Die Skeptikerin
»Ich kam im tiefsten Winter zur Welt«, singt Hildegard Knef zu Beginn ihres Klassikers »Von nun an ging’s bergab«. Die Zeile kann wohl nicht nur als Anspielung auf das Geburtsdatum Ende Dezember verstanden werden, sondern auch als Hinweis auf die Kindheit und Jugend der Schauspielerin und Sängerin im nationalsozialistischen Deutschland.
Letzteres bedeutete für andere allerdings einen weitaus tieferen Winter, profitierte doch die angehende Trickfilmzeichnerin von der Förderung durch den UFA-Produktionsleiter Wolfgang Liebeneiner und einer romantischen Verbindung zum »Reichsfilmdramaturgen« des Propagandaministeriums, Ewald von Demandowsky, und erhielt so in den letzten Kriegsjahren ihre ersten Spielfilmrollen in nationalsozialistischen Produktionen.
Irgendwo im Spannungsfeld von Trümmerfilm, Nachkriegsstrenge und den roten Rosen einer sich selbst genießenden Chansonnière lässt sich das schöpferische Erfolgsgeheimnis der Knef vermuten.
Ihre Auseinandersetzung mit dieser Zeit wird ihr Leben lang ambivalent bleiben. Sie heiratete nach Kriegsende den jüdischen US-Amerikaner Kurt Hirsch, wurde 1950 selbst US-amerikanische Staatsbürgerin und setzte sich später in ihrer Autobiographie »Der geschenkte Gaul« mit den Abgründen ihrer Weggefährten aus der NS-Zeit auseinander; sie schrieb etwa, sie habe die »Womit habe ich das verdient?«-Kreischer der Kriegstage gehasst.
Gleichwohl zeigt die neue Filmdokumentation über sie mit dem Titel »Ich will alles« auch einen Interviewausschnitt, in dem sie behauptet, ihre Generation habe von der Judenvernichtung nichts mitbekommen. Zur Wahrheit gehört wohl, dass sie bestenfalls nicht so genau wissen wollte, wohin die jüdischen Nachbarn verschwanden.
In den Nachkriegsjahren knüpfte Knef an die ersten Stationen ihrer Schauspielkarriere an und drehte als »Trümmerfilmmädchen« diverse Spielfilme, darunter den ersten deutsche Nachkriegsfilm »Die Mörder sind unter uns«. In »Ich will alles« wird deutlich, wie sehr es die junge, talentierte Frau damals wegzog von der Hässlichkeit und Zerstörung des Krieges in die funkelnde Sphäre des Kinos und des Showbusiness – ein Lockruf, dem sie kurz darauf in die USA folgte. Hier blieb der große Erfolg jedoch zunächst aus, so dass Knef schließlich resigniert zurückkehrte.
Die Erfahrung der Erfolglosigkeit, des Wartens auf Anrufe und Aufträge wollte die Künstlerin rückblickend dabei keinesfalls missen, stellt doch das Auf und Ab, das Hinfallen und Sichzurückkämpfen eine zentrale Triebkraft und auch ein konstantes thematisches Sujet ihres Werks dar. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland folgten, wie sie es selbst in einem in der Doku eingespielten Ausschnitt ausdrückte, »artig melodramatische« Rollen, in Filmen, deren Keuschheit und Betulichkeit auf die alliierte Beendigung des deutschen Traums von der antisemitischen Weltrevolution reagierte. Eine Ausnahme bildet eine Nacktszene im Spielfilm »Die Sünderin«, deren Skandalisierung Knef selbst scharfsinnig als Symptom der Verdrängung der Vergangenheit erkannte.
Mit der bundesdeutschen Öffentlichkeit verband Knef ein ambivalentes Verhältnis. Zum einen war ihr die oft von Missgunst, Vereinnahmungsversuchen und Lästereien geprägte Berichterstattung zuwider, zum anderen wusste sie um die entscheidende Bedeutung der medialen Aufmerksamkeit für ihren Erfolg als Künstlerin und suchte unermüdlich selbst das Rampenlicht.
Nie so ganz eine Weltbürgerin
Anders als ihre große Wegbereiterin Marlene Dietrich, die nicht nur dem nationalsozialistischen Deutschland zugunsten der USA den Rücken kehrte, als Knef dafür wohl noch zu jung war, sondern später auch vor israelischen Soldaten auftrat, wurde Knef so nie ganz eine Weltbürgerin, sondern blieb zeitlebens in eine Art produktiver Hassliebe mit ihrem Heimatland verstrickt.
So kehrte sie auch nach einem dann erfolgreichen zweiten Anlauf in den USA mit Triumphen am Broadway als »Hildegarde Neff« wieder nach Deutschland zurück, um mit großem Pech zunächst zahlreiche »kleine Filme mit großen Regisseuren« zu drehen, wie sie in einem in der Dokumentation gezeigten Gespräch bedauert.
Doch auch aus dieser vorübergehenden Versumpfung zog sich Knef wieder am eigenen Schopf heraus. »Ich will alles« zeigt auch ein Interview, in dem der Fragesteller der Künstlerin ein preußisches Verhältnis zur Arbeit unterstellt – doch ihre Arbeitswut zeichnet darüber hinaus ein großer Individualismus aus, der dann bisweilen doch eher angelsächsisch anmutet. Irgendwo in diesem Spannungsfeld zwischen Trümmerfilm, Nachkriegsstrenge und den roten Rosen einer sich selbst genießenden Chansonnière mit verruchten smokey eyes lässt sich das schöpferische Erfolgsgeheimnis der Diva vermuten.
