13.03.2025
Anja Voigt, Intensivpflegerin und Mitglied von Verdi, im Gespräch über den Arbeitskampf an Berliner Krankenhäusern

»Die Streikbereitschaft nimmt bundesweit zu«

Im Tarifstreit des öffentlichen Diensts von Bund und Kommunen kam es am Donnerstag und Freitag vergangener Woche erneut zu Warnstreiks. Ihnen angeschlossen hatte sich unter anderem das nichtmedizinische Personal der Berliner Charité und der landeseigenen Klinikgruppe Vivantes. Die »Jungle World« sprach mit Anja Voigt, Intensivpflegerin bei Vivantes und Mitglied der Bundestarifkommission von Verdi.

Warum streiken Sie und Ihre Kolleg:innen in der Charité und bei Vivantes?
Weil es mehr Wertschätzung für unsere Arbeit braucht, mehr Geld und mehr Freizeit; die Arbeit im Gesundheitsbereich muss attraktiver werden.

Das heißt konkret?
Wir fordern acht Prozent mehr Lohn, mindestens aber 350 Euro, drei Tage mehr Urlaub und erhöhte Zulagen, zum Beispiel für Nachtschichten.

Wie reagiert die Arbeitgeberseite auf Ihre Forderungen?
Die hätte am liebsten eine Nullrunde. Wir haben schon zwei Verhandlungsrunden hinter uns, ohne dass ein Angebot der Arbeitgeberseite vorliegt, das ist außergewöhnlich. Normalerweise liegt zur zweiten Runde wenigstens ein Gegenvorschlag auf dem Tisch. Deswegen ist die Streikbeteiligung in den Krankenhäusern derzeit sehr gut, deutlich höher als bei den vergangenen Warnstreiks.

»Wir sind deutschlandweit gut vernetzt und hatten bei unseren Streikkundgebungen Videocalls mit anderen Krankenhausstandorten, bei dem wir uns gegenseitig gegrüßt und Mut gemacht haben.«

Heißt es nicht immer, im Gesundheitsbereich sei es aufgrund eines schlechten gewerkschaftlichen Organisationsgrades schwierig, Arbeitskämpfe zu führen?
Das hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt, auch weil die Situation in den Krankenhäusern immer schlechter wird. Vor allem aber hat es ja 2021 in Berlin die große Auseinandersetzung um den Entlastungstarifvertrag gegeben. Die Kampfbereitschaft ist seither geblieben, weil die Kolleg:innen damals erlebt haben, dass man Erfolg haben kann, wenn man sich zusammenschließt.

Ist das eine Berliner Besonderheit?
Die Streikbereitschaft nimmt bundesweit zu. Wir sind deutschlandweit gut vernetzt und hatten bei unseren Streikkundgebungen Videocalls mit anderen Krankenhausstandorten, bei dem wir uns gegenseitig gegrüßt und Mut gemacht haben. Da bekommt man dann schon mit, dass auch bundesweit die Bereitschaft zur Auseinandersetzung wächst.

Was ist der Grund dafür?
Wir haben eine älter werdende Bevölkerung mit höherem Behandlungsbedarf, wir haben aber auch einen großen technischen Fortschritt in der Medizin, mehr Sachen, die man machen kann – es gibt nur immer weniger von uns. Bei mir auf der Intensivstation, wo die Patienten einen hohen Pflegebedarf haben, viel Technik überwacht werden muss, kam früher eine Pflegekraft auf zwei Patienten, jetzt sind es drei, wenn es ganz schlecht läuft vier. Das betrifft nicht nur die Pflege, das geht durch alle Berufsgruppen, Therapeuten, Radiologen, alle. Das liegt an diesem Finanzierungsmodell für die Krankenhäuser, daran, dass der Markt bestimmen soll.

Wie reagieren die Patient:innen auf den Streik?
Noch ist die Stimmung ganz okay. In den Krankenhäusern legen wir Infos, warum wir streiken, zum Nachlesen aus, an den Streikposten sprechen wir mit Patient:innen und Angehörigen. Da und auf unseren Kundgebungen versuchen wir immer klarzumachen, dass es hier nicht nur um uns geht, sondern dass gute Arbeitsbedingungen für uns auch gut für die Patienten sind.

Was machen Sie, wenn die Arbeitgeberseite nicht reagiert?
Zuerst einmal hoffe ich, dass jetzt endlich ein Angebot, über das man weiterverhandeln kann, vorgelegt wird. Wenn nicht, müssen wir die Streiks ausdehnen. Die Kolleg:innen sind bereit, in längere Auseinandersetzungen zu gehen.