10.04.2025
Vier Personen aus der antiisraelischen Protestszene in Berlin sollen ausgewiesen ­werden

Die Sache mit dem Dreieck

Vier Personen aus der antiisraelischen Protestszene in Berlin sollen ausgewiesen werden. Die Aufregung darüber ist groß, der politische Inhalt ihres Aktivismus fällt dabei weitestgehend unter den Tisch.

Dass er »auf der Feindesliste der Hamas« stehe, sei eine Ehre, sagt Hudhaifa al-Mashhadany. Gut 50 Leute hören ihm zu, am Rand eines Parks in Berlin-Mitte. Am Montagabend sprach er als Redner bei der »Mahnwache gegen Antisemitismus«, die seit dem 7. Oktober 2023 erst wöchentlich und inzwischen jeden Monat in Berlin stattfindet.

Al-Mashhadany hat Erfahrung mit dem Thema. Er ist Leiter der arabischen Sprachschule Ibn Khaldun im Berliner Bezirk Neukölln. Nach dem 7. Oktober unterzeichnete er eine Erklärung des Bezirksamts Neukölln, welche die Terrorangriffe der Hamas auf Israel verurteilte. Außerdem nahm er mit seinen Schülern an Begegnungen mit Israelis teil. Das allein habe schon gereicht, um ihn zum Ziel zu machen. Er erhalte anonyme Nachrichten, die ihn als »Verräter« und »Spion« beschimpften. Ein Stein wurde durch eine Fensterscheibe seiner Schule geschmissen, als dort gerade Unterricht stattfand.

Im Januar schließlich wurden Drohungen an der Fassade hinterlassen. »From the sea to the river« habe dort gestanden. Al-Mashhadanys Name sei durchgestrichen gewesen, auf Arabisch habe daneben gestanden: »Nimm den Verräter und Kollaborateur ins Visier der Kanone« und »Ehre dem Widerstand« – und daneben seien mehrfach die roten Hamas-Dreiecke gemalt worden.

Das umgedrehte rote Dreieck sieht man in Berlin häufiger in jüngster Zeit. Das Symbol stammt von der Hamas. 

Das umgedrehte rote Dreieck sieht man in Berlin häufiger in jüngster Zeit. Manchmal auf der Fassade von Einrichtungen wie der Kneipe »Bajszel«, die als israelsolidarisch gelten. Oder einfach gut sichtbar auf der Wand einer schicken Pizzeria im Szenekiez. Er verstehe diese Dreiecke als Drohung, wenn er sie sehe, sagt al-Mashhadany der Jungle World. Er denke dann an seine Familie und an seine Schüler.

Das Symbol stammt von der Hamas. Nach dem 7. Oktober veröffentlichte sie Propagandavideos, in denen israelische Ziele mit diesem Zeichen markiert wurden. Es wurde weltweit von der antiisraelischen Protestbewegung aufgegriffen. Auch als in Berlin antizionistische Gruppen Hochschulgebäude besetzten, wurde es dort an Wände gesprüht.

Nun sollen vier Personen, die an einer solchen Besetzung beteiligt waren, abgeschoben werden. Sie haben die US-amerikanische, die polnische und in zwei Fällen die irische Staatsbürgerschaft. Auf Anweisung der Senatsverwaltung für Inneres hat die zuständige Ausländerbehörde, das Landesamt für Einwanderung, mehrjährige Einreise- und Aufenthaltsverbote angeordnet.

Türen mit Brecheisen eingerammt

Die vier Personen sollen bis zum 21. April das Land verlassen, ansonsten sollen sie abgeschoben werden. Inzwischen haben jedoch alle vier Einspruch beim Verwaltungsgericht (VG) eingelegt. Bis darüber entschieden ist, besteht keine Ausreisepflicht.

In ihrer Begründung bezog sich die Ausländerbehörde auf verschiedene Tatbestände, die meisten von ihnen haben sich offenbar auf Demonstrationen ereignet – darunter laut Legal Tribune Online Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Beleidigung, Volksverhetzung oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Am schwersten wiegt die Besetzung des Präsidiumsgebäudes der Freien Universität Berlin am 17. Oktober 2024, an der alle vier Personen teilgenommen haben sollen. Die Ausländerbehörde bezieht sich dabei auf eine Darstellung des Landeskriminalamts. Demnach haben sich etwa 20 vermummte Personen Zutritt zum Gebäude verschafft. Türen hätten sie mit Brecheisen eingerammt und im Gebäude erheblichen Sachschaden angerichtet.

