Wiener Schmäh trifft genderfluiden Punk
Die Frage »Wem gehört die Stadt?« wird mittlerweile zumeist mit der Kritik an Immobilienspekulation und der Kommodifizierung öffentlicher Orte verbunden. Mitte der siebziger Jahre sah man das überwiegend noch anders – zumindest in der österreichischen Hauptstadt. »Wem gehört Wien?«, fragte der Künstler und Medientheoretiker Peter Weibel in der Kollektivarbeit »Wienfilm 1896–1976« von Ernst Schmidt Jr. (1976) Passanten vor versteckter Kamera und bekam darauf mit großer Selbstverständlichkeit immer wieder dieselbe Antwort zu hören: »Na, den Wienern!« Erst die Nachfrage, ob denn ein Grazer oder Linzer ebenso berechtigt sei, hier die Straße entlangzulaufen, und was man mit dem gemeinsamem Eigentum denn überhaupt anfangen könne, brachte die Befragten ins Schlingern.
Weibels satirisches Manöver, das sich gleichsam wie ein Refrain durch die Filmcollage hindurchzieht, schärft den Blick auf die Realität von Eigentumsverhältnissen, Teilhabe und Mitbestimmung. 1976, das Produktionsjahr des Films, ist schließlich auch das Jahr, in dem die Wiener Arena besetzt und zum selbstverwalteten Kulturzentrum umgestaltet wurde – ein Experiment, das drei Monate später mit dem Abriss ein Ende fand. Dieses Schlüsselereignis der jüngeren Wiener Stadtgeschichte wird in Schmidts Film von den damals sechsjährigen Kindern des Schriftstellers Werner Kofler sachkundig nacherzählt (»und die ›Besetzt‹-Tafel ham’s auch mit weggetan«).
Die von dem Festivalleitungsduo Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar kuratierte Reihe durchquert alle Gattungen, vom Spiel- und Fernsehfilm bis hin zum Essay- und Experimentalfilm.
Von Kofler stammt auch die Idee zu einer längeren Passage über Wiens Psychiatrische Klinik am Steinhof. Während die Kamera aus verschiedenen Perspektiven das festungsartige Gebäude in den Blick nimmt, erinnert sich eine ehemalige Patientin aus dem Off an die unerträglichen Zustände an diesem düsteren Ort. »Wienfilm 1896–1976« ist eine Collage aus historischen Aufnahmen, »Wochenschau«-Material und künstlerischen Beiträgen von Ernst Jandl, Valie Export, H. C. Artmann, Dieter Roth, Friederike Mayröcker und von Schmidt selbst.
Durch seine Form, disparates Material ganz frei und ohne Rücksicht auf Linearität und Sinn zu verbinden, stellt der Film selbst einen Akt der Inbesitznahme dar: eine nicht nur alternative, sondern auch kollektive Form der Stadtgeschichtsschreibung.
Unter dem Titel »Österreich – Eine Satire« widmete sich das filmhistorische Programm der gerade zu Ende gegangenen Diagonale in Graz dem satirischen Schaffen in der österreichischen Film- und Fernsehgeschichte in den Jahren 1976 bis 1989. Die von dem Festivalleitungsduo Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar kuratierte Reihe durchquert dabei alle Gattungen, vom Spiel- und Fernsehfilm bis hin zum Essay- und Experimentalfilm. Gegenstand der künstlerischen Bearbeitung sind etwa der Austrofaschismus, normative Geschlechterbilder und die Kapitalisierung nicht nur des weiblichen Körpers sowie der Wiener »Behördenabsurdismus«. Ausgehend von »Wienfilm 1896–1976«, dem Gravitationszentrum des Programms, lassen sich Verbindungen zu nahezu allen Beiträgen knüpfen, die Verwendung von Nachrichtenbildern ist dabei nur eines der wiederkehrenden Motive.
Elfriede Jelinek hat es sich auf ihrer Le-Corbusier-Liege bequem gemacht
In »Elfriede Jelinek. News from Home 18.8.88« (1988) filmt Valie Export die Schriftstellerin beim Betrachten der Fernsehnachrichtensendung »Zeit im Bild«. Jelinek, die es sich auf ihrer Le-Corbusier-Liege bequem gemacht hat, fungiert dabei als Zuseherin und Kommentatorin zweiter Ordnung. Sie muss dabei nicht mal überspitzen, das Tagesgeschehen ist grotesk genug. Das Geiseldrama in Gladbeck endet blutig, ehemalige Stahlarbeiter produzieren Blumenerde, FPÖ-Chef Jörg Haider hetzt gegen »Arbeitsunwillige«, ein US-amerikanischer evangelikaler Fernsehprediger gesteht vor laufender Kamera den Ehebruch mit einer Prostituierten. Nur der Wetterbericht bedarf keines Kommentars.
