08.05.2025
Attacken auf Gefängnisse und Wachpersonal in Frankreich

Die Menschenrechtler der Mafia

In verschiedenen Teilen Frankreichs fanden Attacken auf Gefängnisse und Wohnungen von Wachpersonal statt. Nun sind 21 Personen angeklagt.

Paris. Eine Serie von Anschlägen beschäftigt Frankreich. Mitte April wurden an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen Attacken auf Gefängnisse in verschiedenen Landesteilen verzeichnet – von Toulon im Südosten über Marseille, Agen im Südwesten bis zu Städten im Raum Paris wie Nanterre, Villepinte oder Meaux. Auch auf Privatwohnungen von Wachpersonal und deren Kraftfahrzeuge sowie den Fuhrpark von Haftanstalten, beispielsweise in Lyon-Corbas, wurden Angriffe verübt – Graffiti wurden gesprüht, Autos angezündet, Schusswaffen abgefeuert und Molotow-Cocktails geworfen. In Villefontaine, zwischen Lyon und Grenoble, fand die Polizei Einschusslöcher und Schmierereien an einer Privatwohnung vor, deren Eingangstür in Brand gesteckt worden war. Es stellte sich heraus, dass die Täter die Wohnung irrtümlich für die eines Mitglieds des Wachpersonals der nahegelegenen Haftanstalt von Saint-Quentin-Fallavier gehalten hatten.

An fast allen Tatorten wurde das Buchstabenkürzel DDPF hinterlassen, das für »Défense des droits des prisonniers français« (Verteidigung der Rechte der französischen Gefangenen) steht. Unter dem Kürzel wurde am 12. April, dem Tag vor den ersten Aktionen, auch ein verschlüsselter Telegram-Kanal eingerichtet. Dort war unter anderem zu lesen: »Unsere Bewegung weitet sich in ganz Frankreich aus.« Eine andere verkündete sympathieheischend: »Wir sind keine Terroristen, wir sind dafür da, die Menschenrechte im Inneren der Gefängnisse zu verteidigen.« Deswegen vermuteten zunächst einige, es könne sich um eine militante Gruppe mit politischem Hintergrund handeln, etwa an den Rändern der autonomen Szene. Ähnliches wie die zuletzt zitierte Botschaft sollte wohl auch die Bezeichnung DDPF suggerieren.

Die auf Terrorismus spezialisierte Sonderstaatsanwaltschaft, das PNAT, zog die Ermittlungen in allen Fällen an sich. Am 28. April ließ sie 25 Personen unter dem Verdacht festnehmen, mit der Organisation, die hinter dem Kürzel DDPF vermutet wird, und ihren Aktivitäten in Zusammenhang zu stehen.

Eine Nachricht auf dem Telegram-Kanal DDPF verkündete: »Wir sind keine Terroristen, wir sind dafür da, die Menschenrechte im Innern der Gefängnisse zu verteidigen.«

Neben dieser politischen Spur, deren Plausibilität viele Beobachter schnell in Frage stellten, wurde auch die einer ausländischen Einmischung und Destabilisierungs- beziehungsweise Propagandaaktion in Erwägung gezogen. In anderem Zusammenhang, bei einer Reihe von gegen Juden gerichteten Schmierereien im Herbst 2023, hatte die französische Justiz Hintermänner in Russland oder putinistischen Kreisen in Moldau identifiziert. Eine dritte Hypothese ging von Urhebern aus Kreisen der organisierten Kriminalität aus; insbesondere ging es dabei um einen möglichen Zusammenhang der Anschläge mit Organisationen aus dem Drogengeschäft.

Letztere könnten sich durch Ankündigungen des früheren Innen- und derzeitigen Justizministers Gérald Darmanin unter Druck gesetzt sehen. Er hatte am 27. Januar einen Plan vorgestellt, der darauf hinausläuft, bis spätestens zum 15. Oktober die »200 gefährlichsten Narkokriminellen« des Landes in zwei spezielle Hochsicherheitsgefängnisse zu überstellen. Bauarbeiten zum entsprechenden Umbau bestehender Haftanstalten laufen derzeit im nordfranzösischen Vendin-le-Vieil und im normannischen Condé-sur-Sarthe. Das erstgenannte Gefängnis soll ab dem 31. Juli zur Verfügung stehen.

