Jungle+ Artikel 27.02.2025
Andreas Kilian erforscht die Geschichte der jüdischen »Sonderkommandos«

Berichte aus der Todeszone

Die erzwungene Kollaboration jüdischer Häftlinge in den Vernichtungslagern der Nazis wurde lange Zeit beschwiegen oder verzerrt dargestellt. Der Historiker Andreas Kilian forscht seit vielen Jahren über die Rolle der Sonderkommandos. Im Karl-Dietz-Verlag Berlin ist der von ihm kommentierte Bericht des Gerichtsmediziners Miklós Nyiszli über seine Tätigkeit im Krematorium von Auschwitz erschienen.

An unzähligen Orten im östlichen Europa haben Deutsche und ihre Helfer jüdische Menschen ermordet. Doch wenn an die Vernichtung der europäischen Juden erinnert wird, steht ein Ort stellvertretend für alle anderen: Auschwitz. Der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Au­schwitz-Birkenau durch Soldaten der Roten Armee am 27. Januar 1945 ist seit vielen Jahren ein internationaler Gedenktag. Der öffentlichen Erinnerungskultur zum Trotz ist das Wissen über die Vernichtungsmaschinerie, insbesondere über das Innenleben und Organisation des Lagers, eher dürftig. Das gilt auch für die Tätigkeit einer bestimmten Gruppe von Häftlingen des Lagers: die Ange­hörigen der Sonderkommandos.

Der Todesfabrik Auschwitz dienten sie als Zwangsarbeiter. Sie mussten die von deutschen SS-Ärzten zur Vernichtung bestimmten Kinder, Jugendlichen, Frauen und Männer unter Vorwänden in die Gaskammern bringen, ihnen vor der Vergasung durch SS-Leute die Wertsachen abnehmen, ihre nach dem Todeskampf übereinanderliegenden Leichen in die Krematorien verschaffen, sie verbrennen und die Asche beseitigen. Der Historiker Andreas Kilian nennt die Angehörigen der Sonderkommandos »die einzigen tatsächlichen Augenzeugen aus dem Inneren der Todesfabrik«.

Kilian kam in den frühen neunziger Jahren als Zivildienstleistender der Aktion Sühnezeichen in die Gedenkstätte Auschwitz. Zu dieser Zeit gingen die Besucherzahlen in der Gedenkstätte in die Höhe. Das lag auch an Steven Spielbergs Film »Schindlers Liste«, der zu dieser Zeit in die Kinos kam. Er erzählt eine mitten im Vernichtungsprozess ­angesiedelte Rettungsgeschichte mit Happy End, stellte Vergasungen in Auschwitz filmisch dar; was Claude Lanzmann, Regisseur der Dokumentation »Shoah«, scharf kritisierte. Angehörige der Sonderkommandos, sogenannte Arbeitsjuden, gehörten zu den Zeugen, mit denen Lanzmann sprach.

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