13.03.2025
Das Vorgehen gegen die Schattenbibliothek Library Genesis

Verlagskonzerne gegen Schattenbibliotheken

Library Genesis ist die größte illegale Online-Bibliothek der Welt und wird vor allem von Wissenschaftler:innen genutzt. Im Dezember wurde sie in Deutschland gesperrt.

»Seite wurde nicht gefunden« – das sahen in den vergangenen Monaten viele auf ihren Bildschirmen, als sie versuchten, sich über das Online-Portal Lib­rary Genesis (kurz: Libgen) wissenschaftliche Literatur zu beschaffen. Am 19. Dezember hatte die Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) eine DNS-Sperre gegen Libgen in Deutschland erwirkt. Von einem deutschen Internetanschluss aus ist sie damit nur noch zu erreichen, wenn man die Sperre aktiv umgeht.
Libgen ist die größte nichtkommerzielle Online-Bibliothek der Welt, nach eigenen Angaben stellt sie über 84 Millionen wissenschaftliche Artikel und 33 Millionen Bücher zum Download bereit. Und zwar kostenlos – in vielen Ländern haben Gerichte solche sogenannten Schattenbibliotheken in der Vergangenheit für illegal erklärt.

Gegründet wurde sie etwa 2008 in Russland. Das spiegelt sich auch in der Nutzer:innenstruktur nieder. Balázs Bodó, Professor am Amsterdamer Institute for Information Law, hat das 2018 in einem Aufsatz aufgeschlüsselt. Ihm zufolge kamen damals 31 Prozent aller Downloads von Libgen aus Russland, fünf Prozent aus der Ukraine.

Schattenbibliotheken sind Reaktionen darauf, dass Wissen­schafts­publikationen weitestgehend von privaten und proftiorientierten Unternehmen verlegt werden.

Dass die Seite, wie auch andere Shar­ing-Plattformen, aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion kommt, hat historische Gründe. Die staatliche Zensur hatte dort zum Samisdat geführt, einer Tradition der Vervielfältigung und privaten Weitergabe von Texten, Musikstücken und Filmen, die entweder verboten oder auf offiziellen Wegen nicht zu bekommen waren. Weil vor allem internationale Literatur, auch wissenschaftliche, schwer zu beschaffen war, tauschte und sammelte man in großem Stil. Mit der Verbreitung von Computern in den neunziger Jahren fanden die Sammlungen ihren Weg ins Netz. Libgen integrierte andere Sammlungen, organisierte sie und stellte sie der Öffentlichkeit zur Verfügung. Zugute kam ihr dabei die laxe Hand­habung von Urheberrechten in Russland, wo seit Jahrzehnten auch internationale Musik- oder Filmkonzerne große Schwierigkeiten haben, gegen die illegale Verbreitung ihrer Produkte vorzugehen.

Seitdem wurde die Plattform immer wieder juristisch attackiert und in mehreren Ländern blockiert. 2015 hatte Elsevier, einer der größten Wissenschaftsverlage der Welt, an einem New Yorker Gericht erfolgreich erstritten, dass die damalige Hauptdomain sowie weitere Spiegelungen von Libgen offline gehen mussten. In Deutschland folgte nun die Sperrung der Seite durch die CUII im Dezember.

Clearingstelle keine neutrale Institution

Die Clearingstelle existiert seit 2021 und ist keine staatliche Behörde. Ihr gehören zum einen Urheberrechtsverbände an, darunter neben Musik- und Filmverbänden auch die International Association of Scientific, Technical &  Medical Publishers (STM), ein Zusammenschluss der größten Wissenschaftsverlage der Welt. Zum anderen sind große Internetanbieter wie die Telekom oder Vodafone Mitglied. Die Clearingstelle zielt darauf, »strukturell urheberrechtsverletzende Webseiten« mit einer sogenannten DNS-Sperre zu belegen. Damit wird die Website nicht gelöscht, aber sozusagen aus dem Adressbuch des Internets gestrichen, so dass sie nicht mehr ohne weiteres auffindbar ist. Das traf in der Vergangenheit beispielsweise beliebte Streaming-Websites wie Kino.to.

Die Prüfausschüsse der Clearingstelle, die über eine solche Netzsperre entscheiden, bestehen aus drei Personen: eine vertritt die Seite der Rechteinhaber und eine andere die der Internetprovider. Den Vorsitz hat ein Voll­jurist, der vorher in der staatlichen Verwaltung, bei einem Gericht oder in der Wissenschaft tätig war. Derzeit handelt es sich dabei nach Angaben von CUII um ehemalige Bundesrichter. Wurde eine Entscheidung getroffen, überprüft die Bundesnetzagentur deren Rechtmäßigkeit, vor allem in Hinblick auf die sogenannte Netzneutralität. Darunter versteht man die Idee, dass alle Inhalte im Netz von den Providern gleich behandelt werden sollen.

