Musik als Zerstörung
Punk feiert sein 50jähriges Jubiläum – oder gibt es nichts zu feiern? Wann, wie und wo Punk zuerst aufkam und was genau Punk eigentlich ist oder war, ob Punk noch gelebt wird oder ins Museum gehört – daran scheiden sich nach wie vor die Geister. Punk stirbt nie, solange es jugendliche Außenseiter gibt, schrieb Jan Tölva (5/2025). Uli Krug hingegen meinte, die Geschichte des Punk sei schnell zu Ende gewesen und vor allem der heutige Polit-Punk nur ein müder Abklatsch (6/2025). Kolja Podkowik attestierte dem Punk eine besondere Kurzlebigkeit – alles, was danach kam, sei Folklore gewesen (7/2025). Tobias Brück schilderte Punk als Reaktion auf das Scheitern der Revolten der Sechziger und einen der Wegbereiter des Neoliberalismus (10/2025). Philipp Meinert wies darauf hin, dass Punk sich ständig weiterentwickelt und deshalb immer lebendig bleibe (12/2025).
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Es scheint merkwürdig, das Jubiläum einer Bewegung zu feiern, der bisweilen der Slogan »No Future« zugeschrieben wurde. Dabei war stets fraglich, wessen Zukunft dieser Slogan negiert. Im Refrain des Liedes »God Save the Queen« der Sex Pistols heißt es zumindest »No future for you« – aber das »you« kann im Zusammenhang des Texts ebenso auf die britische Königin wie auf die im Lied angesprochene Person, die sich nichts sagen lassen soll, bezogen werden.
Angenommen, das »No Future« gilt der Königin, dann passt es immerhin zur vorausgeschickten Zeile »We are the future«, die gewissermaßen als Drohung dem britischen Königshaus entgegengeschleudert wird. Wenn man den hier erschienenen Beiträgen von Jan Gerber oder zuletzt auch Tobias Brück glaubt, dann hätte sich diese Drohung auf merkwürdige Weise sogar erfüllt. Die Attitüde des Punk wäre demnach nahezu problemlos in das unternehmerische Selbst übergegangen, dem die Zukunft gehörte. Damit wäre Punk nur ein weiterer gescheiterter Befreiungsversuch, der letztlich in eine andere Form von Herrschaft mündete.
Das punkige Subjekt ist nicht das souveräne Subjekt der bürgerlichen Gesellschaft. Gerade deshalb ist bereits die früheste Punkbewegung maßgeblich von Frauen ausgegangen.
Aber war da nicht mehr? Mit Schleimkeim ließe sich etwas rotzig fragen: »Habt ihr keine Wut mehr im Wanst / Seid ihr wirklich schon zufrieden?« Denn es ist gerade diese Wut, die doch die Attitüde von Punk ausmacht und für deren Verrat jede neue Generation die jeweils vorhergehende angeprangerte. Es geht dabei vor allem um das wütende Ich, das sich nicht einschränken lassen will. Diese Wut richtet sich gegen autoritäre Strukturen wie die Familie oder den Staat, aber schnell auch gegen behauptete oder vermeintliche Autoritäten in der Punkszene. Gegen alle erfolgt mit L’Attentat die Absage: »Aber ich will mich nicht befehlen lassen / Weil ich doch ein Mensch bin!« Die Menschlichkeit besteht gerade darin, sich nicht befehligen zu lassen.
Der Punk gibt dieser liberalen Forderung allerdings eine eigensinnige Wendung, wenn er die individualistische Scholle nicht nur gegen staatliche Ansprüche verteidigt, sondern dieses Ich zugleich in seinem Scheitern ausstellt. Denn das punkige Subjekt ist nicht das souveräne Subjekt der bürgerlichen Gesellschaft. Gerade deshalb ist bereits die früheste Punkbewegung maßgeblich von Frauen ausgegangen. Sie haben nicht den Anspruch, der männlichen Souveränität zu entsprechen; aber gerade deshalb sind sie in der Geschichte des Punk auch schnell verschwunden, sobald diese wieder anhand von großen Subjekten erzählt werden sollte.
Punk präsentiert stattdessen ein kaputtes und zerstörtes Subjekt, das sein eigenes Scheitern ausstellt. »Sie merken nicht / Sie merken nicht, dass sie selber stinken«, schleudern Östro 430 einer Gesellschaft entgegen, deren Gestank die Punks nur nach außen tragen und offenkundig machen. Die Ästhetik des Punk liegt im Ausstellen der Destruktion. Es geht nicht darum, etwas Schönes zu präsentieren, dem man sich kontemplativ nähern könnte, sondern es gilt, etwas zu zerstören. Aber diese Zerstörung zielt auf eine Öffnung: »Fäuste gegen Wände, denn die Mauern sind zu hoch«, sangen Chaos Z – ein stetiges Anrennen gegen Erstarrung und Blockaden.
