»Junge unbekannte Leute mit Bock auf Eskalation«
Was ist die Zelle79?
Caroline Schmitt: Die Zelle79 ist ein Hausprojekt, das zum Verbund des Mietshäusersyndikats gehört. Oben wohnen Leute und im Erdgeschoss sitzt ein gemeinnütziger Verein, der Raum für das linke, subkulturelle Szeneleben in seiner ganzen Breite bietet.
Linke Subkultur in Cottbus? Das ist wahrscheinlich für viele Menschen außerhalb Brandenburgs schwer vorstellbar.
CS: Klar, das ist hier nicht Kreuzberg oder Connewitz. Beim Gang durch die Stadt wirft man schon öfter mal einen Blick über die Schulter. Aber das ist das, was Linke in provinziellen Gegenden kennen. Bis zum vergangenen Sommer hatten wir eine Situation, die sich als skurrile Normalität beschreiben ließ. Wir hatten selten Angst, auch wenn wir nach Fußballspielen immer Scherben von Flaschen vor unserem Haus wegmachen mussten, die da wegen uns zerschlagen worden waren.
Fabi Buchholz: Es kam natürlich darauf an, wie man wahrgenommen wird. Sehr queere, punkige Leute oder ausländische Studierende hatten immer ein Risiko, angegriffen zu werden.
»Wichtig wäre, dass sich die Stadt eingesteht, dass es sich hier nicht um Einzelfälle handelt, dass es ein Problem gibt, und sich dazu positioniert.«
Was hat sich seit dem vergangenen Sommer geändert?
CS: Die Veränderung fand nicht von einem Tag auf den anderen statt, wir sind selbst noch dabei zu rekonstruieren, was geschah. Teil unserer skurrilen Normalität ist ja, dass man selbst über vieles hinwegguckt. Es fing damit an, dass Gruppen teils sehr junger Menschen, wir reden von zwölf bis 14 Jahren, vorbeikamen und vor dem Haus rumpöbelten. Dann tauchten rechte Graffiti auf. Eine ältere Gruppe wollte sich mit uns prügeln. Ein Studi, der vor unserem Haus Aufkleber der Nazi-Partei »Der III. Weg« abgekratzt hat, wurde zusammengeschlagen. Anfang März wurde im nahen Senftenberg das Jamm, ein alternativer Club, organisiert angegriffen.
Wie verändert das die Gefahrenlage für euch?
CS: Die alten Cottbusser Nazi-Strukturen haben sich professionalisiert, es handelt sich inzwischen um geschäftliche Netzwerke, die Geschäfte und Lokale betreiben. Vielleicht haben sie sich deshalb gesagt, die paar Zecken, die lassen wir in Ruhe. Jetzt tauchen junge unbekannte Leute auf, mit Bock auf Eskalation. Leute, die man noch nicht zuordnen kann, die sich mal als Ultras, mal als Anhänger von »Der III. Weg« bezeichnen. Junge, dynamische Gruppen, die sich beweisen wollen. Unberechenbar und dadurch gefährlich. Wir wissen nicht, was als Nächstes kommt.
Was sind die Ursachen dieser Entwicklung?
CS: Wir vermuten, dass das viel mit Social Media zu tun hat. Als es letzten Sommer losging mit Kids, die vor unserem Haus rumgeprollt haben, hatte das was von Social-Media-Mutproben. Wir gehen mal zu den Zecken und machen da was.
FB: Und natürlich der Populismus der AfD, die Hetze gegen linke Projekte, das ermutigt offenbar auch viele, wieder auf Linke loszugehen.
Was braucht es, um dem entgegenzuwirken?
FB: Was es auf jeden Fall nicht braucht, ist eine Neuauflage der Hufeisentheorie, ein Gerede von rechten und linken Extremisten. Wichtig wäre, dass sich die Stadt eingesteht, dass es sich hier nicht um Einzelfälle handelt, dass es ein Problem gibt, und sich dazu positioniert.
CS: Viele Leute aus anderen Städten wollten für uns Spenden sammeln. Das hilft zwar, aber was wir wirklich bräuchten, sind Leute, die im Wissen darum, dass es nicht einfach ist, hier leben und Sachen an den Start bringen.
Das Hausprojekt Zelle79 im Web: zelle79.blackblogs.org