Annexion unerwünscht
Man kommt bei US-Präsident Donald Trump kaum noch hinterher. Als am Montag in der Zeitschrift The Atlantic ein Artikel mit dem Titel »The Trump Administration Accidentally Texted Me Its War Plans« erschien (Die Regierung Trump schickte mir aus Versehen ihre Kriegspläne), dürfte es vielen so gegangen sein wie einem Social-Media-Nutzer, der schrieb, einen kurzen Moment habe er gedacht, es habe sich um Pläne für die Annexion von Grönland gehandelt.
Tatsächlich war der Atlantic-Chefredakteur Jeffrey Goldberg jedoch in eine Signal-Gruppe eingeladen worden, in der hochrangige Vertreter der US-Regierung, inklusive Verteidigungsminister Pete Hegseth und Vizepräsident J. D. Vance, sich über die Angriffspläne auf die Houthi-Milizen im Jemen austauschten.
»Wir Grönländer haben alles getan, damit die Amerikaner verstehen, dass sie sowohl uns als Bevölkerung als auch unsere Souveränität verletzen.« Ministerpräsident Múte Bourup Egede
Als der Artikel erschien, verdrängte er für einige Zeit das Thema Grönland aus den Schlagzeilen und den einschlägigen sozialen Medien. Doch das dürfte sich bald wieder ändern: Ende der Woche ist ein Besuch einer hochrangigen US-Delegation auf der von rund 56.000 Menschen bewohnten, selbstverwalteten Insel angekündigt. Anreisen sollten ursprünglich unter anderem Usha Vance, die Frau des US-Vizepräsidenten, und der Nationale Sicherheitsberater Mike Waltz. Angesichts der unverhohlenen Forderungen Donald Trumps, Grönland, das zu Dänemark gehört und damit zur Nato (allerdings nicht zur EU), müsse Teil der USA werden, ist das eine Provokation, die schon jetzt in Grönland für Empörung sorgt – auch wenn Usha Vance offiziell nur plante, sich mit der grönländischen Kultur zu beschäftigen und einem traditionellen Hundeschlittenrennen im Städtchen Sisimiut beizuwohnen.
Vizepräsident Vance fügte der Provokation noch eine weitere hinzu, als er am Dienstag ankündigte, seine Frau nach Grönland begleiten zu wollen. »Die Aufregung um unseren Besuch in Grönland an diesem Freitag war so groß, deshalb habe ich beschlossen, dass ich nicht möchte, dass sie den ganzen Spaß allein hat«, sagte er in einem Video, das er auf der Plattform X (vormals Twitter) veröffentlichte. Statt des Hundeschlittenrennens kündigte Vance den Besuch eines US-Militärflugplatzes im Westen Grönlands an.
Die grönländische Parlamentswahl am 11. März war eindeutig ausgegangen. Die nun abgewählte Regierung hatte sie bewusst einige Wochen vorgezogen, um den Ansprüchen Trumps auf Grönland und der bewusst gestreuten Lügenpropaganda über die vermeintliche Zustimmung zu dessen Annexionsplänen in der grönländischen Bevölkerung klare politische Verhältnisse entgegenzusetzen. Mit 30,3 Prozent der abgegebenen Stimmen hatte die sozialliberale Partei Demokraatit gewonnen, die sich 2009 gegen die damals eingerichtete Selbstverwaltung Grönlands ausgesprochen hatte, mittlerweile allerdings eine, von der Bevölkerungsmehrheit auch unterstützte, Unabhängigkeit Grönlands befürwortet, wenn auch in sehr ferner Zukunft und nur dann, wenn den Grönländern daraus keine Nachteile erwachsen.
Den amerikanischen Besuchern den Rücken zudrehen
Die Trumps Plänen verhalten zugeneigte rechtspopulistische Partei Naleraq, für die 7.009 Wähler gestimmt hatten, erreichte zwar mit 24,8 Prozent der Stimmen den zweiten Platz, an der kommenden Regierung dürfte sie allerdings nicht beteiligt sein, da Demokraatit sie aufgrund unüberbrückbarer Differenzen als Koalitionspartner ausgeschlossen hat.