Gerade weil die daraus entstehende Wut und Zerstörung ziellos ist, kann sie sich auf verschiedene Weisen ausdrücken. In direkter Fortsetzung der Zurschaustellung des Kaputten kann das Ich dieses Kaputtsein immer weitertreiben, letztlich bis hin zur Selbstzerstörung. Die hedonistische Verklärung dieser Selbstzerstörung zu einem »Jung kaputt spart Altersheim«, wie es Bärchen und die Milchbubis trällerten, ist dann nur die andere Seite der Resignation, die Joy Division mit den Worten »Guess your dreams always end / They don’t rise up, just descend« zum Ausdruck bringen.
In anderen Wendungen richtet sich die Wut verstärkt auf das, was als Quelle der Zerstörung angenommen wird: sei es der Staat, die Gesellschaft oder Drogen. An dieser Aneinanderreihung lassen sich auch verschiedene Formen des Punk unterscheiden. Der sich selbst politisierende Punk, der unter das Label des Anarcho-Punk gefasst werden könnte, richtet sich in erster Linie gegen den Staat und schließlich auch gegen andere Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse wie Kapitalismus, Sexismus oder Rassismus. Ebenso gibt es mit Riot Grrrl einen erneuten Anlauf, die männliche Dominanz zu überwinden und stattdessen eine »Her-Story of Punk« zu erzählen. »Rebel girl you are the queen of my heart«, sangen Bikini Kill und machten deutlich, dass die rebellischen Frauen bereits da sind und wir sie nur endlich sehen müssen.
All diese Entwicklungen wurden bereits musealisiert. Dabei wäre mit der derzeitigen Verfinsterung des Zukunftshorizontes die Zeit reif für ein Revival des Punk. Dass dieses ausbleibt, liegt wohl daran, dass Punk nicht länger als antagonistisch zum Bestehenden wahrgenommen wird – so weit ist den Abgesängen auf Punk zuzustimmen.
Destruktion um ihrer selbst willen
Allerdings scheint es verdreht, die derzeitige Emphase auf Disruption als nahezu direkte Fortsetzung des Punk darzustellen. Die Disruption, die beispielsweise das Silicon Valley und nun auch das Weiße Haus verfolgen, stellt ja gerade ein authentisches Selbst ins Zentrum seiner Bestrebungen. Die Zerstörung vermeintlich verknöcherter Institutionen soll die USA dadurch »wieder groß machen«, dass sich die Subjekte in ihrem Unternehmergeist freier entfalten können. Die zentralen Subjekte dieser Bewegung sind die Alphamänner.
Deshalb fällt es auch nicht schwer, sich die Fans dieser Bewegung in den deutschen Feuilletons als ebensolche oberkörperfreie, ellenbogenschwingende Punker vorzustellen, wie sie wahrscheinlich die meisten aus ihrem lokalen AJZ kennen. Hier verkehrt sich das zerstörerische Moment des Punk in Rücksichtslosigkeit.
Aber vielleicht ist die richtige Antwort darauf nicht die Abkehr vom Punk, sondern eine Erinnerung an seinen destruktiven Charakter im Sinne Walter Benjamins: »Dem destruktiven Charakter schwebt kein Bild vor. Er hat wenig Bedürfnisse, und das wäre sein geringstes: zu wissen, was an Stelle des Zerstörten tritt. Zunächst, für einen Augenblick zumindest, der leere Raum, der Platz, wo das Ding gestanden, das Opfer gelebt hat. Es wird sich schon einer finden, der ihn braucht, ohne ihn einzunehmen.«
Es ist diese Destruktion um ihrer selbst willen, die Punk in seinen besten Momenten vollzieht, ohne dass er aber etwas Neues an diese Stelle setzen würde. Er schafft Raum, den er selbst nicht haben will. Kein anderer Akt verkörpert diesen destruktiven Charakter des Punk so sehr wie die Konzerte. Im Moment, in dem eine Punkband auf der Bühne auftritt, zerstört sie den Sinn der Bühne, nämlich etwas Erhabenes zu präsentieren. Deshalb war es nur konsequent, dass die Bühne irgendwann auch als überflüssig galt und die Bands begannen, auf derselben Höhe wie das Publikum zu spielen.
Punk zielt eben darauf, Autoritäten zu stürzen, so dass dieser destruktive Charakter des Punk letztlich nicht ohne das darin enthaltene egalitäre Moment zu denken ist. Bereits seit den Achtzigern sangen dann auch verschiedene Bands gegen die vermeintlichen Punkautoritäten an. Dabei war der destruktive Charakter des Punk selten so lebendig wie in jenen Momenten, in denen er von Punks für tot erklärt wurde. Diese Lebendigkeit wäre ihm doch auch in der Gegenwart zu wünschen.