10.04.2025
Neue Studie zum Thema Whistleblowing in der Polizei

Keine Namen, keine Strukturen

Fehlverhalten der Polizei wird selten problematisiert. Zwar gibt es eigens dafür eingerichtete Meldestellen, die werden aber kaum genutzt. Eine neue Studie erklärt, warum.

Die Polizei hält dicht – in der Regel jedenfalls dann, wenn sie Fehlverhalten in ihren eigenen Reihen bemerkt. Das hat eine neue Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) ergeben. Dazu haben die Forscher:innen 19 Interviews mit Polizist:innen und Mit­arbeiter:in­nen in Meldestellen in Berlin und Schleswig-Holstein geführt. ­ Es ist die zweite Studie der GFF, die im Rahmen eines Projekts zum Thema Whistle­blowing in der Polizei erschienen ist. Die Gründe für das Schweigen sind vielfältig, doch besonders zwei Aspekte stechen hervor: eine problematische Polizeikultur auf der einen und das fehlende Wissen um Beschwerdestellen auf der anderen Seite.

»Wer sich an so eine Ansprechstelle wendet, ist für mich ein Verräter« – das hält eine befragte Person, die bei einer der Meldestellen beschäftigt ist, für eine nicht ungewöhnliche Äußerung polizeilicher Führungskräfte. Wie notwendig der Schutz von Informant:in­nen ist, die Missstände bei der Polizei offenlegen, zeigt beispielhaft ein Fall aus Düsseldorf. Eine Polizeianwärterin hatte 2020 bei ihrer Dienststellenleitung rechtsextreme Bilder gemeldet, die in Chatgruppen geteilt worden waren, der sie und andere Kommissar­anwärter:innen angehörten.

Probleme anzusprechen, wird bei der Polizei als Verrat an der Gemeinschaft empfunden und Kritik schnell persönlich genommen.

Sie selbst hatte zwar keine derartigen Inhalte geteilt oder kommentiert, wurde aber dennoch wegen ihrer Mitgliedschaft in den Chatgruppen vom­ Dienst suspendiert. Selbst ihre Entlassung wurde erwogen. Gegen ihre Kolleg:innen, die ebenfalls im Chat waren, also auch diejenigen, die besagte Inhalte geteilt hatten, ergriff das Polizeipräsidium hingegen erst auf Nachfrage des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) Maßnahmen. Das erklärte die Suspendierung 2021 für rechtswidrig.

Problematisch sind nicht nur rechtsextreme Chatgruppen, die immer häufiger entdeckt werden. Die Teilnehmer:innen der Stu­die berichten zudem von sexistischen und rassistischen Äußerungen, aber auch handfesterem Fehlverhalten: sexuelle Belästigung, Körperverletzung im Amt, kleinere Betrügereien, Diebstähle oder das Nichteinschreiten bei Übergriffen durch Kolleg:innen. Die Bereitschaft, Missstände zu melden, leidet der Studie zufolge unter der hohen Arbeitsbelastung und unter organisatorischen Missständen wie fehlender Unterstützung durch Vorgesetzte bei Meldungen.

Viele der Befragten gaben an, dass die zuständigen Meldestellen häufig­  gar nicht bekannt oder deren Zuständigkeiten unklar seien. Meldestellen gibt es bei der Polizei in unterschiedlicher Form schon länger. Das Hinweisgeberschutzgesetz machte sie 2023 gesetzlich verpflichtend. Mit reichlich Verspätung setzte Deutschland damit EU-Richtlinien um, die eine solche Regelung bereits 2019 forderten. Seither existiert ein verwirrender Flickenteppich an polizeiinternen und -externen Meldestellen. Dazu kommen Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit dieser Meldestellen, insbesondere wenn diese in den Polizeipräsidien selbst oder im Innenministerium angesiedelt sind.

»Mauer des Schweigens«

Die Polizeianwärterin aus Düsseldorf hatte in ihrem Antrag ans Gericht ein weiteres Problem beschrieben, das viele von einer Meldung abhalte: die »Mauer des Schweigens«. Die findet auch in der Studie der GFF Erwähnung. Die Gefahr, als »Nestbeschmutzer« zu gelten, wird in den Interviews immer wieder erwähnt. Als Grund nennt die Studie den »Korpsgeist« und die »Cop Culture der Polizei«.

Probleme anzusprechen, werde als Illoyalität und als Verrat an der Gemeinschaft empfunden, Kritik schnell persönlich genommen. Auch Angst vor persönlichen Konsequenzen, etwa Versetzungen oder schlechten Beurteilungen durch Dienstvorgesetzte, spielt demnach eine Rolle bei der Entscheidung, Fehlverhalten nicht zu melden – keine unberechtigte Befürchtung, wie der Fall der zeitweise suspendierten Polizeianwärterin illustriert.

Daniela Hunold, die Leiterin der Studie und Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, konstatiert: »Obwohl sich ein Wandel hin zu einem offeneren Umgang mit Fehlern in der Polizei abzeichnet, steht dort Whistleblowing, also Kritik aus der Behörde selbst, weiterhin vor großen strukturellen und kulturellen Hürden.«

Angst vor Stigmatisierung, falsch verstandene Loyalität

Die Studie bestätigt Ergebnisse aus früheren Untersuchungen. Schon die 2023 erschienene Studie zu »Körperverletzung im Amt« hatte festgestellt, dass strafbares Fehlverhalten von Kolleg:innen nur selten angezeigt werde. Als entscheidend wurden auch hier die Angst vor Stigmatisierung und falsch verstandene Loyalität genannt.

Es brauche eine bessere Aufklärung über die Möglichkeiten, Fehlverhalten zu melden, und die Meldewege müssten vereinfacht werden, so das Fazit der Studie der GFF. Wichtig sei es außerdem zu gewährleisten, dass die Meldestellen tatsächliche unabhängig sind. Deshalb dürften sie weder in den Innenministerien angesiedelt sein noch der Polizeiführung unterstehen. Die Meldenden müssten sich zudem darauf verlassen können, dass ihre Anonymität gewahrt bleibt, um vor Ausgrenzung geschützt zu werden.

Vor allem aber brauche es einen grundlegenden Wandel hin zu mehr Kritikfähigkeit und einem offenen Umgang mit Feedback und Fehlereingeständnissen bei der Polizei. In der Pflicht stehe dabei vor allem die Führungsebene, die entsprechende Bedingungen schaffen und auch vorleben müsse.