20.03.2025
Punk ist unsterblich geworden

Auf Facebook tobt der Punkerkrieg

Die Frage, ob Punk nun tot ist oder weiterlebt, geht an seinem Wesen vorbei. Punk ist quasi unsterblich geworden, weil er ständige neu Ausformungen bildet, während alte absterben.

Punk feiert sein 50jähriges Jubiläum – oder gibt es nichts zu feiern? Wann, wie und wo Punk zuerst aufkam und was genau Punk eigentlich ist oder war, ob Punk noch ­gelebt wird oder ins Museum gehört – daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Punk stirbt nie, solange es jugendliche Außenseiter gibt, schrieb Jan Tölva (5/2025). Uli Krug hingegen meinte, die Geschichte des Punk sei schnell zu Ende gewesen und vor allem der heutige Polit-Punk nur ein müder Abklatsch (6/2025). Kolja Podkowik ­attestierte dem Punk eine besondere Kurzlebigkeit – alles, was danach kam, sei ­Folklore gewesen (7/2025). Tobias Brück schilderte Punk als Reaktion auf das Scheitern der Revolten der Sechziger und einen der Wegbereiter des Neoliberalismus (10/2025).

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Wie provoziert man Punks? Überraschend effektiv mit Punk! Insbesondere der Internet-Punk, dessen Lebensraum die Kommentarspalten sozialer Medien bilden, scheint ein extrem schnell zu verunsicherndes, fragiles Wesen zu sein. Es reicht ein simples Sharepic der derzeit populären Punkband Team Scheisse, auf dem deren Sänger dazu auffordert, eine Punkband zu gründen.

»Team Scheisse ist aber alles andere als Punk«, stellt ein Nutzer kategorisch fest. Weder zeigt der anonyme Herr seinen legitimierenden Punkinspektorausweis, noch wartet er sonst irgendwie mit einem Argument auf. Ein anderer lässt sich zum sicherlich noch nie zuvor getätigten Spruch »Der Name ist Programm!« hinreißen, und wieder jemand anderes greift zur ultimativen Beleidigung in Form einer rhetorischen Frage: »Was haben diese Hippies mit Punk am Hut?«

Dass es im Internet schnell eskaliert, ist keine neue Erkenntnis. Dass Punks gerne leidenschaftlich und ziellos darüber debattieren, wer zum Rudel gehören darf und wer nicht, und dass dabei keine Begründung – sofern überhaupt mitgeliefert – zu blöd ist, auch nicht. Im Gegenteil. Diskussionen darüber, ob etwas oder jemand (noch) Punk ist, sind fast so alt wie die Szene selbst.

Ständig sich wiederholende Gatekeeper-Debatte über Punk

Schon 1978 verschriftlichten Julie Burchill und Tony Parsons in ihrem Büchlein »The Boy Who Looked at Johnny« einen ersten schriftlichen Abgesang auf Punk, in den Crass mit »Punk Is Dead« im selben Jahr musikalisch einstimmten. Niemandem der frühen Totengräber:innen des Punk kann man einen Vorwurf machen. Sie konnten noch nicht wissen, dass sie an der Schwelle zur »zweiten Welle« des Punk standen, und ahnten nichts von der bis heute bestehenden Resilienz und Wandlungsfähigkeit der Szene. Aber spätestens nach »You’re Not a Punk« von den Spermbirds im Jahr 1986 waren alle Argumente eigentlich ausgetauscht.

Und warum trifft die sich ständig wiederholende Gatekeeper-Debatte über Punk jetzt, fast 50 Jahre nach 1976, Team Scheisse? Was veranlasst Menschen dazu, wütende Internetkommentare zu verfassen, anstatt für sich selbst schulterzuckend festzustellen, dass eine Band ihren Geschmack nicht trifft? Woher kommt der Drang danach und auch das nötige Selbstbewusstsein dafür, der Welt ungefragt öffentlich seine oder ihre Meinung über eine Punkband mitzuteilen, anstatt einfach weiterzuscrollen und Cock Sparrer lauter zu drehen?

