Die Union bekämpft eine angebliche »Schattenstruktur«
Auf 700.000 Euro will die Kommune Salzwedel in Sachsen-Anhalt verzichten – für eine Stadt mit weniger als 25.000 Einwohnern eine durchaus stattliche Summe. Es handelt sich um Mittel aus dem Bundesprogramm »Demokratie leben«. In den kommenden acht Jahren hätten sie in die Jugendarbeit und an verschiedene gemeinnützige Organisationen fließen sollen. Zum Beispiel an »Miteinander e. V.« – der Verein betreibt in Sachsen-Anhalt Projekte wie die mobile Opferberatung für Opfer rechtsextremer, rassistischer oder antisemitischer Gewalt, oder eine Beratung für Eltern, deren Kinder in die rechtsextreme Szene abzurutschen drohen.
Doch im Stadtrat von Salzwedel lehnten Ende Februar unter anderem Abgeordnete der CDU und der AfD die Fördermittel ab – mit der Begründung, dass die Kommune selbst 4.500 Euro im Jahr zuschießen müsste. So ähnlich war es einige Wochen zuvor im sächsischen Bautzen gelaufen. Der CDU-Landrat strich dort die vom Landkreis selbst zu erbringenden Mittel für die örtlichen »Demokratie leben«-Projekte – und verzichtete damit auf 1,6 Millionen Euro an Bundesmitteln bis 2032.
Die CDU-nahe, gemeinnützige Konrad-Adenauer-Stiftung bekam 2022 vom Bund über 215 Millionen Euro. Zum Vergleich: Das Programm »Demokratie leben« verteilte 2023 nur 182 Millionen Euro.
Beide Vorgänge zeigen: Längst nicht mehr nur die AfD hat gemeinnützige Organisationen aufs Korn genommen. Ende Februar war das auch im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns zu beobachten. Die AfD war der CDU dort knapp zuvorgekommen. Der AfD-Abgeordnete Michael Meister stellte eine Kleine Anfrage zur »Neutralität staatlich geförderter Organisationen«. Immer mehr »Berichte decken auf«, hieß es dort, »dass angeblich gemeinnützige Organisationen mit Steuergeldern gefördert werden, während sie sich gleichzeitig aktiv in parteipolitische Debatten einmischen oder sogar offen Wahlkampf für bestimmte Parteien betreiben«. Deshalb wollte Meister von der Landesregierung wissen, welche gemeinnützigen Organisationen Landes- oder Bundesmittel erhalten hätten und ob sie sich »in den vergangenen Jahren öffentlich politisch geäußert oder an parteipolitischen Kampagnen beteiligt« hätten.
Noch am selben Tag stellte die CDU-Landtagsfraktion eine sehr ähnliche Kleine Anfrage. »Die Frage nach der politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen sorgt zusehends für Debatten«, hieß es darin. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Daniel Peters sagte dem NDR, diese inhaltliche Nähe sei für ihn kein Problem: Gelegentlich würden sich mehrere Fraktionen für dasselbe Thema interessieren, »so was kommt vor«.
Der rechtsextreme Verein »Ein Prozent« will »den Sumpf trockenlegen«
Beide Anfragen waren offensichtlich inspiriert – bis hin zu einzelnen Formulierungen – von der Kleinen Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag, die drei Tage zuvor, am 24. Februar, veröffentlicht worden war und seitdem große Aufregung verursacht. »Manche Stimmen sehen in den NGOs eine Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt«, schrieb die Union darin. In 551 Fragen wurde zum Teil sehr spezifisch nach einzelnen, namentlich genannten gemeinnützigen Vereinen gefragt: Erfüllen diese nach Ansicht der Bundesregierung das Kriterium der Gemeinnützigkeit? Und wann wurde das zum letzten Mal durch das Finanzamt geprüft?
Der Verlust der Gemeinnützigkeit kann für einen Verein den finanziellen Ruin bedeuten. Nicht nur müssen sie dann selbst Steuern zahlen, auch Spenden an den Verein können nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden. Staatliche Fördermittel lassen sich ebenso nicht mehr beantragen.
