Schöpferische Zerstörung
Punk feiert sein 50jähriges Jubiläum – oder gibt es nichts zu feiern? Wann, wie und wo Punk zuerst aufkam und was genau Punk eigentlich ist oder war, ob Punk noch gelebt wird oder ins Museum gehört – daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Punk stirbt nie, solange es jugendliche Außenseiter gibt, schrieb Jan Tölva (5/2025). Uli Krug hingegen meinte, die Geschichte des Punk sei schnell zu Ende gewesen und vor allem der heutige Polit-Punk nur ein müder Abklatsch (6/2025). Kolja Podkowik attestierte dem Punk eine besondere Kurzlebigkeit – alles, was danach kam, sei Folklore gewesen (7/2025).
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Es gibt zwei Arten, über Punk nachzudenken: eine musikalische und eine kulturelle. Während die musikalische Betrachtungsweise Punk als Rockmusik mit minimalistischen Gitarrenriffs, aggressiven Rhythmen, hohem Tempo und rauem Gesang versteht, geht es bei der kulturellen Sicht um eine anarchistisch inspirierte Lebenseinstellung des Nonkonformismus, der Rebellion gegen bürgerliche Tugenden, Autoritäten, Lohnarbeit und die kapitalistische Konsumgesellschaft. Beide Strömungen beginnen bereits vor den Siebzigern, als Punk von einer subkulturellen Strömung zu einem popkulturellen Massenphänomen aufstieg und die vormalige Avantgarde des Summer-of-Love-Sounds aus Progressive und Psychedelic Rock ablöste und damit auch ihre LSD-geschwängerte, stärker der esoterischen Innerlichkeit und Naturverbundenheit zugewandte bürgerliche Hippie-Szene.
Wie Diedrich Diederichsen 1985 in seinem Buch »Sexbeat« herausgearbeitet hat, lässt sich Punk nur durch das verstehen, was sich zuvor ereignet hatte und was danach auf ihn folgte. Ohne die popkulturelle und politische Revolte der Sechziger ist Punk nicht zu erklären. Bereits damals kündigt sich durch Garagen- und Beatbands jener Sound an, mit dem die Pistols und Ramones weltberühmt werden sollten. Es sind britische Gruppen wie The Kinks und The Who – und in ihren jeweiligen Städten bekannte Acts wie Voice, Wimple Winch oder The In Crowd – sowie US-amerikanische wie MC5, The Stooges, The Sonics, The Seeds oder Velvet Underground, die den Punk vorwegnahmen. Dieser ist retrospektiv musikalisch dann nur noch eine radikalisierte Zuspitzung seiner Vorgänger.
Im Punk drückte sich die Enttäuschung über die ausgebliebene Revolution aus. Der Positivität der lammfromm gewordenen Hippies setzte man Negativität und Aggression entgegen.
Damals traten Gammler, Mods und Linksradikale jene Emanzipationsbewegung los, die politisch im Mai 1968, musikalisch im August 1969 ihren Höhepunkt erreichte und danach abebbte. Der sich ab Mitte der Siebziger durchsetzende Punk ist somit als ein doppeltes Aufbegehren zu verstehen: einerseits gegen die fortschreitende Entradikalisierung der Achtundsechzigerbewegung (beziehungsweise die fehlgeleitete Überradikalisierung in der Sackgasse des bewaffneten Kampfs), deren subversiven Gestus der Punk aufgrund der ausgebliebenen Erfüllung der radikalen Hoffnungen wuterfüllt aufnimmt; andererseits gegen die sich erschöpfende musikalische Innovationskraft Mitte der Siebziger. Punk zeigt an, dass die Revolte der Sechziger ihre Versprechen nicht gehalten hatte.