Kritiker:innen bemängeln jedoch, dass die Clearingstelle gerade keine neutrale Institution sei, sondern schlicht die Interessen der Rechte­inhab­er:in­nen vertrete. In einem Interview auf der Konferenz Republica 2021 hat Felix Reda darauf hingewiesen, dass die Internetprovider teils selbst ein Interesse an der Abschaltung kostenfreier Medienangebote hätten. T-Online bietet schließlich nicht nur Internetanschlüsse an, sondern betreibt auch den Streaming-Dienst Magenta TV. Der Rechtsanwalt Nico Gielen kritisierte damals zudem im Infobrief des Vereins zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes, dass die Honorare des Prüfungsausschusses von den Rechteinhaber:innen gezahlt werden, die eine Sperrung beantragen. Auch das lässt das Vertrauen in eine neutrale Begutachtung nicht unbedingt steigen.

Komplizierte Abwägungen von Grundrechten

Umstritten ist auch, woher die Clear­ingstelle überhaupt ihre Entscheidungsbefugnis bekommt. Denn anders als man vermuten könnte, gibt es kein Gesetz, das sie ins Leben gerufen hat. Die CUII ist das Resultat von Aushandlungen zwischen Internetanbietern und Urheberverbänden. Und obwohl sie komplizierte Abwägungen der Grundrechte von Internetnutzer:innen, Betreiber:innen von Websites, Ur­heber­rechtsinhaber:innen und Internetprovidern vornimmt, ist in Deutschland an der Entscheidung, eine Website zu sperren, zu keinem Zeitpunkt ein Gericht beteiligt. Betreiber von betroffenen Websites können lediglich nachträglich gegen die Entscheidung klagen. Trotzdem hat der Bundestag am 30. November 2023 einen Antrag der Fraktion »Die Linke« abgelehnt, Netzsperren nur noch aufgrund einer richterlichen Anordnung zuzulassen und sich auf europäischer Ebene gegen Netzsperren einzusetzen.

Plattformen wie Libgen sind für Forscher:innen und Recherchierende, die nicht an Universitäten angestellt oder immatrikuliert sind, oft die einzige Möglichkeit, an dringend benötigte wissenschaftliche Literatur zu kommen. Und auch Universitätsbibliotheken in ärmeren Ländern haben oft keinen umfänglichen Zugang zu kostspieligen akademischen Datenbanken, weshalb vor allem in solchen Ländern die Nutzung von Libgen weit­verbreitet ist.

Die Geschichte der mit Libgen vergleichbaren Plattform Sci-Hub ist hierfür ein gutes Beispiel. Deren Gründerin, Alexandra Elbakyan, ist eine Programmiererin aus Kasachstan, die sich darüber ärgerte, dass in ihrem Heimatland per Websperre der Zugang zur Blog-Plattform Live Journal blockiert worden war. 2011 gründete sie die Plattform Sci-Hub als »offen kommunistisches Projekt«, um teure wissenschaftliche Artikel kostenlos zugänglich zu machen. Gegen Sci-Hub läuft in In­dien derzeit ein Gerichtsverfahren, das unter anderem der Verlag Elsevier angestrengt hatte – mit offenem Ausgang. In Deutschland wurde im vergangenen Frühjahr eine Netzsperre gegen Sci-Hub verhängt.

Ope­rative Jahresgewinne in Milliardenhöhe

Die Open-Access-Bewegung kritisiert schon seit langem die gängige Praxis, dass Forschung zwar durch öffentliche Gelder finanziert wird, deren Resultate dann aber von privaten Verlagen teuer verkauft werden, die dabei teils ope­rative Jahresgewinne in Milliardenhöhe machen wie eben Elsevier. Die Käufer der Publikationen sind zudem vor allem ebenjene wissenschaftlichen Institutionen und Universitäten, deren Mitarbeitende den Verlagen zuvor kostenlos die Inhalte geliefert haben.

Zu den Unternehmen, die wegen solcher Praktiken besonders kritisiert werden, gehört denn auch Elsevier. Von 2016 bis 2023 waren die Zeitschriften des Verlags an vielen deutschen Universitäten nicht verfügbar, weil sich Elsevier und die deutsche Hochschulrektorenkonferenz lange nicht über eine angemessene Preispolitik und eine Open-Access-Regelung für Beiträge deutscher Wissen­schaft­ler:innen einigen konnten.

Schattenbibliotheken sind Reaktionen darauf, dass Wissenschaftspublikationen weitestgehend von proftiorientierten Unternehmen verlegt werden. Auch wenn diese Bibliotheken dabei gegen das Urheberrecht verstoßen, erinnern sie an das große Versprechen des Internets: das Wissen der Menschheit allen gleichermaßen zugänglich zu machen. Den großen Wissenschaftsverlagen scheint das weniger gut zu gefallen. Dass deren Anstrengungen besonders wirksam wären, lässt sich aber kaum behaupten. Wie man Libgen auch nach der Web-Sperre in Deutschland erreichen kann, lässt sich mit jeder Suchmaschine herausfinden.