Der Hass der Fremdbestimmten
Mit wem reden Sie eigentlich noch über Politik? Bei größeren Familienfeiern oder zufälligen Begegnungen werden politische Themen ja mittlerweile oft vermieden. Zu vorhersehbar ist die ressentimentgeladene Reaktion von Onkel Heiner oder Frau Fritsche auf Klimakleber, Seenotrettung und Gendersternchen. Nein, das tut man sich nicht mal zu Weihnachten oder am Kindergeburtstag an. Aus Faulheit, Coolness und vielleicht auch ein bisschen aus Arroganz.
Auch in vielen Freundeskreisen haben sich spätestens seit der Covid-19-Pandemie nochmal ganz neue Risse gezeigt. Übrig geblieben sind nur ein paar wenige Menschen, mit denen man so gut wie jede Meinung, Abneigung oder Vorliebe, vom Nahost-Konflikt bis Phil Collins, teilt. Mit denen muss man gar nicht mehr über Politik reden, denn die erzählen ja ohnehin nur das, was man selbst auch schon längst denkt.
Neulich habe ich eine volle Stunde mit meinen Kolleg:innen über die sogenannte Brandmauer diskutiert. Zu merken, dass die anderen doch alle nicht so doof sind, wie man immer denkt, hat was Wohltuendes. Selbst, wenn man nicht einer Meinung ist.
Aber am Arbeitsplatz – da geht es manchmal noch richtig zur Sache! Neulich habe ich eine volle Stunde mit meinen Kolleg:innen über die sogenannte Brandmauer diskutiert. Zu merken, dass die anderen doch alle nicht so doof sind, wie man immer denkt, hat was Wohltuendes. Selbst, wenn man nicht einer Meinung ist.
Demokratie hört eben nicht auf der Schwelle zum Arbeitsplatz auf, auch wenn das erst mit der Zeit erkämpft werden musste. Der Begriff industrial citizenship (industrielle Staatsbürgerrechte) wurde in den fünfziger Jahren geprägt, um zum Ausdruck zu bringen, dass Beschäftigte nicht nur in ihrer Freizeit als Staatsbürger, sondern auch am Arbeitsplatz bestimmte Rechte, auch auf eine gewisse Mitbestimmung, haben, wie es Gewerkschaften durchgesetzt hatten.
Forschungen aus den vergangenen Jahren belegen, wie alltägliche Erfahrungen am Arbeitsplatz und politisches Bewusstsein zusammenhängen. Wer denkt, am Arbeitsplatz mitbestimmen zu können, nimmt auch die Demokratie im Allgemeinen positiver wahr. Aber auch das Gegenteil ist der Fall: Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz vor allem gehorchen müssen und daran gehindert werden, ihre Meinung zu äußern, neigen eher zu populistischem Gedankengut und Wahlverhalten.
Autonomie und Mitbestimmung
Die Studie »Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland« der Otto-Brenner-Stiftung belegt, dass ein Fünftel der befragten Beschäftigen in Ostdeutschland den Eindruck hat, in ihrem Betrieb die Strukturen nicht zum Positiven verändern zu können. Jede:r Siebte fühlt sich bei Entscheidungen im Arbeitsalltag übergangen. Diejenigen, die unter dem Gefühl von Ohnmacht leiden, tendieren dazu, rassistisch und antisemitisch zu denken. Vor allem Muslimfeindlichkeit korreliere stark mit den Erfahrungen in der Arbeitswelt, zeigen die Ergebnisse.
Bleibt natürlich noch die Frage, ob das Ausmaß an Autonomie und Mitbestimmung, das es wirklich bräuchte, in kapitalistischen Betrieben überhaupt verwirklicht werden kann.