Insbesondere geht es dabei darum, dass Mobiltelefonempfang dort durch Störwellen verhindert wird. Nach geltenden Regeln haben Strafgefangene kein Recht auf ein eigenes Handy, doch verfügen in der Praxis die meisten von ihnen in den Gefängnissen über eines. Das Wachpersonal lässt das zu, ebenso, dass Betäubungsmittel kursieren – nicht zuletzt um zu verhindern, dass die Stimmung in den chronisch überbelegten französischen Gefängnissen in Revolte umschlägt.

Anwaltsverbände und Menschenrechtsorganisationen äußern scharfe Kritik

Zudem soll die Verfügung über Festnetztelefone, die bislang zeitlich unbegrenzt gewährt wird – ihre Nutzung ist jedoch kostenpflichtig, sie kann auf bestimmte Nummern beschränkt und abgehört werden –, in den neuen Haftanstalten auf zwei Stunden wöchentlich begrenzt werden. Sexuelle Kontakte zu Ehepartnern, die in den bisherigen Gefängnissen im Rahmen von »Familienaufenthaltseinheiten« ermöglicht werden, sollen dort ebenso verboten sein wie körperliche Kontakte zu Besuchern, mit denen künftig in diesen Anstalten nur noch durch eine Trennscheibe kommuniziert werden soll.

Selbst das bewachte Verlassen der Anstalt soll unterbunden werden, so sollen Richtervorführungen im Rahmen von Ermittlungen entweder innerhalb des Gefängnisgebäudes statt vor Gericht erfolgen oder durch Bildschirmkontakt ersetzt werden. Diese heftige Beschneidung aller Kontakte reagiert zumindest in einigen Punkten auf objektive Probleme, wie dass Unternehmer der Drogenökonomie dank ihrer Handys in vielen Fällen einfach ihre Geschäfte aus der Zelle weiter dirigierten. So wurde ein Auftragsmord in Marseille, den ein 15jähriger ausführte, aus der Haftanstalt heraus bestellt.

Aus verschiedenen Gründen äußerten Anwaltsverbände und Menschenrechtsorganisationen daran auch scharfe Kritik. Sie kritisieren etwa die extreme Einschränkung von Kommunikationsmöglichkeiten oder befürchten, dass es – wie bei vielen staatlichen Maßnahmen – nicht dabei bleibt, dass nur ein sehr eingeschränkter Personenkreis dem neuen Haftregime unterworfen wird.

Kindersoldaten für Auftragstaten

Was die DDPF-Anschlagsserie angeht, scheint die Hypothese der Urheberschaft aus der organisierten Kriminalität plausibel – schließlich tangieren diese Aussichten deren Interessen unmittelbar. Zudem deutet, auch wenn die Ermittlungen andauern, das Profil der 21 Angeklagten, zu denen sich Staatsanwältin Laure Beccuau bei einer Pressekonferenz am Samstag näher äußerte, eindeutig darauf hin.

Die Angeklagten sind zwischen 15 und 37 Jahre alt; sie wurden überwiegend in Untersuchungshaft überstellt, zwei Minderjährige in eine geschlossene Erziehungsanstalt. Dass eine Art Kindersoldaten für Auftragstaten bis hin zu Morden und Verstümmelungen eingesetzt werden, war in den vergangenen Jahren ein Kennzeichen des Drogengeschäfts, vor allem in seinem Zentrum Marseille. Die inhaftierten mutmaßlichen Handlanger, die für die Sprühereien und Brandstiftungen zuständig waren, erhielten für ihre Beteiligung zwischen 500 und 2.000 Euro, die etwas älteren Beschuldigten bis zu 7.000 Euro.

Identifiziert wurden jedoch auch drei Hintermänner, von denen mindestens einer dem bekannten Drogenkartell DZ Mafia angehört. Der 23jährige, der sich bereits im Zusammenhang mit zwei Auftragsmorden in Haft befand, bekannte sich jedenfalls bei den Vernehmungen dazu.