10.04.2025
Paolo Sorrentinos Film »Parthenope« zeigt das schöne und schreckliche Leben seiner Hauptfigur

Parthenope auf Odyssee

In Paolo Sorrentinos Film »Parthenope« begleitet man die titelgebende Hauptfigur durch ihr Leben und begreift, wie nah Schönheit und Unglück beieinander liegen können.

Ein stämmiger, italienischer Reeder mit großer Sonnenbrille auf der Nase und Zigarre im Mundwinkel verschifft im Jahr 1950 eine prachtvolle Kutsche aus Versailles nach Neapel, wo sie einem seiner engsten Mitarbeiter und dessen Frau als neues Ehebett dienen soll. Wenig später erwarten die beiden ein zweites Kind; ihr Sohn Raimondo pustet den verschwitzt in der Sommerhitze liegenden Eltern in zärtlicher Erwartung kühle Luft zu, als wolle er in vorausschauender Nachsicht ein Unheil ungeschehen machen.

Kurz darauf erblickt seine kleine Schwester in einem neapolitanischen Hafenbecken unter dem Applaus und den Freudenrufen der Umstehenden das Licht der Welt. »Wie soll sie heißen?« rufen die Eltern aus dem Wasser. Der dicke Reeder lässt den Blick über die sonnensatte Küste des Golfs von Neapel streifen und ruft schließlich: »Sie heißt Parthenope!«

Benannt also nach jener Sirene der griechischen Mythologie, die der Legende zufolge nach dem erfolglosen Versuch, Odysseus zu verführen, ins Meer sprang und tot an der Küste Nea­pels angespült wurde, wo sie seither als Stadtgöttin verehrt wird. Mit dieser so zarten wie wuchtigen Ouvertüre eröffnet Paolo Sorrentino seinen Film »Parthenope« über die Schönheit und das Unglück des Lebens.

In gewohnt brillanten Bildern lässt Sorrentino das Neapel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederauferstehen.

In gewohnt brillanten Bildern, für die Sorrentino wie schon bei dem wunderbaren Film »Die Hand Gottes« (2021) mit der Bildgestalterin Daria D’Antonio zusammenarbeitete, lässt Sorrentino das Neapel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederauferstehen. Man sieht schöne Menschen in makellosen Kleidern durch die Stadt flanieren, in der Parthenope, nun eine von der umwerfenden Celeste Dalla Porta verkörperte junge Frau, ihre Verehrer auf Abstand hält und sich um ein Studium der Anthropologie bemüht.

Denn Parthenope ist nicht nur entwaffnend schön, sondern auch zu klug – und das heißt hier, melancholisch um eine Erkenntnis bemüht, die sich stets entzieht –, um sich mit ihrer Schönheit zufriedenzugeben und gleichsam ihrem eigenen sirenenhaften Lockruf zu verfallen. An der Universität ist sie die beste Studentin, doch ihre Frage, was Anthropologie denn eigentlich sei, bleibt lange unbeantwortet – in den Schriften des französischen Postmarxisten Louis Althusser, der sie als Ideologe langweilt, findet sie keine Antworten.

Windige Ménage-à-trois. Parthenope mit ihrem Liebhaber Sandrino (Dario Aita, links) und ihrem Bruder Raimondo (Daniele Rienzo)

Windige Ménage-à-trois. Parthenope mit ihrem Liebhaber Sandrino (Dario Aita, links) und ihrem Bruder Raimondo (Daniele Rienzo)

Bild:
Gianni Fiorito

Drum macht die junge Frau sich auf zu einer eigenen Odyssee: Bei einem Sommerausflug auf die benachbarte Insel Capri lässt sie ihren Liebhaber Sandrino (Dario Aita) und Raimondo (Daniele Rienzo) – der in melancholischer Vorsicht noch immer seinen beruhigenden Atem über die Leiber seiner Nächsten pustet – zugunsten eines alkoholkranken amerikanischen Bonvivants links liegen.

Sie verfällt dem wortgewandten Weltschmerz des stilvollen und ganz wunderbar von Gary Oldman verkörperten schwulen Herrn, in dem sie erst später den von ihr bewunderten Schriftsteller John Cheever erkennt, als dieser mit einem Drink in der Hand den Blick über das Treiben der Jungen und Schönen auf der Urlaubsinsel schweifen lässt und trocken bemerkt: »Die jungen Leute entscheiden sich schamlos für die Verzweiflung.«

Es ist nur die erste von zahlreichen melancholisch schönen Aussagen des dem Rausch und der traurigen Schönheit des Lebens verfallenen Schriftstellers (dessen Figur auf dem Autor gleichen Namens basiert), dem angesichts der uneingelösten Versprechen der betäubten Nacht in der unerträglichen Klarheit des Katers in einem fort die Tränen in den Augen stehen. Er lebt im Duft gestorbener Lieben.

Wie lieben in einer Welt, die voller Schönheit und Unglück ist?

