Integrative Sozialarbeit
Punk feiert sein 50jähriges Jubiläum – oder gibt es nichts zu feiern? Wann, wie und wo Punk zuerst aufkam und was genau Punk eigentlich ist oder war, ob Punk noch gelebt wird oder ins Museum gehört – daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Punk stirbt nie, solange es jugendliche Außenseiter gibt, schrieb Jan Tölva (5/2025). Uli Krug hingegen meinte, die Geschichte des Punk sei schnell zu Ende gewesen und vor allem der heutige Polit-Punk nur ein müder Abklatsch (6/2025).
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Punk existierte nur ein paar Monate, dann wurde Punkrock daraus, eine weitere Spielart des Rock ’n’ Roll. Bis heute widmen sich traditionsbewusste Rock-Typen, aber auch erschreckend viele Jugendliche dieser mitreißendsten aller Musikrichtungen. Daraus wird gerne der falsche Schluss gezogen, dass Punk gar nicht tot sei. Damit einhergehend soll Punk dann auch irgendetwas Eindeutiges, Positives sein: links zum Beispiel, auf jeden Fall auf der richtigen Seite stehend, am liebsten »aktueller denn je«. 50 Jahre nach Punk treten die meisten Punkbands konstruktiv und gemeinschaftsstiftend auf.
So bemerkte Jan Tölva an dieser Stelle, dass die »überübernächste Generation junger Punks (…) jetzt schon politisch so viel weiter ist als ich in ihrem Alter«. Das mag sein, und vielleicht ist deshalb das, was sich hierzulande an Nachwuchs noch Punk schimpft, von der Grünen Jugend auch nicht mehr zu unterscheiden. Ärgerten sich anno dazumal die Spießer darüber, dass die Punks alles schlechtmachen, sind heutzutage die Punks selbst Spießer und stören sich daran, wenn man ihren Punk schlechtmacht.
Einer der ersten Punks aus Deutschland, Peter Hein, Mitgründer von Mittagspause und Fehlfarben, sagte mal: »Ich bin nicht verbittert. Ich finde einfach nur alles scheiße.«
Tölva jedenfalls macht nichts schlecht und spricht sich gegen Zynismus aus. Dazu zitiert er eine der wenigen guten Punkbands der Neunziger: »›Nicht zynisch werden‹, forderten … But Alive 1995.« Eine gewagte Behauptung, die man nur aufrechterhalten kann, wenn man vergisst, dass der entsprechende Albumtitel auch ein Fragezeichen enthielt (»Nicht zynisch werden?!«). Texter Marcus Wiebusch präsentierte sich auf der Platte zerrissen und zweifelnd, machte in fast jedem Lied etwas schlecht und neigte stellenweise durchaus zu Zynismus. Die Forderung, nicht zynisch zu werden, stellte die Band zumindest nicht auf, eher noch fragte sie, wie man angesichts der herrschenden Verhältnisse Zynismus überhaupt vermeiden könne. Dabei ging es nicht zuletzt um die linksliberale Verlogenheit angesichts der rassistischen Anschläge nach der sogenannten Wiedervereinigung.
Mitte der Siebziger hatte sich auch den ersten Punks in London eine zynische Sichtweise aufgedrängt. Es gab keine Zukunft, die Arbeitslosigkeit grassierte, man kennt die Geschichten. Immerhin streikte die Müllabfuhr, aber dadurch war alles voller Müll. Punk antwortete nicht mit einem politischen, sozialrevolutionären oder sonstigen Programm, sondern mit Destruktion und Nihilismus, einer allumfassenden Verweigerungshaltung, die sich nicht für Lösungen interessierte.
Jede Punkerpolizeidienststelle kann bestätigen: Mit Punk hat das nichts zu tun
Demgegenüber empfiehlt Tölva, der Punk in die Gegenwart retten will, »nicht aufzugeben und nicht alles scheiße zu finden«, was bestimmt löblich ist, aber jede Punkerpolizeidienststelle kann bestätigen: Mit Punk hat das nichts zu tun. Die Sex Pistols jedenfalls – und auch Richard Hell aus New York City, dessen Haltung, Texte, Musik, Frisur und Klamotten die Pistols, nun ja, inspiriert hatten – waren zynisch und fanden alles scheiße. Einer der ersten Punks aus Deutschland, Peter Hein, Mitgründer von Mittagspause und Fehlfarben, sagte mal: »Ich bin nicht verbittert. Ich finde einfach nur alles scheiße.«
Bei Tölva klingt Punk eher nach der Heimkampagne von Gudrun Ensslin und Andreas Baader, als diese 1969, frisch aus dem Knast entlassen, gesellschaftlich ausgestoßenen Jugendlichen ein neues revolutionäres Leben in linken WGs anstelle der schrecklichen Fürsorgeheime ermöglichen wollten: »Millionen von Kids überall auf der Welt haben im Lauf der Jahre in Hardcore und Punk einen sozialen Ort gefunden, an dem sie sie selbst sein konnten mit all ihren Fehlern.« Auch das mutet löblich an, geradezu pädagogisch wertvoll. Als wäre Punk ein integratives Projekt der Sozialen Arbeit. Allein: Punk ist nie angetreten, um irgendwem etwas Gutes zu tun, auch wenn es trotzdem passiert sein mag. Merkmal des Verfalls von Punk war der Versuch, ihm klar umrissene Moralvorstellungen anzudichten.