Mit anderen Worten: Die Mehrheit der Wähler möchte nicht von den USA annektiert werden und dies auch deutlich zeigen. Auf X und anderen Social-Media-Plattformen werden bereits Proteste gegen den unwillkommenen Besuch organisiert. »Wenn sie vorbeifahren, drehen wir ihnen den Rücken zu. Das ist unsere Art, ihnen zu zeigen, dass wir ihre Anwesenheit und ihr Vorgehen ablehnen«, heißt es in einem weithin verbreiteten Aufruf zu einer Demonstration am kommenden Samstag in Sisimiut. Andere lassen sich mit einer speziell produzierten, in den rot-weißen Landesfarben gehaltenen Kappe fotografieren, auf der es im Stil der typischen »Make America Great Again«-Kopfbedeckung heißt: »Make America Go Away«.
»Wir Grönländer haben alles getan, damit die Amerikaner verstehen, dass sie sowohl uns als Bevölkerung als auch unsere Souveränität verletzen«, sagte der noch amtierende grönländische Ministerpräsident Múte Bourup Egede von der bei der Wahl drittplatzierten Partei Inuit Ataqatigiit einem Bericht der Tageszeitung Sermitsiaq zufolge am Sonntag. Mittlerweile sei der Druck der US-Regierung so stark, »dass er kaum noch höher werden« könne. »Es hat nicht geholfen, dass wir in Grönland zusammenstehen, es hat nicht geholfen, dass wir unsere Meinung sagen, und diplomatische Bemühungen um einen Dialog sind vergebens.« Nun müsse die »internationale Gemeinschaft« reagieren.
Sicherheitsberater beim Hunderennen?
Am Montag äußerte sich auch der Vorsitzende des größten grönländischen Gewerkschaftsverbands SIK (Sulinermik Inuussutissarsiuteqartut Kattuffiat), Jess G. Berthelsen, zu den angekündigten Besuchern. »An vielen Stellen der Welt herrscht Krieg«, sagte er, »aber wir wurden darüber informiert, dass der US-Sicherheitsberater Mike Waltz und der US-Energieminister Chris Wright in unser Land kommen, um ein Hunderennen anzusehen.« Wie könne es sein, fragte er, »dass derart hochrangige Persönlichkeiten die Zeit haben, bei einem Wettrennen von Hunden anwesend zu sein, wenn es an so vielen Orten in der Welt brennt?«
Gleichzeitig forderte Berthelsen eine umfassende Untersuchung von Gesprächen grönländischer Politiker und Privatpersonen mit US-Offiziellen. Entsprechend genau dürfte auch beobachtet werden, mit wem sich die US-Delegation treffen wird, die alle Konferenz- und Event-Räume im Fünfsternehotel »Hans Egede« für sich reserviert hatte – was für Besucher einer Sportveranstaltung und allgemein an der Kultur eines Landes Interessierte eher ungewöhnlich erscheint.
Ob Waltz tatsächlich nach Grönland reisen wird, erscheint jedoch fraglich, denn er ist derjenige, der den Atlantic-Chefredakteur Goldberg in die Signal-Gruppe eingeladen hatte. Während Maga-Fans auf X seit Bekanntwerden des Skandals unermüdlich abwechselnd verkünden, dass diese Einladung entweder ein weiterer Beleg für die genialen Strategien von Präsident Trump sei (und zwar um den Europäern klarzumachen, dass sie für den Schutz von Handelsrouten durch das US-Militär künftig bezahlen müssten) oder eine gemeine Erfindung des ihnen als Trump-Kritiker besonders verhassten Journalisten Goldberg, hatte das Weiße Haus schnell zugegeben, dass dieser schlicht aus Versehen zur Gruppe hinzugefügt worden war.
An der ominösen Signal-Gruppe war so ziemlich alles illegal
Mit Rücksicht auf die nationale Sicherheit hatte der Journalist in seinem Atlantic-Artikel nicht alles veröffentlicht, was er dort erfahren hatte; die konkreten militärischen Planungen inklusive beispielsweise der angesetzten Uhrzeiten, der beteiligten Flugzeugtypen sowie des Namens eines CIA-Mitarbeiters verschwieg er bewusst.