Mitarbeiter »krass und brutal« angegangen

Außerdem hinterließen sie Graffiti – auf einem von Sympathisanten veröffentlichten Video ist unter anderem der Spruch »Free Gaza« neben zwei roten »Hamas-Dreiecken« zu lesen. Dort sieht man auch, wie vermummte Besetzer mit Sägen Möbel zerkleinern und Türen verbarrikadieren. Direkt nach der Besetzung hatte damals eine Sprecherin der Universität gesagt, es seien Mitarbeiter »krass und brutal« angegangen worden; der ganze Treppenflur sei mit Parolen und roten Hamas-Dreiecken besprüht worden.

Allerdings gibt es bei keinem der genannten Tatbestände bisher eine Verurteilung. Das ist zwar prinzipiell für eine Ausweisung nicht unbedingt nötig; die Voraussetzung ist laut dem Aufenthaltsgesetz, dass der Aufenthalt des Ausländers »die öffentliche Sicherheit und Ordnung« gefährdet. Besonders für EU-Bürger ist diese Hürde jedoch ausgesprochen hoch, schließlich geht es um den Entzug des Rechts auf Freizügigkeit. Eine strafrechtliche Ver­urteilung allein genügt dafür laut Paragraph 6 des EU-Freizügigkeitsgesetzes nicht. Von der Person muss vielmehr eine aktuelle und schwere Gefahr aus­gehen, »die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt«.

Bezüglich dieses Punktes wird in der Begründung der Ausländerbehörde unter anderem auf die »deutsche Staatsräson« verwiesen, die das »Existenzrecht, der Schutz und die Integrität des Staates Israel« beinhalte. Es liege im »erheblichen gesellschaftlichen und staatlichen Interesse, dass diese Staatsräson jederzeit mit Leben gefüllt wird«, heißt es weiter.

Gute Chancen vor Gericht

Vor allem die EU-Bürger hätten vor Gericht gute Chancen, meinte der Professor für Verfassungs- und Europarecht an der Universität Bielefeld, Franz C. Mayer, gegenüber dem Online-Magazin Legal Tribune Online. Mayer zufolge ist die Ausweisung »so offensichtlich rechtswidrig, dass das VG Berlin die Sache auch nicht dem EuGH vorlegen wird«, also dem Europäischen Gerichtshof.

Er verwies auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Potsdam, das im vergangenen Jahr ein Einreiseverbot gegen den österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner wieder aufhob. In dem Fall hätte die Behörde sogar sehr gut begründet, warum ein Grundinteresse der Gesellschaft betroffen sei, so Mayer. Doch das reichte dem Gericht damals nicht. Es betonte in seiner Urteilsbegründung die hohe Bedeutung des Freizügigkeitsrechts, weshalb das Kriterium einer aktuellen und schweren Gefahr eng ausgelegt werden müsse.

Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass die betroffenen Personen offenbar seit Jahren in Berlin leben und hier ihren Lebensmittelpunkt haben, auch das muss das Gericht berücksichtigen. Es gibt also gute Gründe, davon auszugehen, dass zumindest die drei EU-Bürger:innen vor Gericht Erfolg haben könnten. Dafür spricht auch, dass die zuständige Abteilungsleiterin in der Ausländerbehörde sich zunächst geweigert hatte, die Ausweisung anzuordnen. Der FAZ zufolge hat die Beamtin auf die Anordnung des Innensenats geantwortet, sie könne dem »aus Rechtsgründen nicht nachkommen«.

Eindruck einer politischen Entscheidung

Über die EU-Bürger habe sie geschrieben, diese stellten »ohne Zweifel eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar«, doch »fehlt es bisher an rechtskräftigen Verurteilungen, die eine entsprechende tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung begründen«. Die Senatsverwaltung habe sich dann eingeschaltet, die Einwände der Beamtin zurückgewiesen und die Ausländerbehörde angewiesen, der Anordnung trotzdem nachzukommen.

Damit drängt sich der Eindruck auf, dass hier eine politische Entscheidung getroffen wurde, die rechtlich nicht haltbar sein wird. Anstatt ein normales Strafverfahren anzustrengen, wollte die Berliner Innenbehörde offenbar das Ausländerrecht nutzen, um der antiisraelischen Protestszene Härte zu signalisieren.