Obwohl der Verfall von Punk niemals zu enden scheint, schreitet er mit jeder neuen Punkplatte voran. Der Verfasser dieser Zeilen zieht seine uneingeschränkte Deutungshoheit über Punk vielleicht auch aus der Tatsache, dass er selbst mit seiner Band im vergangenen Jahr eine solche Platte veröffentlichte. Es ist nicht sein einziger Fehler: Oben wurden zur Beweisführung verschiedene (weiße, männliche, heterosexuelle) Protagonisten bekannter Punkbands angeführt. Tölva zufolge aber sollte es in der Geschichtsschreibung von Punk weniger um das gehen, »was auf der Bühne geschah«, und mehr um die »Menschen, die vor der Bühne standen«.
Die Monate, in denen Punk noch nicht gestorben war
Essentieller Bestandteil der Punkhistorie ist jedoch, dass die Menschen, die bei den ersten Sex-Pistols-Konzerten vor der Bühne standen, anschließend reihenweise eigene Bands gründeten. So entstanden The Clash, Buzzcocks, Joy Division und The Fall. Auch Morrissey und Shane MacGowan befanden sich 1976 zunächst im Publikum. Zu den allerersten Fans, die den Pistols hinterherreisten, zählten Billy Idol und die späteren Banshees-Gründer Siouxsie Sioux und Steven Severin. Gerade noch vor der Bühne, standen sie kurz danach auf ihr und wurden selbst zu Mitgliedern großer Bands – alles binnen weniger Monate.
Dies waren die Monate, in denen Punk noch nicht gestorben war und die den Grundstein für sämtlichen späteren DIY-Kitsch legten. Wer keine Band gründete, auch das soll es gegeben haben, machte ein Fanzine oder organisierte das nächste Konzert. Doch natürlich dauerte es nur ein paar flüchtige Momente, bis die Trennung zwischen Rockstars auf der Bühne und passiven Konsumenten vor der Bühne wieder genauso unüberwindbar war wie überall sonst auch. Zugleich wurde der ursprüngliche radikale Individualismus des Punk durch eine triste Uniformierung abgelöst; alles erstarrte in Klischees. Hatten Punkbands zunächst unterschiedlich geklungen und ausgesehen, glichen sie sich nun musikalisch immer mehr an, und erst jetzt entstand der genormte Punk-Look: Lederjacke, Irokesenschnitt, Nietenarmband. Zumindest hierin blieb man auf und vor der Bühne gleich.
Das, was Punk mal ganz kurz war, und was niemals auf Langlebigkeit angelegt war, es gar nicht sein konnte, sollte man nicht mit der Brauchtumspflege eines Trachtenvereins verwechseln.
All das schwappte um die ganze Welt, und in manchen Gesellschaften entfaltete Punk sogar noch subversives Potential – zum Beispiel in der DDR, wie man dieser Tage allerorten erfährt, oder während der argentinischen Militärdiktatur –, aber in der Regel handelte es sich um Folklore, und nirgendwo war es so traurig und öde wie im sogenannten Deutschpunk der neunziger Jahre.
In diesem Sinne ist Jan Tölva beizupflichten, wenn er schreibt: »Punk war die meiste Zeit langweilig. Punk war Abhängen auf Parkbänken, an Bushaltestellen und auf der Kirchenmauer. Punk war der Bundeswehrrucksack voll Karlsquell und ›Schlachtrufe BRD II‹ aus dem Kassettenrekorder.«
Was Tölva hier treffend zusammenfasst, ist die ganz normale Brauchtumspflege eines Trachtenvereins, harmlos und vielleicht sogar sympathisch. Das, was Punk mal ganz kurz war, und was niemals auf Langlebigkeit angelegt war, es gar nicht sein konnte, sollte man damit aber nicht verwechseln. Außerdem war der beste Teil der Kompilationsreihe »Schlachtrufe BRD« selbstverständlich der dritte.