Pläne und Visionen
Nach einer Woche voller Drohungen und Unsicherheit lief dann alles wie vereinbart. Die Hamas ließ am Samstag drei Geiseln frei, Israel entließ Hunderte palästinensischer Gefangener. Zuvor hatte die Hamas unter Verweis auf angebliche israelische Verletzungen des Waffenstillstandsabkommens gedroht, die Geiseln nicht freizulassen; US-Präsident Donald Trump sah »die Hölle losbrechen«, wenn bis Samstag 12 Uhr nicht alle Geiseln freigelassen würden.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hätte damit die verbale Unterstützung für eine Militäraktion welcher Art auch immer gehabt. Mehr aber auch nicht, und obwohl die Unterernährung zuvor freigelassener Geiseln einmal mehr deutlich machte, wie dringlich die Befreiung der restlichen seit mehr als 500 Tagen Festgehaltenen ist – es war offenbar auch für Netanyahu nicht ersichtlich, wie militärischer Druck dies beschleunigen könnte.
Nun wird darüber gerätselt, welchen Einfluss Trumps eigenwillige diplomatische Interventionen hatten. Hat er mit der Idee, den Gaza-Streifen für sich oder die USA zu erwerben oder zu annektieren und die Bevölkerung zu deportieren, die arabischen Staaten auf Trab gebracht? Verfährt er jenseits der verbalen Unterstützung strenger als sein Vorgänger Joe Biden mit Netanyahu, gegen dessen mangelnden Einsatz für die Freilassung der Geiseln in Israel täglich protestiert wird?
Dem nicht nur durch Proteste und wachsende Unzufriedenheit mit seiner Militärstrategie im Gaza-Streifen, sondern auch durch diverse Skandale und drohende Gerichtsverfahren in Bedrängnis geratenen Netanyahu bleibt es nun vorerst erspart, einen eigenen Plan vorzulegen.
Netanyahu lobte am Sonntag bei einem Treffen mit US-Außenminister Marco Rubio erneut Trumps »Vision«, die er gemeinsam mit den USA verwirklichen wolle. Rubio erläuterte, dass der Plan des Präsidenten zwar viele schockiert habe, es aber nun mal Mut erfordere, Alternativen zu den »müden Ideen« der Vergangenheit zu entwickeln – das kann als dezente Andeutung verstanden werden, man möge Trump nicht beim Wort nehmen. Es gehe vor allem darum, dass die Hamas »nicht länger militärische oder regierende Macht« im Gaza-Streifen sei.
Es mag dahingestellt bleiben, ob Netanyahu an Trumps Plan glaubt. Dem nicht nur durch Proteste und wachsende Unzufriedenheit mit seiner Militärstrategie im Gaza-Streifen, sondern auch durch diverse Skandale und drohende Gerichtsverfahren in Bedrängnis geratenen Ministerpräsidenten bleibt es nun vorerst erspart, einen eigenen Plan vorzulegen.
Die Möglichkeiten sind begrenzt. Eine Rückkehr zur israelischen Besatzungsherrschaft will offenbar auch Netanyahu nicht. Die Zweistaatenlösung lehnt er ab, somit kommt auch die von der nationalreligiösen Fatah geführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) nicht in Betracht für eine politische Regelung. Die Unterstützung arabischer Staaten für eine solche und die Fortsetzung der im Rahmen der Abraham Accords begonnenen diplomatischen Annäherung Israels unter anderem an die Golfmonarchien sind abhängig davon, dass eine Zweistaatenlösung zumindest in Aussicht gestellt wird.
Soldaten Ägyptens und der Golfmonarchien nach Gaza?
Bewältigt werden kann das Problem wohl nur durch ein in der Diplomatie nicht unübliches Verfahren: Wenn eine Lösung nicht möglich ist, verschiebt man sie mit vagen Zusagen in die Zukunft und behilft sich mit einer Interimsvereinbarung. Die könnte darin bestehen, die Herrschaft der Hamas für eine Übergangsperiode durch die Stationierung von Soldaten außenpolitisch gemäßigter arabischer Staaten – Ägyptens und der Golfmonarchien – zu ersetzen.
Die Dringlichkeit des Wiederaufbaus im Gaza-Streifen ist unübersehbar, das gäbe den arabischen Regierungen eine Rechtfertigung, auch ohne konkrete Zusagen für die Zweistaatenlösung zu handeln. Ohnehin wäre die PA, deren Macht in der Westbank in letzter Instanz die israelische Armee garantiert, nicht in der Lage, den Gaza-Streifen zu kontrollieren. Und im Oktober 2026 sollen die nächsten regulären Wahlen in Israel stattfinden, derzeit sehen die Umfragen eine Mehrheit für die Opposition. Es gäbe dann wahrscheinlich mehr Spielraum für Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung. Bis dahin hätte auch die politisch heruntergewirtschaftete PA etwas Zeit zu entscheiden, ob sie Teil der Lösung sein will. Immerhin beendete Präsident Mahmoud Abbas kürzlich die Zahlungen aus dem »Märtyrerfonds« an die Familien inhaftierter oder getöteter Terroristen.
Proiranische Terrorgruppen in der Region erheblich geschwächt
Ägypten hat in der vergangenen Woche Baumaschinen und Behelfsunterkünfte in den Gaza-Streifen gebracht und einen noch recht unbestimmten Plan vorgelegt, die Verwaltung dort einer technokratischen Interimsregierung und zivilgesellschaftlichen Gruppen zu übertragen. Eine solche Zivilverwaltung bedürfte aber des militärischen Schutzes. Es gibt Finanzierungszusagen für den Wiederaufbau, doch bislang hat keine arabische Regierung sich bereit erklärt, Truppen in den Gaza-Streifen zu entsenden.
Noch in dieser Woche will der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sissi in Saudi-Arabien mit Repräsentanten der Golfmonarchien über einen arabischen Plan für den Gaza-Streifen beraten. Es ist unwahrscheinlich, dass es unmittelbar zu weitergehenden Zusagen kommt. Da die israelischen Offensiven und die Befreiung Syriens vom Assad-Regime die proiranischen Terrorgruppen in der Region erheblich geschwächt haben, ergibt sich jedoch eine Chance, den arabisch-sunnitischen Einfluss auf Kosten iranischer Ansprüche wieder auszubauen. Den arabischen Regierungen dürfte klar sein, dass dies eine günstige Gelegenheit ist, die vom Iran unterstützte Terrorgruppe Hamas als politischen Machtfaktor auszuschalten.