubilee« mit 32 Songs einen denkbar wenig marktgerechten Vertriebsweg gewählt: Zunächst war es ausschließlich über eine altmodische Geocities-Website als Download erhältlich.

Entsprechend wurde der very long player bei Erscheinen nur von den Eingeweihten überschwenglich gelobt. Erst später fand »Diamond Jubilee« sich auf Youtube und Bandcamp wieder, wo es mittlerweile auch als Triple-LP zu erwerben ist. Auch ästhetisch entzieht sich die Musik nach Kräften – oder vielmehr durch ihre Kraftlosigkeit.

Cindy Lee ist der Drag-Name von Patrick Flegel aus Calgary, das Songwriting orientiert sich an den klassischen, stilistisch vielseitigen pop tunes der Sixties, dem Brill Building Sound – in ebendiesem Gebäude in New York City hatten viele der prägenden Popkomponist:in­nen ihre Büros.

Vor Virilität strotzende Arschlöcher übernehmen nahezu allerorten die Macht, oft sogar irgendwie demokratisch legitimiert. Im Kontrast dazu vermag diese entrückte Musik, Wärme und Zuflucht zu vermitteln.

Jedoch wirken die formschönen Songs bei Lee allesamt windschief, verhuscht, frickelig und psychedelisch verfremdet; also nicht retro, sondern wie ein spätes Echo. Das Lied »Wild One« etwa besingt zwar die ungestüme Energie der Jugend: »You can do what you want!« Doch die Drums sind reduziert und langsam, die Gitarre ist schillernd, aber schläfrig, der Gesang unbeteiligt. Bei anderen Songs wechselt Lee zur Kopfstimme und heraus kommt lediglich ein dünnes Falsett. Nichtsdestoweniger ist es ein sehr zeitgemäßer Klang.

Vor Virilität strotzende Arschlöcher übernehmen nahezu allerorten die Macht, oft sogar irgendwie demokratisch legitimiert. Im Kontrast dazu vermag diese entrückte Musik, Wärme und Zuflucht zu vermitteln – entweder um die Zumutungen der Gegenwart eskapistisch zu meiden oder aber um in ihrem Trost Kraft zu sammeln für die Gegenwehr.


Albumcover

Cindy Lee: Diamond Jubilee (Realistik)