Schon seit längerem haben vor allem Vereine, die sich gegen Rechtsextremismus und die AfD einsetzen, mit anonymen Anzeigen bei Finanzämtern zu kämpfen. Der rechtsextreme Verein »Ein Prozent« veröffentlichte kürzlich eine Anleitung, wie das angeblich am besten geht: »Jeder kann mitmachen – es ist Zeit, den Sumpf trockenzulegen!«
Eine Prüfung durch das Finanzamt kostet die Vereine Geld und Arbeit und erschwert die langfristige Planung. Vor allem aber gibt es tatsächlich das Risiko, die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Denn gesetzlich sind dem politischen Engagement gemeinnütziger Organisationen enge Grenzen gesetzt. 2019 entschied der Bundesfinanzhof, der Organisation Attac die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Zur Begründung hieß es: »Die Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung ist kein eigenständiger gemeinnütziger Zweck.«
Ampel-Reform des Gemeinnützigkeitsrechts und »Demokratiefördergesetz« blieben aus
Die nun scheidende Regierungskoalition hatte ursprünglich eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts im Koalitionsvertrag vereinbart. Sie versprach, Vereinen mehr Freiraum bei politischem Engagement zu geben. Im Juni vergangenen Jahres appellierten mehr als 100 Organisationen, vor allem aus Ostdeutschland, in einem offenen Brief an die Bundesregierung, dem auch endlich nachzukommen. Wegen der geltenden Gesetzeslage müssten sie befürchten, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren, wenn sie etwa Demonstrationen gegen die AfD organisierten, hieß es in dem Brief. Doch die Bundesregierung hat eine entsprechende Reform nie vorgelegt.
Ebenfalls von der Bundesregierung geplant war ein »Demokratiefördergesetz«, das die bisherige staatliche Förderung durch Programme wie »Demokratie leben« verstetigen sollte. Dadurch sollte es Organisationen ermöglicht werden, dauerhafte Strukturen mit festen Stellen aufzubauen. Diese Reform scheiterte ebenfalls, vor allem am Widerstand der FDP.
In der gegenwärtigen Diskussion über die sogenannte Zivilgesellschaft werden diese beiden Punkte oft vermischt: der Erhalt staatlicher Förderung und der Entzug der Gemeinnützigkeit. Bei Ersterem kann man es für gefährlich halten, die staatliche Förderung für zum Beispiel Projekte gegen Rechtsextremismus in Ostdeutschland einzustellen – eine Einschränkung politischer Freiheiten stellt das aber nicht dar.
Falsch ist der Eindruck, der Staat fördere nur die linke oder linksliberale Zivilgesellschaft
Anders sieht es mit der Entziehung der Gemeinnützigkeit aus: Dies kann auch für Vereine, die überhaupt keine staatlichen Mittel beziehen, existenzbedrohend sein. Im vergangenen Jahr rügte die EU-Kommission in ihrem Rechtsstaatlichkeitsbericht, dass die restriktive Gesetzeslage in Deutschland »die Bereitschaft von zivilgesellschaftlichen Organisationen, sich an der öffentlichen Debatte zu beteiligen, beeinträchtigen« könne.
Falsch ist der weitverbreitete Eindruck, der Staat fördere praktisch nur die linke oder linksliberale Zivilgesellschaft. Das stimmt schon deshalb nicht, weil ein Großteil solcher Förderung über die Parteistiftungen läuft. Die CDU-nahe, gemeinnützige Konrad-Adenauer-Stiftung bekam 2022 vom Bund über 215 Millionen Euro. Zum Vergleich: Das Programm »Demokratie leben« verteilte 2023 insgesamt 182 Millionen Euro.
Die Süddeutsche Zeitung wies kürzlich daraufhin, dass zum Beispiel der Bund der Vertriebenen, der jahrzehntelang eng mit der Union verbunden war, noch 2023 insgesamt 3,5 Millionen Euro aus öffentlicher Förderung erhielt; der Bauernverband, der für die wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder Lobbyismus betreibt und Proteste veranstaltet, erhielt im selben Jahr allein vom Bund 1,7 Millionen Euro.
Einflussreiche Organisationen der Zivilgesellschaft werden von Unternehmern finanziert, die es sich leisten können, dabei auf Gemeinnützigkeit zu verzichten. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zum Beispiel ist eine GmbH.
Verteidiger der Zivilgesellschaft verwenden den Begriff häufig so, als habe er einen Heiligenschein, als sei von dort nur Fortschrittliches zu erwarten. Doch zur Zivilgesellschaft gehören auch rechtsextreme Vereine wie der bereits genannte »Ein Prozent«, der Spenden sammelt und sich selbst als »Greenpeace für Deutschland« bewarb.
Einflussreiche Organisationen der Zivilgesellschaft werden unterdessen von Unternehmern finanziert, die es sich leisten können, dabei auf Gemeinnützigkeit zu verzichten. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zum Beispiel ist eine GmbH. Mit reichlich Geld von Arbeitgeberverbänden ausgestattet, fährt sie öffentlichkeitswirksame Kampagnen gegen den Sozialstaat und auch einzelne Parteien wie die Grünen.
Diese Art politischer Einflussnahme stört den voraussichtlichen nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vermutlich nicht – er war schließlich am Aufbau von INSM beteiligt. Laut dem gemeinnützigen Verein Lobbycontrol war er »Gründungs- und langjähriges Mitglied im Förderverein der INSM, der den einzigen Zweck hatte, die Gründung der INSM vorzubereiten«.