Vielleicht war es auch das Ringen Knefs mit den Umständen zu Beginn ihres Lebens und ihrer Karriere, erlangte sie doch in ihrem singenden und schreibenden Aufbegehren gegen die drohende Erfolglosigkeit noch weitaus größeren Erfolg als durch ihre Schauspielrollen, in denen sie sich stets durch die Vorstellungen der Regisseure ausgebremst fühlte, wie die Dokumentation zeigt.
Tiefe, warme und zugleich nonchalante Stimme
Knefs tiefe, warme und zugleich nonchalante Stimme, die sie erst nach langem Zögern und zahlreichen Überredungsversuchen zum professionellen Gesang einsetzte, hat zu ihrem Erfolg als Chansonnière ebenso beigetragen wie die wortgewandten, oft autobiographischen und teilweise selbstgeschriebenen Texte. Neben dem eingangs zitierten »Von nun an ging’s bergab«, das das ewige Auf und Ab ihrer Karriere thematisiert, zählen zu ihrem Werk Oden an Berlin wie »Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen«, »Das ist Berlin« oder »Heimweh nach dem Kurfürstendamm«, in denen das Rohe und Abgründige ebenso wie das Lebendige der Stadt besungen wird, in der Knef wie einige Jahre vorher Marlene Dietrich auf der Roten Insel in Schöneberg aufwuchs.
In »Ich brauch’ Tapetenwechsel« entfaltet sie gesanglich ihre auch in der Dokumentation eindringlich dargelegte Lebenseinsicht, dass Beständigkeit nur als Veränderung gedacht werden könne, und in ihrem wohl bekanntesten Chanson »Für mich soll’s rote Rosen regnen« feiert sie die Welt des Schönen und Glamourösen – und ihre unbeirrbare Individualität, dank derer sie sich in jener über fünf Jahrzehnte hinweg behaupten konnte.
Ein wenig in Vergessenheit geraten ist hingegen Knefs schriftstellerisches Werk, obwohl »Der geschenkte Gaul« bei seinem Erscheinen 1970 zum seinerzeit international erfolgreichsten Buch eines deutschen Autors avancierte und mit »Das Urteil« über ihre Krebserkrankung und die mit ihr verbundene medizinische Odyssee sowie »So nicht« über den ungeklärten Tod ihres Halbbruders, des Jazz-Musikers Heinz Wulfestieg, zwei weitere gelungene Bücher folgten.
Trotz bisweilen stockenden Erfolgs in den späten siebziger Jahren und ihrer Medikamentenabhängigkeit infolge ihrer Erkrankung blieb Knef medial präsent, fand dank Billy Wilder noch einmal zum Film und nahm die Rolle einer gealterten Hollywood-Diva im Rollstuhl an (»Fedora«, 1978). Außerdem stand sie als eine der ersten Deutschen offen zu ihren schönheitschirurgischen Behandlungen, mit denen sie die in ihrer Branche erforderliche Alterslosigkeit erreichen wollte.
Zwischen preußischer Strenge und ausschweifendem Individualismus
Nicht gealtert ist jedenfalls das große und vielschichtige Werk der klugen, feinfühligen und talentierten Künstlerin, die bei aller Größe und allem Erfolg auch mit ihren Verhärtungen und Dämonen zu kämpfen hatte, aber gerade aus diesem Kampf immer wieder neue Kraft zu ziehen schien. Eine Kraft, die aus der Zerrissenheit zwischen Deutschland und den USA, zwischen preußischer Strenge und ausschweifendem Individualismus erwuchs und vor der man der letzten deutschen Diva auch hin und wieder ein wenig Ruhe gewünscht hätte. Denn während Marlene Dietrich ihre letzten Jahre geschützt vor den Augen der Welt in Paris verbrachte, schleppte sich Knef noch zwei Wochen vor ihrem Tod im Februar 2002 in die Talkshow von Johannes B. Kerner. Aber wer weiß, auf welche Lieder man ohne ihre Rastlosigkeit hätte verzichten müssen.
»Ich bin den weiten Weg gegangen«, heißt ein weiterer Klassiker Knefs aus dem Jahr 1974. Die Dokumentation »Ich will alles« zeichnet diesen langen Weg anhand von Archivmaterial, gelesenen Texten der Künstlerin und einem ausführlichen Gespräch mit ihrer einzigen Tochter Christina »Tinta« Palastanga auf kleinteilige, intime Weise nach und vermag es dabei zugleich, ein großes Bild der Grande Dame zu zeichnen. Neben ihrer beruflichen Achterbahnfahrt finden dabei auch ihre romantischen Beziehungen Beachtung, von der frühen Heirat mit Kurt Hirsch über die künstlerisch produktive, aber menschlich wohl von Härte und Unnachgiebigkeit geprägte Beziehung mit dem britischen Schauspieler David Cameron bis zur späten Harmonie mit Paul von Schell.
Vor allem aber zeichnet »Ich will alles« das Bild einer Skeptikerin, die haderte: mit ihren Erfolgen und Niederlagen, mit der deutschen Öffentlichkeit, mit idealistischen Glücksvorstellungen und nicht zuletzt mit sich selbst. Denn Knef vertraute mehr auf die Selbstentäußerung in der Kunst denn auf ihre Identität, wie auch in ihrem vielleicht klügsten Chanson »Ich möchte mich gern von mir trennen« deutlich wird: »Was kann es denn Schwereres geben, als so mit sich selber zu leben? Und dieses eben – ein ganzes Leben«.
Ich will alles. Hildegard Knef (D 2025). Buch und Regie: Luzia Schmid.