Sorrentino zeichnet seine Figuren mit einer aufmerksamen Liebe, die Klugheit ihrer Worte reflektiert sich in der Schönheit des Lichts und der Farben, in denen sie inszeniert werden. Anders als die deutsche Kritik in Teilen behauptet, ist hier nichts oberflächlich – vielmehr ringen die Menschen in Sorrentinos Film auf ihre je eigene Art mit der Frage, wie es sich in einer Welt leben lassen soll, die so voller Schönheit und Unglück ist.

Der Abgrund dieser Frage tut sich in einer ergreifenden Szene auf, als Parthenopes trauriger Bruder nach einer abenteuerlichen Nacht in den Gassen Capris auf den Schriftsteller trifft, der alleine mit 20 leeren Highball-Gläsern vor einer Bar in der Morgensonne sitzt. Beide werfen einander einen verstehenden Blick zu – bevor Raimondo sich das Leben nimmt und Parthenope das erste große Unglück zufügt, das ein brüderliches Pusten nicht mehr zu lindern weiß.

Doch auf Parthenopes Odyssee widerfahren ihr neue wundersame Begegnungen, etwa mit einem reichen Verehrer, der sie im Helikopter umkreist, bis sie sich zu einem Picknick breitschlagen lässt; mit einer gealterten, verschleierten Schauspielagentin, von der die ohnehin schlagfertige Parthenope lernen will, wie die Schauspieler in den alten Filmen immer die passende Antwort zu wissen; oder mit einem lüsternen Priester, der sich den symbolischen und weniger symbolischen leiblichen Wundern verschrieben hat.

Im Bett der Eltern. Parthenope (Celeste Dalla Porta)

Im Bett der Eltern. Parthenope (Celeste Dalla Porta)

Bild:
Gianni Fiorito

Vor allem aber findet sie die Konstante ihres Lebens in der Beschäftigung mit der Wahrheit, von der die wachsende Freundschaft zu ihrem nur auf den ersten Blick missmutigen, in Wahrheit so scharfzüngigen wie gutherzigen Doktorvater Devoto Marotta (Silvio Orlando) lebt. Von ihm erfährt sie endlich, was Anthropologie ist – nämlich die Kunst des Sehens, was wohl als programmatische Erklärung Sorrentinos präziser Bildgewalt verstanden werden darf –, und ihm verdankt sie es auch, dass sie den Sui­zid ihres Bruders nicht zu ihrem akademischen Lebensthema macht, sondern sich stattdessen der Frage der Wunder zuwendet. Eines jener Wunder lebt im Kinderzimmer des Professors, und die transzendente Wucht, mit der Sorrentino in der Inszenierung jenes wundersamen Sohnes die Grenzen der Wirklichkeit sorgsam überschreitet, verleiht dem Film eine geradezu theologische Qualität.

Bei all der melancholischen Schönheit spart der Film auch die Abgründe und Spannungen der italienischen Hafenstadt Neapel nicht aus, etwa wenn Parthenope von einem unter den traditionellen Feuerwerken aus dem Gefängnis entlassenen Mafioso durch die Unterwelt geführt wird, um der unheimlichen Vereinigung zweier Mafiafamilien beizuwohnen, die sich opernhaft inszeniert vor versammelter Sippschaft durch die Leiber zweier verängstigter Sprösslinge vollzieht – oder wenn die gealterte Filmdiva Greta Cool (Luisa Ra­nieri) zu einer wüsten Schimpforgie gegen ihre verarmte Heimatstadt und deren Einwohner anhebt, die stolz auf ihr Unglück seien.

Die neapolitanische Odyssee endet nicht mit einem fatalistischen Diktum

Ob die Protagonistin Neapel dennoch treu bleibt oder dem Ruf Professor Marottas auf eine Professur in Triest folgt und wie die von Stefania Sandrelli gespielte gealterte Parthe­nope auf ihr Leben zurückblickt, sei hier nicht vorweggenommen. Verraten sei jedoch, dass Sorrentino seinen Film über »den Schmerz, neben dem die Zeit vergeht«, mit der Feststellung beendet, die Liebe als Mittel, um zu überleben, sei gescheitert – um sodann ein vorsichtiges »Oder nicht?« hintanzustellen.

So endet die neapolitanische Odyssee nicht mit einem fatalistischen Diktum, sondern mit der zaghaften Hoffnung einer jener Fragen, die Parthenope inmitten der Schönheit und des Unglücks ihres Lebens umtreiben. Als würde Raimondo dem Publikum ein letztes Mal sein mythisches Pusten zuteil werden lassen, um etwas von der Traurigkeit ungeschehen zu machen, die Sorrentinos großer Film in ihm ausgelöst hat.

Parthenope (Italien/Frankreich 2024). Buch und Regie: Paolo Sorrentino. Darsteller: Celeste Dalla Porta, Stefania Sandrelli, Gary Oldman, Daniele Rienzo, Dario Aita.