Die vier betroffenen Personen sehen ihren Fall jedoch nicht einfach als eine staatliche Maßnahme gegen ihre Politszene. Es handele sich vielmehr um ein Beispiel der »Kriminalisierung palästinensischer Existenz in Deutschland« – so drückte es die US-Amerikanerin Cooper Longbottom im Interview mit der Zeitschrift Jacobin aus.

»Ich weigere mich, diese Leute als Pro-Palästina-Lager zu bezeichnen.« Güner Balcı, Integrationsbeauftragte von Neukölln, über die anti­israelische Protestszene in Berlin

Dieser Anspruch, man vertrete nicht ein spezifisches politisches Programm, sondern vielmehr die Sache der Palästinenser an sich, wird durch eine mediale Berichterstattung unterstützt, die den politischen Inhalt der Proteste unter den Teppich kehrt. Den ersten Artikel über die Ausweisungen veröffentlichte der deutsche Journalist Hanno Hauenstein auf The Intercept. Darin wurde die Besetzung der FU im Oktober 2024 als eine »propalästinensische Aktion« bezeichnet und zudem angemerkt, dass den vier Personen »ohne Beweise« vorgeworfen werde, Sympathien mit der Hamas zu haben. Dass die Besetzer damals selbst das rote Dreieck als Symbol ihres Protests wählten, kam im Artikel nicht vor.

Sie weigere sich, diese antiisraelische Protestszene als »Pro-Palästina-Lager« zu bezeichnen, sagt Güner Balcı, die Integrationsbeauftragte für den Bezirk Neukölln, der Jungle World. Als die »Menschen in Gaza gegen die Hamas aufbegehrten, hat man von diesen Gruppen in Deutschland nichts gehört, das sind für die Verräter.« In diesen Gruppen betrachte man die Hamas als Organisation von Freiheitskämpfern.

Freilich kann es angesichts des brutalen Krieges im Gaza-Streifen niemanden überraschen, dass es in Berlin zu Protesten kommt, zumal in der Stadt Menschen mit Angehörigen im Kriegsgebiet leben. Israel blockiert seit fünf Wochen die Lieferung humanitärer Hilfe in den Gaza-Streifen. Mitte März endete der Waffenstillstand, Israel nahm seine Angriffe wieder auf. Seitdem gibt es in den sozialen Medien praktisch täglich neue Videos aus Gaza zu sehen, die Leichen, Trümmerfelder und verzweifelte Menschen zeigen.

»Auf die Idee der Auslöschung des jüdischen Staates versteift«

Doch Balcı sagt, ihr sei auf den Straßen Berlins »noch keine Gruppe aufgefallen, die sich wirklich gegen Terror positioniert - die sich auch gegen die israelische Kriegsführung positioniert und sich gleichzeitig für die Freiheitsrechte der Menschen in Gaza einsetzt, die ein Recht darauf haben, nicht unter der Knute der Hamas in einem Krieg geopfert zu werden«.

Ihrer Meinung nach ist diese Protestszene gemischt, es seien zum einen die »Leute, die an Universitäten auch für die Blockaden gesorgt haben, das sind irgendwelche wohlstandsverwahrlosten bürgerlichen Kinder, die sich ein bisschen ausprobieren«. Dann gebe es natürlich »Leute aus Palästina und aus Gaza, aber auch vor allem Migranten mit Wurzeln in muslimischen Herkunftsländern, viele davon arabischsprachig, die gar keinen persönlichen Bezug zu Gaza haben, aber sich trotzdem auf die Idee der Auslöschung des jüdischen Staates versteift haben«.

Al-Mashhadany zeigt sich jedoch überzeugt: Es sei nur eine kleine Minderheit der arabischstämmigen Menschen in Deutschland, die so denken. Auf den einschlägigen Demonstrationen sehe man »vor allem europäischstämmige Leute und immer dieselben 50 Menschen aus der arabischen Gemeinde«. Seine Schule habe etwa 1.000 Schüler, vor allem mit arabischer Herkunft. Sie und ihre Eltern unterstützten ihn, wenn er sich gegen Antisemitismus ausspreche und Treffen mit Israelis organisiere. Im arabischen Raum gebe es gerade große Schritte »gegen Tyrannen und den radikalen Islam«, und das selbe passiere auch in Deutschland. »Die schlechten Leute sind immer laut«, meint al-Mashhadany, »die Guten sind leise.«