Um Nachrichten, das Leben, die Liebe und den Tod geht es in dem von Ulrich Seidl und Michael Glawogger gemeinsam an der Filmakademie in Wien gedrehten Montage- und Essayfilm »Krieg in Wien« (1989). Über die allgegenwärtigen Fernsehnachrichten sickern die globalen Krisen in die auf Gemütlichkeit getrimmten Wohnzimmer der Wienerinnen und Wiener. Found Footage und Selbstgedrehtes, Dokumentarisches und Fiktives stehen unverbunden nebeneinander: Bilder aus einer Leichenhalle, Nachrichten über eine Schiffskata-strophe vor den Philippinen, (inszenierte) Impressionen aus dem Berufsleben einer Lehrerin und einer Reiseleiterin; Großwäscherei, Erster Golfkrieg, Käsekrieg. Gelegentlich verwirrt »Krieg in Wien« auch mit alternativen Fakten. Bei Protesten gegen Kurt Waldheim sollen, so wird berichtet, drei Demonstranten zu Tode gekommen sein.
Das kritische Potential der Collage wird in »Der Einzug des Rokoko ins Inselreich der Huzzis« (1989) von Andreas Karner, Mara Mattuschka und Hans Werner Poschauko (1989) ins Anarchische gewendet. Die Geschichte um die Bekehrung eines Inselvolks durch den Jugendlichen Reverend M1Zimbe, der unter einem heftigen Mutterkomplex leidet, vollzieht sich in cartoonhaften Pappkulissen und vermischt Revue, Musical, Pantomime, Animationskunst und Lautgedicht. Subversive Strategien wie Aneignung, Parodie und Transgression kommen auch in den queeren Arbeiten von Ashley Hans Scheirl und Ursula Pürrer zum Einsatz. Ihre auf Super-8 gedrehten Experimentalfilme »Body-Building« (1984) und »Gezacktes Rinnsal schleicht sich schamlos schenkelnässend an« (1985) sind genderfluider Punk. In lustvollen Performances inszenieren sie ihre nackten Körper mit Bändern, Schnallen, Nadeln und Kohlestücken, in der letzteren Arbeit pirschen sie sich wie nachtaktive Tiere im Dunkeln neugierig an die eigene Kamera heran. Und das Pinkeln aus der ornamental verzierten Scham wird zum poetischen Akt.
Bombendrohungen, Blasphemievorwürfe und eine Parlamentsdebatte
Dass bissige Satire über das subkulturelle Milieu hinaus auch auf eine breitere Öffentlichkeit zielte, zeigen ORF-Fernsehfilme wie Franz Novotnys »Staatsoperette« (1977) nach einem Stück von Otto M. Zykan, »Jetzt oder nie« (1980) von »Kottan«-Regisseur Peter Patzak und »Durch dick und dünn« (1986) von Margareta Heinrich.
Novotnys burleske Persiflage auf die Erste Republik sorgte noch vor der Ausstrahlung für einen Skandal und wurde von konservativen ORF-Kuratoriumsmitgliedern als »vom staatspolitischen Aspekt her geradezu gefährlich« beurteilt, die Folge waren Bombendrohungen, Blasphemievorwürfe und eine Parlamentsdebatte. In »Durch dick und dünn« ist das Kriegsziel der eigene Körper. Hauptfigur ist eine junge yuppieske Werbemanagerin, die sich mit Diäten, Fressanfällen, Phasen von Einsamkeit und Selbsthass foltert, bis sie ihre sprechende Waage im hohen Bogen aus dem Fenster schmeißt.
Sture Amtsroutine, Ignoranz und ein kaum versteckter Rassismus kommen in »Jetzt oder nie – Ein Filmmärchen« im Gewand einer auf den ersten Blick harmlosen Seniorinnenkomödie daher. Als die 82jährige Frau Mörzinger im Park kurz auf das Neugeborene einer jungen türkischen Mutter aufpasst und diese verschwindet, gerät sie in einen Strudel aus Verwicklungen und Missverständnissen. Der kinderlosen Witwe beschert dies nicht nur eine Adoptiv-mutterschaft, eine zweite Ehe und die Initiation in die migrantischen Milieus der Stadt, sondern auch eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie. An dieser Stelle reiben sich die von den ironischen Liedern Georg Danzers begleiteten Abenteuer der Frau Mörzinger auch mit dem erschütternden Psychiatriebericht in »Wienfilm 1896–1976«.