10.04.2025
Der indonesische Präsident ­Prabowo hat die Befugnisse der Streitkräfte ausweiten lassen

Vorwärts in die neue Dunkelheit

Der indonesische Präsident Prabowo hat die Befugnisse der Streitkräfte ausweiten lassen. Progressive Gruppen befürchten die Rückkehr von Praktiken aus der Zeit der Diktatur.

Indonesien hat Ende März Proteste mit Tausenden Beteiligten erlebt – vor dem Parlament in der alten Hauptstadt Jakarta, in der zweitgrößten Metropole Surabaya sowie mehreren Regionalstädten. Oft in Schwarz gekleidet waren die Teilnehmenden, um zu symbolisieren, dass ihr Land – das bevölkerungsreichste Land Südostasiens und mit Abstand die stärkste Nationalökonomie im Verband südostasiatischer Nationen (Asean), dem zehn Staaten angehören – erneut in dunkle Zeiten abzurutschen droht. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen sie vor.

Nicht nur Angehörige der studentischen Jugend stehen an vorderster Front, um Freiheit und Demokratie gegen eine Bedrohung zu verteidigen, die sie als schleichenden Staatsstreich empfinden. Auch Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen und andere Vertreter des progressiven Lagers sehen inzwischen die Fundamente dessen in Gefahr, was eine breite Bewegung 1998 mit dem Sturz des Diktators Mohammed Suharto errungen hatte. Mehr als drei Jahrzehnte lang hatte dieser zuvor mit eiserner Hand über den Inselstaat geherrscht. Zuhauf verschwanden damals Oppositionelle im Knast oder auf Nimmerwiedersehen. Der Feldzug gegen die einst starke kommunistische Bewegung vor allem in den späten sechziger Jahren forderte mindestens eine Million Tote.

Derjenige, gegen den sich die neuen Proteste richten, heißt Prabowo Subianto und ist seit einem halben Jahr Präsident Indonesiens. Eher geräuschlos ging der Machtwechsel im Inselstaat vergangenen Oktober vonstatten, als der rechtsliberale Präsident Joko Widodo nach zehn Jahren die Amtsgeschäfte an seinen rechtskonservativen Nachfolger übergab.

»Die ›Neue Ordnung‹ schlägt zurück«, heißt es auf Protestplakaten in Anspielung auf die Ära des 1998 gestürzten Diktators Suharto.

Als der ehemalige General Prabowo, der einst eine für Menschenrechtsverstöße berüchtigte Spezialeinheit des Militärs anführte, zunächst im sozialen Bereich Verbesserungen vornahm, mochte es manchen scheinen, die Warnungen vor einem Wahlsieg des früheren Schwiegersohns Suhartos seien vielleicht doch übertrieben gewesen. Prabowo hob die Gehälter der Lehrkräfte an, initiierte ein milliardenschweres Programm für kostenloses Mittagsessen an allen Schulen und erhöhte den Mindestlohn um 6,5 Prozent.

Nun lässt der Präsident die Maske fallen, heißt es bei den Protesten. Im Mittelpunkt steht die am 20. März vom Parlament beschlossene Änderung des Militärgesetzes von 2004. Die wichtigste und umstrittenste Neuerung besagt, dass aktive Angehörige der Armee (TNI) nun in wesentlich mehr Bereichen der zivilen Verwaltung als bislang hohe Ämter übernehmen können, ohne den Militärdienst verlassen zu müssen. Hohe Offiziere könnten sich schon bald als Generalstaatsanwalt, Leiter der Drogenbehörde oder am Obersten Gerichtshof, dem Supreme Court, wiederfinden.

In einer kleinen Auswahl von Behörden war dies schon bisher möglich. Dass Armeeangehörige aber Zugriff auf so viele Schlüsselpositionen haben sollen, weckt nicht nur bei Älteren schlimme Erinnerungen. »Die ›Neue Ordnung‹ schlägt zurück«, heißt es auf Protestplakaten in Anspielung auf die Suharto-Ära. Der hatte zunächst in der Armee Karriere gemacht und konnte sich auch deshalb mehr als drei Jahrzehnte bis 1998 an der Macht halten, weil er loyale Offiziere an solchen zivilen Stellen installiert hatte.

»Die Demokratie ist getötet worden«

»Wenn die Militärs Einfluss im Justizwesen bekommen – wer wird sie dann zur Verantwortung ziehen?« fragte im Gespräch mit der Agentur Benar News Virdika Rizky Utama, ein Forscher an der Denkfabrik Para Syndicate aus Jakarta. »Präsident Prabowo scheint entschlossen zu sein, die Rolle des indonesischen Militärs in zivilen Angelegenheiten wiederherzustellen, die lange Zeit von weitverbreiteten Missbräuchen und Straflosigkeit geprägt war. Die Eile der Regierung, diese Änderungen zu verabschieden, untergräbt ihr erklärtes Engagement für Menschenrechte und Rechenschaftspflicht«, wurde Andreas Harsono, Indonesien-Experte von Human Rights Watch (HRW), im Guardian zitiert.

Noch deutlicher wurde Wilson, ein Aktivist der Commission for the Disappeared and Victims of Violence (Kontra S), der wie viele Indonesier nur einen Namen hat: »Seit 1998 hat es einen schleichenden Mord an der Demokratie gegeben, heute ist der Gipfel erreicht: Die Demokratie ist vom Repräsentantenhaus getötet worden«, sagte er am Tag der Abstimmung der BBC. Kontra S ist eine der renommiertesten Menschenrechtsorganisationen des Landes.

Pressefreiheit bedroht

Überraschend kommt der Vorstoß jedoch nicht. Bei den Wahlen 2014 und 2019 war Prabowo noch Joko Widodo unterlegen. Dieser machte den zuvor wichtigsten politischen Widersacher in seiner zweiten Amtszeit zum Verteidigungsminister. Und es war Widodos Sohn Gibran Rakabuming, der schließlich mit Unterstützung des Vaters als Vizepräsident an der Seite des im dritten Anlauf siegreichen ehemaligen Generals kandidierte.

Die einzige Oppositionskraft im Parlament, in dem die Regierungskoalition eine erdrückende Mehrheit hat, ist nun die vormals tonangebende Demokratische Partei des Kampfs (PDI-P). Aber nicht einmal sie stimmte nach anfänglicher Kritik noch gegen das neue Gesetz. Dass bald auch die Pressefreiheit bedroht sein könnte, zeigten zwei Vorfälle beim regierungskritischen Magazin Tempo. In dessen Redaktion ging ein Karton mit enthaupteten Ratten ein – offenbar ebenso ein Einschüchterungsversuch, wie auch ein Schweinekopf mit abgeschnittenen Ohren, den zuvor ein Reporter erhalten hatte.