Juristen zufolge war jedoch so ziemlich alles an dieser Signal-Gruppe illegal: Gespräche über geheime Projekte und Planungen ebensolcher Vorhaben sind Regierungsmitgliedern und ihren Mitarbeitern ausschließlich in besonders gesicherten Chats erlaubt. Über private Handys und andere Tools darf darauf nicht zugegriffen werden, denn zu diesen können Geheimdienste leicht Zugang erhalten und so die Nachrichten mitlesen, selbst wenn die Verschlüsselung von Signal selbst nicht geknackt wurde.
Eine Löschung solcher Gespräche, wie sie laut Goldberg vom Ersteller des Chats eingestellt worden war, ist ebenfalls illegal, wie Trump und seine Leute spätestens seit ihrer Kampagne gegen Hillary Clinton wissen müssten. Sie hatten skandalisiert, dass Clinton offizielle E-Mails auf einem privaten Server gespeichert hatte, wobei zahlreiche E-Mails gelöscht worden waren.
Trump, Vance und ein Huhn mit dänischer Flagge
Zudem hatte Waltz mit Goldberg einen Journalisten eingeladen, den Trump besonders hasst. Das könnte Waltz’ Karriere einen entscheidenden Knick verpassen, denn schließlich lässt Trump sich nur ungern lächerlich machen.
Und lächerlich gemacht wurde er in den vergangenen Tagen ausgiebig, vor allem in der Grönland-Frage, über die bereits viele Memes und Karikaturen kursieren. Eine auf X zu findende Zeichnung zeigt eine dem Eklat beim kürzlichen Besuch Wolodymyr Selenskyjs nachempfundene Szene, in der Trump, Vance und ein Huhn mit dänischer Flagge auf der Brust im Weißen Haus sitzen. Trump teilt dem Huhn mit: »Wir wollen Grönland und eure Eier« – eine Anspielung auf die Eierknappheit in den USA –, woraufhin Vance das Huhn auffordert: »Sag danke schön!«
Nicht nur Gegner Trumps in den USA betonen unter Verweis auf die im Atlantic veröffentlichten Screenshots, dass die bizarre Episode kein gutes Licht auf die US-Regierung als Ganzes wirft. Man sieht, dass es dabei nicht nur um die Sicherheit der Schifffahrtswege im Roten Meer ging, vielmehr schickten sich die hochrangigen Mitglieder einander erstaunliche Mengen an Emojis zu. »Das sind auch die Leute, die über die Ukraine, Grönland, Panama, Kanada ›verhandeln‹«, schrieb ein X-User verzweifelt.
»Måke Califørnia Great Ægain«: Dänemark solle Trump Kalifornien abkaufen. Danach könne Disneyland in Hans-Christian-Andersen-Land umbenannt werden und die Dänen würden für alle Zeiten genug Avocados für ihre Smørrebrøds haben – das verspricht der Initiatior der »Denmarkification«-Petition, der Frankoschweizer Xavier Dutoit.
Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders und Kalifornien wird bald dänisch. Das ist jedenfalls das Ziel der »Denmarkification«-Petition, die, wie die Los Angeles Times berichtete, ein Frankoschweizer namens Xavier Dutoit initiiert hat, nachdem er im Urlaub auf den Philippinen mitbekommen hatte, wie offenkundige Maga-Fans sich über die Annexion Grönlands unterhielten.
Sein Gegenvorschlag: »Måke Califørnia Great Ægain« – Dänemark solle Trump Kalifornien abkaufen. Danach könne Disneyland in Hans-Christian-Andersen-Land umbenannt werden und die Dänen würden für alle Zeiten genug Avocados für ihre Smørrebrøds haben, verspricht Dutoit. Außerdem sollten die Verhandlungen mit der US-Regierung von Managern der Firma Lego geleitet werden, da das Unternehmen »sehr viel Erfahrung mit quengelnden Kindern« habe. Unterstützt werden sollen sie von Leuten, die an der dänischen Politintrigen-Erfolgsserie »Borgen« beteiligt waren. Bis Redaktionsschluss wurde die Petition von fast 250.000 Personen unterschrieben.