Den Hoffnungen der Achtundsechzigergeneration auf eine verheißungsvolle Zukunft, die sich oftmals als Marsch durch die Institutionen entpuppte, setzten die Punks das »No Future« entgegen, eine nihilistische Ablehnung jeglicher positiver Erwartung. Das war, neben der Perspektive der von Arbeitslosigkeit geplagten proletarischen Jugend, die verfrühte Ankündigung vom Ende der Geschichte, in dem die Zeit nicht mehr als Quelle utopischer Verheißungen dienen kann. Kulturell steht Punk also für das postmoderne Ende der sogenannten großen Erzählungen.
Im Punk drückte sich die Enttäuschung über die ausgebliebene Revolution aus. Der Positivität der lammfromm gewordenen Hippies setzte man Negativität und Aggression entgegen, in der die Wut auf jene zu einer Projektion der Wut auf sich selbst wurde, resultierend aus dem Wunsch und dem unbewussten Unvermögen zum Umsturz der Verhältnisse. Das, was die Subkultur-Generation in den Sechzigern und frühen Siebzigern vorgab, spiegelte sich im Punk somit gebrochen wider.
Angelehnt an Walter Benjamins »destruktiven Charakter« kennt Punk nur eine Parole: »Platz schaffen; nur eine Tätigkeit: räumen.«
Malcolm McLaren, der Manager der Sex Pistols, sagte einmal, dass er Punk nur wegen den Situationisten gegründet habe. Das Momenthafte des Punk gepaart mit einer dadaistischen, sinnentleerten Aktionskunst des Drei-Akkorde-Dilettantismus tritt hier an die Stelle eines sinnhaft aufgeladenen sozialistischen Aktivismus zur revolutionären Veränderung der Gesellschaft. Angelehnt an Walter Benjamins »destruktiven Charakter« kennt Punk nur eine Parole: »Platz schaffen; nur eine Tätigkeit: räumen.«
Erst durch die Zerstörung des Alten, des endlosen Gitarrengedudels, der orthodoxen K-Gruppen, der Ausdruckstänze und Meditationszirkel, des Liebespathos der »leicht verkifften Wollpulloverträger« (Diedrich Diederichsen) schafft Punk im Sinne Benjamins Platz für Neues. Indem er das Alte aufnimmt, radikal zuspitzt und ins Gegenteil verkehrt, kann es musikalisch und popkulturell weitergehen, und zwar in Form des Post-Punk und New Wave, der schließlich das langsame Ende des Gitarrenband-Zeitalters einläutete und den elektronik- und synthielastigen Achtzigern den Weg bereitete.
Mit der modischen Ästhetik der Hässlichkeit, der Selbstzerstörung durch Drogen und Alkohol, der Arbeitsverweigerung (die schon bei den Situationisten als ne travaillez jamais – arbeitet nie – vorkam), dem schnoddrig-kratzbürstigen Sozialverhalten und der sektenhaft-grüppchenbildenden Gemeinschaftssuche rebelliert Punk gegen die bürgerlichen Gepflogenheiten des Gehorsams, der Ordnung und Kleinfamilie. Gewalttätigkeit spielt als Spiegel der strukturellen Gewalt der gesellschaftlichen Verhältnisse eine wichtige Rolle. Aus situationistischer Sicht lässt sich Punk als Spektakel nie fassen oder konservieren, sondern nur als momenthafte Performance erleben.
Schumpeters »schöpferische Zerstörung«
Deshalb ist die Feststellung von Kolja Podkowik, »Punk existierte nur ein paar Monate, dann wurde Punkrock daraus, eine weitere Spielart des Rock ’n’ Roll«, eine Binsenweisheit. Denn musikalisch mag Punk tot sein oder nur noch als verkümmertes Simulacrum in der Gegenwart auftauchen. In der oben eingeführten Unterscheidung aber ist Punk kulturell als »schöpferische Zerstörung« höchst einflussreich, viel mehr noch, eng mit dem Aufstieg des neoliberalen Kapitalismus verwoben, wie Uli Krug an dieser Stelle feststellte. Der Begriff der »schöpferischen Zerstörung« geht auf den österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter zurück und bezeichnet einen wirtschaftlichen Prozess, »der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich zerstört und unaufhörlich eine neue schafft«.
