Ausgebildete Unzufriedenheit
Die Suche nach einem Ausbildungsplatz sollte in Berlin und Brandenburg ein Leichtes sein. In der Hauptstadt sind etwa 5.000 Plätze unbesetzt, im umliegenden Brandenburg sind es gar 10.500; das sind 17,2 Prozent der angebotenen Stellen. Damit liegt Brandenburg bundesweit an der Spitze.
Hinzu kommt, dass immer mehr Azubis ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen. Für Arbeitgeberverbände, Handwerkskammern und Mittelstandsvereinigungen ist der Fall klar: Schuld sind die anderen. Der Staat, weil die Schulen unzureichend auf das anstehende Berufsleben vorbereiten. Der Zeitgeist, weil ein Studium vermeintlich höher im Kurs steht als eine Ausbildung. Die Jugend im Allgemeinen, weil sie harter Arbeit nichts mehr abgewinnen kann.
Eine andere Perspektive eröffnet der jährliche Ausbildungsreport der DGB-Jugend Berlin-Brandenburg. Seit zwölf Jahren untersucht die Gewerkschaftsjugend die Ausbildungsqualität und -zufriedenheit in Berlin und Brandenburg. Im zurückliegenden Jahr wurden für die Studie mehr als 1.600 Auszubildende befragt. Schlecht schneiden dabei ausgerechnet die Branchen ab, die sich besonders lautstark über einen Mangel an Nachwuchs beklagen. Vor allem Auszubildende der Veranstaltungstechnik (55 Prozent), im Hotel- und Gaststättenbereich (58 Prozent), in Einzelhandels- und Verkaufsberufen (62 Prozent) sowie Köch:innen (64 Prozent) sind demnach unzufrieden und bewerten ihre Betriebe als mangelhaft. Der Fachkräftemangel in diesen Branchen ist also durchaus hausgemacht.
Soziale Unsicherheit und wachsender psychischer Druck prägen bereits die Berufsausbildung.
Insgesamt sinkt die Ausbildungszufriedenheit. So sind zwar 69 Prozent der Befragten mit ihrer Ausbildung »zufrieden« oder »sehr zufrieden«, 2012, zu Beginn der Erhebung, waren es aber noch 78 Prozent. Insbesondere die Zahl der »sehr zufriedenen« Nachwuchskräfte hat sich innerhalb von zwölf Jahren nahezu halbiert. Bemerkbar macht sich die sinkende Zufriedenheit auch bei der Zahl der Ausbildungsabbrüche. In Berlin wurden dem Report zufolge 34,8 Prozent und in Brandenburg 30,3 Prozent der Ausbildungsverträge vorzeitig aufgelöst. Beide Bundesländer liegen damit über dem Bundesdurchschnitt; Berlin ist Spitzenreiter.
Ein entscheidender Faktor für die Unzufriedenheit junger Beschäftigter sind die vorherrschenden Arbeitsbedingungen. So gehören laut Report die nach dem Berufsbildungsgesetz eigentlich nicht vorgesehen Überstunden zum Alltag vieler Azubis. Mehr als ein Viertel der Befragten gab an, regelmäßig Mehrarbeit zu leisten. Branchen wie die Veranstaltungstechnik mit 65 Prozent und der Hotel- und Gaststättensektor mit 61 Prozent liegen hier an der Spitze. Häufig falle es jungen Menschen schwer, sich gegen Überstunden zu wehren. Gerade wenn die Übernahme in eine unbefristete Stelle ungewiss sei, wollten sie einen guten Eindruck hinterlassen.
Soziale Unsicherheit und wachsender psychischer Druck, die inzwischen fester Bestandteil der Arbeitswelt in Deutschland sind, prägen bereits die Ausbildung. Die Mehrheit der Befragten kann nicht einschätzen, ob sie von ihrem Betrieb nach der Ausbildung übernommen werden. Lediglich 38 Prozent halten eine Übernahme für wahrscheinlich.
Bezahlung spielt eine wesentliche Rolle
Wenig überraschend spielt bei der Zufriedenheit junger Beschäftigter die Bezahlung eine wesentliche Rolle. Während von Auszubildenden mit einer Ausbildungsvergütung bis 600 Euro nur 43 Prozent angeben, (sehr) zufrieden zu sein, sind es bei Azubis mit einer Vergütung von mehr als 1.000 Euro 69 bis 75 Prozent. »Auszubildende brauchen eine faire Vergütung, denn Lehrjahre sollen keine Jahre am Existenzminimum sein«, fordert daher die Gewerkschaftsjugend und macht sich unter anderem für eine Erhöhung der Mindestausbildungsvergütung stark.
Es geht aber nicht nur ums Geld, sondern zudem um die Ausbildungsqualität. Entscheidend sind dabei die Ausbilder:innen. »Auf den Schultern der Ausbilder:innen lastet viel Verantwortung. Von ihrer Betreuung hängt maßgeblich auch die Qualität der Ausbildung ab, sie begleiten junge Menschen in ihren ersten Schritten ins Berufsleben«, betont die DGB-Jugend Berlin-Brandenburg.
Ausgerechnet hier verschlechtert sich die Situation jedoch kontinuierlich. Gaben 2012 noch 79 Prozent der Azubis an, ihre:n Ausbilder:in »immer« oder »häufig« zu sehen, ist der Anteil inzwischen auf 69 Prozent gesunken. Bei 14 Prozent ist ein:e Ausbilder:in sogar nur »selten« oder »nie« anwesend. Zudem ergab die Befragung, dass 60 Prozent der Auszubildenden seltener als einmal im Monat eine persönliche Rückmeldung zu ihren Ausbildungsfortschritten bekommen.
Gewerkschaftsjugend sieht dringenden Handlungsbedarf
Die Gewerkschaftsjugend sieht dringenden Handlungsbedarf und nimmt deshalb die Ausbildungsbetriebe in die Pflicht. Ausbilder:innen bräuchten »einerseits ausreichend zeitliche Ressourcen, um eine enge Betreuung sicherstellen und Arbeitsvorgänge zufriedenstellend erklären zu können«. Andererseits müssten die Arbeitgeber:innen »ihnen die Möglichkeit geben, sich regelmäßig fort- und weiterbilden zu können«, fordert die DGB-Jugend in ihrem Report. »Das Ziel muss eine enge Begleitung aller Auszubildenden auf Augenhöhe sein.«
Konkret fordern die Gewerkschaften einen Betreuungsschlüssel von acht zu eins für hauptberufliches Ausbildungspersonal und eine Stärkung der Rahmenbedingungen für die duale Ausbildung sowie mehr Investitionen in die Berufsschulen.
Ob sie damit bei der sich abzeichnenden schwarz-roten Bundesregierung Gehör finden, ist unklar. Die Union postuliert zwar regelmäßig die zentrale Rolle der beruflichen Bildung. Reformen des Berufsbildungsgesetzes zum Ausbau der Rechte von Auszubildenden und einer Verbesserung der Ausbildungsbedingungen stand sie bisher jedoch immer ablehnend gegenüber.