Vielleicht ist genau das die Rebellion: In einer Gesellschaft, in der alle immer härter werden, ist es Gegenkultur, wieder weich zu werden, wie es viele jüngere Punkbands gerade proben.

Eine Erklärung wäre, dass es um mehr als nur Musik geht. Denn die 2016 gegründeten Team Scheisse repräsentieren einen gesellschaftlichen Normenwandel, der sich auch in der Herangehensweise vieler jüngerer Punkbands ausdrückt. In einem Interview mit dem Musikexpress erklärt die auch durch Jan Böhmermann zu ihrer Reichweite gekommene Band mit Verweis auf ihre DIY-Vergangenheit: Spielten Team Scheisse früher in linken Strukturen vor wenigen Leuten, aber in einer empathischen Umgebung mit Rücksicht und »awareness«, sahen sie sich mit wachsender Hallengröße verstärkt mit Mainstream-Verhalten konfrontiert.

»Punkrock, das sind Hunderte halbnackte, besoffene Männer, die Weizenbiergläser auf die Bühne werfen. Da war ein Reality Check«, so Schlagzeuger Simon Barth. Infolge dessen forderte die Band ihr Publikum auf, die T-Shirts anzulassen, und eta­blierte einen Moshpit für »Flinta«-Personen bei ihren Konzerten.

Einige Altgediente sehen das als persönlichen Angriff und verspüren eine narzisstische Kränkung. Die Absurdität des Ganzen wird klar, wenn man sich bewusst macht, dass einige wirklich einen nicht geringen Teil ihrer Freizeit darauf verwenden, für das vermeintliche Recht auf einen nackten Oberkörper beim Punkkonzert zu kämpfen. Die Rhetorik und Vehemenz dieser Social-Media-Krieger:innen kann überraschen. Lesen sich ihre Pamphlete doch mitunter so, als würde hier quasi die DDR 2.0 ausgerufen, weil jene, die meist ehrenamtlich ihre Zeit im Jugendzen­trum opfern, um anderen ein Punkkonzert zu präsentieren, Hausregeln irgendwo auf den Flyer geschrieben haben. Dann steht mal wieder die ganze Szene auf dem Spiel, die, im Tonfall bester Internethysterie, »zerstört« würde. Darunter macht man es schon ­lange nicht mehr.

Zum Punk gehörten schon immer Debatten über Regeln

Und so kommt es dann, dass auf einmal Menschen, die sich selbst im Punk und politisch links verorten, klingen, als wären sie Meinungs­redak­teur:innen auf Welt.de. Plötzlich sieht man sich mental überhitzt als Kultur­kämpfer:innen gegen die imaginäre Woke-Verschwörung. Ab da ist es auch nicht mehr weit bis zu irgendwas mit Trans und Selbstbestimmungsgesetz, durch das man auch noch eingeschränkt werde.

Das funktioniert freilich wie so oft nur mit extrem selektiver Wahrnehmung, Verabsolutierung der eigenen Gefühlswelt und viel Selbstmitleid, also all dem, was man ironischerweise der Projektionsfläche der »Woken« selbst zuschreibt. In irgendeinem fernen Früher war Punk noch wild, gefährlich und ohne Regeln. Wann das genau war, kann aber niemand sagen. »Nostalgia for an Age That Never ­Existed«, sang Jello Biafra 1994 (Nostalgie für eine Zeit, die es nie gegeben hat).

Wahr und belegt ist aber: Zum Punk gehörten schon immer Debatten über Regeln genauso wie die über seinen Tod. Punks debattierten leidenschaftlich über Kleiderordnungen, Eintrittspreise, Alkoholkonsum, Geschlechterrollen oder den Umgang mit potentiell rechtsoffenen Punks und Skinheads, also über »Regeln« für Punk, auch Verhaltensregeln. Aber die eigene Jugend erscheint im Rückblick mit etwas Abstand sicherlich immer etwas wilder und freier, als sie war.