Die Zerstörung ist also kein Störfaktor, sondern eine systemische Notwendigkeit für Innovation, indem Produktionsweisen neu verbunden werden und so das Althergebrachte verdrängt wird. Gesellschaftspolitisch fällt der Punk mit dem Ende der »sozialen Moderne« (Oliver Nachtwey) aus starkem Sozialstaat und Wirtschaftswachstum der Nachkriegsjahrzehnte zusammen. Die DIY-Kultur des Punk entsteht genau in dem Augenblick, in dem der Staat beginnt, sich aus der öffentlichen Daseinsfürsorge zurückzuziehen. Das bedeutet: Einerseits wurde DIY zu einer Notwendigkeit in einer sich entsolidarisierenden neoliberalen Gesellschaft und andererseits eröffnete dies ein neues Potential, das sich als ökonomisch verwertbar entpuppte und somit vom Kapitalismus, der fortan Eigenverantwortung, Flexibilität und Kreativität forderte, angeeignet wurde.
Unfreiwillig wurde die DIY-Kultur des Punk so zum Wegbereiter eines »unternehmerischen Selbst« (Ulrich Bröckling), das seine ökonomische Verwertungsfähigkeit durch Selbstführungstechniken herstellt. Diese Ökonomisierung des Sozialen in Form des Selbstmanagements weitet sich auf fast alle gesellschaftlichen Bereiche aus und reicht bis ins Privatleben und die Intimbeziehungen. Inszenierter Nonkonformismus kann dann zur Herstellung einer Kultur der individuellen Einzigartigkeit dienlich sein, wie Jan-Georg Gerber betont, wenn er schreibt: »Punk ist zur anerkannten Institution gesellschaftlichen Distinktionsgewinns geworden.«
»Punk hatte als Ganzes kein politisches Programm, Punk als Methode der universellen Infragestellung, eines ultraskeptischen debasement ließ (und lässt) sich mit allen möglichen politischen Bestrebungen verknüpfen.« Diedrich Diederichsen
Die Möglichkeit der ökonomischen Vereinnahmung von Punk liegt wohl auch in seiner apolitischen Haltung. So formulierte etwa Diederichsen: »Punk hatte als Ganzes kein politisches Programm, Punk als Methode der universellen Infragestellung, eines ultraskeptischen debasement ließ (und lässt) sich mit allen möglichen politischen Bestrebungen verknüpfen.« Eben jene ideologische Offenheit ließ ihn anfällig werden für rechtsextreme Vereinnahmung, die ihm schon von Beginn drohte – Skrewdriver, die Urkeimzelle des Rechtsrock, mischten schon 1976 mit –, aber eben auch jener von neoliberalen Business-Punks.
Letzteres hat auch damit zu tun, dass Punk Möglichkeitsoffenheit herstellte, in der nichts so sein muss, wie es war, sondern auch anders gemacht werden kann, was großes Potential für die ökonomische Optimierung freisetzte. Wie schon das Kollektiv CrimethInc. bemerkte, gründet die Popkultur des digitalisierten Kapitalismus auf dem partizipativen, aber gezähmten und kommerzialisierten DIY-Gedanken, dass jede:r mit einer Smartphone-Kamera auf den Social-Media-Plattformen zu einem kleinen Star werden kann.
Ohne Provokation und Tumult, ohne Exzess und Straßenschlacht ist ein vermarktetes Punk-Image längst impulsgebend für die bürgerliche Hochkultur – man denke nur an den ehemaligen Hausbesetzer Daniel Richter, dessen Gemälde Millionenumsätze erzielen, Schorsch Kamerun, den Sänger der Goldenen Zitronen, der als Regisseur im staatlichen Theaterbetrieb avancierte, oder Patti Smith, die godmother des Punk, die für Bob Dylan im royalen Setting der Nobelpreisverleihung ein Ständchen sang. Wenn man eines über den Kapitalismus weiß, dann, dass er imstande ist, noch den subversivsten Kulturinhalt zu vereinnahmen. Auch Punk gehört dazu.