17.04.2025
Manches war früher besser: Gabriel Yoran betreibt Warenkunde jenseits falscher Nostalgie

Tut nicht, was es soll

Gabriel Yorans »Die Verkrempelung der Welt« liest sich als gelungene Mischung aus Roland Barthes’ »Mythen des Alltags« und Stiftung-Warentest-Bericht.

7.000 Likes erhielt Gabriel Yoran für sein auf X gepostetes Foto von der wirren Zeichenkombination, die auf dem Kochfeld seines renitenten Induktionsherds aufblinkte. Offenbar war er etwas Größerem auf der Spur: Launische Touch-Bedienungen beim Induktionsherd treiben Benutzer regelmäßig in den Wahnsinn.

Alles an diesem User-Interface sei unverständlich, befindet Yoran. Seine Genervtheit gipfelt in der Frage: »Warum ist niemand in irgendeiner Produktkonferenz aufgestanden und hat gesagt: Entschuldigung, aber das ist doch kompletter Stuss!«

Yoran streift nicht nur die Kulturgeschichte des Designs von Werkbund, Frankfurter Küche über DDR-Klassiker bis zum Ikea-Stil, er dringt auch tief in die Logik von Management-Entscheidungen und Fertigungsstraßen vor.

Antworten sucht er in seinem Buch »Die Verkrempelung der Welt«. Mit Humor und unbestechlichem Blick für Usability verhilft der in Berlin lebende Autor, Unternehmer und Mitgründer der Medienplattform Steady dem angestaubten Genre der Warenkritik zu neuem Glanz.

Nicht nur streift er die Kulturgeschichte des Designs von Werkbund, Frankfurter Küche über DDR-Klassiker bis zum Ikea-Stil, sondern dringt auch tief in die Logik von Management-Entscheidungen und Fertigungsstraßen vor. Auch wenn Yoran die »Knebel« genannten Drehknöpfe am Küchenherd vermisst und konstatiert, dass Dinge, die früher doch schon mal einwandfrei funktioniert haben, dies heute nicht mehr tun – auf eine reaktionäre Produktnostalgie läuft seine Auseinandersetzung gerade nicht hinaus.

Gabriel Yoran Porträt

»Das System belohnt die Produktion von Krempel, wie es auch den Austausch gegen neuen Krempel belohnt«, Gabriel Yoran

Bild:
© Jamil Yassine/Insel Verlag

Die Ausführungen zu einer Ästhetik, die sich den Anschein des legitimen, ehrlichen und authentischen Konsums gibt, gehören zu den polemischen Highlights des Buchs. Yoran entdeckt diese Ideologie bei Manufactum, aber auch allgemein im Marktsegment des auf Distinktion bedachten Luxuskonsumenten, der in kleiner Stückzahl handgefertigte Dinge zu maßlosen Preisen kauft.

»Die Verkrempelung der Welt« liest sich als gelungene Mischung aus Roland Barthes’ »Mythen des Alltags« und Stiftung-Warentest-Bericht. Es klärt auf völlig überzeugend Weise, warum der Herd im fortgeschrittenen Kapitalismus nicht immer tut, was ein Herd tun soll.


Buchcover

Gabriel Yoran: Die Verkrempelung der Welt. Zum Stand der Dinge (des Alltags). Suhrkamp, Berlin 2025, 185 Seiten, 22 Euro