Die rebellische Attitüde der Systemfeindlichkeit und die extreme Rechte

Und ja, Punk hat sich verändert, weil alles sich verändert. Punk ist nicht mehr die provokante Jugendkultur mit Straßenschlachten und Chaostagen. Hier hat Kolja Podkowik recht. Aber welche ist das heute schon? Politisch steht tatsächlich vieles von dem, was vor 30 bis 40 Jahren als utopische linksradikale Spinnerei galt, in Wahlprogrammen von Grünen und Linkspartei oder wurde, wie der Atomausstieg, schon vor langer Zeit von einer konservativen Regierung durchgesetzt. Und auch Friedrich Merz ist sicher »gegen Nazis«.

Die rebellische Attitüde der Systemfeindlichkeit eignet sich immer mehr die extreme Rechte an und die adäquate Antwort der politischen Linken darauf steht weiterhin aus. Dadurch stehen auch linke Gewissheiten in Frage und manche wagen den fragwürdigen Umkehrschluss, dass ein rechtskonservativer Habitus jetzt irgendwie Punk sei. Endstation Trump-Fan Johnny Rotten. Und – hot take – vielleicht ist genau das die Rebellion: In einer Gesellschaft, in der alle immer härter werden, ist es Gegenkultur, wieder weich zu werden, wie es viele jüngere Punkbands gerade proben.

Man muss natürlich nicht als Konservativer enden. Genauso wenig muss man alles affirmativ super finden, was eine neue Generation oder auch die eigene gerade macht. Sowieso kann man davon ausgehen, dass abgesehen von den Facebook-Kriegern die große schweigende Mehrheit der älteren Punks entspannte Menschen sind, denen vieles schlicht egal ist.

Grimmige Altpunks mit verschränkten Armen

Doch manche wollen partout nicht vom Schlachtfeld, auf dem um die Deutungshoheit gerungen wird, weichen. Bemerkenswert ist die Verbissenheit, mit der sie – fast immer Männer und fast immer mit einer gewissen Lebenserfahrung, soweit sich das nachvollziehen lässt – sich davon triggern lassen, dass sie nicht mehr die uneingeschränkte Autorität in einer Szene besitzen oder auch mal etwas nicht ganz richtig gemacht haben. In ihrem Selbstverständnis waren sie immer progressiv und auf der richtigen Seite und wollen sich nicht sagen lassen, dass vielleicht nicht alle Sprüche zum Beispiel in Richtung Frauen in der Szene angemessen waren.

Und so wie grimmige Erwachsene in der alten Bundesrepublik auf die Beatniks, Gammler und natürlich auch auf die ersten Punks geblickt haben, so blicken heutzutage einige grimmige Altpunks mit verschränkten Armen auf die Rotzgören, die sich erdreisten, ihren Punk selbst zu gestalten und etwas anders zu machen als sie damals. Sie sind tatsächlich die old farts of today (die alten Knacker von heute), vor denen Vomit Visions schon 1980 warnten. Allerdings: Die meisten der heutigen Kri­tiker:innen haben ihren Punk auch selbst gestaltet und klangen mit ihren Bands nicht mehr wie die Straßenjungs oder Charley’s Girls aus den Siebzigern.

Punk ist wie ein Süßwasserpolyp, der sich ständig erneuert und faktisch unsterblich geworden ist.

»Ist Punk nicht tot?« ist seit Jahrzehnten eine Standardfrage, die oft auch in szenefernen Medien gestellt wird. Dem liegt der Denkfehler zugrunde, dass Punk ein einzelner Organismus mit biologisch begrenzter Lebenszeit sei. Das ist natürlich Unsinn. Punk ist eher wie ein Süßwasserpolyp, der sich ständig erneuert und faktisch unsterblich geworden ist. Alte Zellen sterben ab, neue kommen hinzu. Hinzu kommt seine Undefinierbarkeit. Wie will man eine Szene, der sich sowohl die queerfeministische Aktivistin als auch der bierfreudige Oi-Punk zugehörig fühlen kann, auf einen Nenner bringen? Aber darüber kann man ja weiter auf Facebook diskutieren.