Versagen, Mut und Pionierinnen
Beim Fußballfilmfestival »11mm« in Berlin gab es im April wieder eine Menge empfehlenswerter Werke zu sehen. Die Dokumentation »Eagles from Ţaga« (deutscher Kinostarttermin nicht bekannt) zum Beispiel ist ein kleiner Film, zumindest in puncto Budget. Und ein ganz großer Film über Fußball. Die Adler von Ţaga sind eines jener Teams, die es in fast jeder Liga gibt: Dieses eine Team, das nie genug Spieler zusammenbekommt, bei jedem Match verlässlich zehn Dinger kassiert und von einem Idealisten am Leben gehalten wird, der manchmal am Misserfolg verzweifelt.
Der Idealist heißt in diesem Fall Nelu und ist gleichzeitig Trainer, Manager und Platzwart. Seine Spieler sind alte Haudegen und die Dorfjugend, die aber eigentlich lieber saufen geht und oft gar nicht erst auftaucht. Und so verlieren die Adler von Ţaga, immer und immer wieder. Meist erklärt sich das Team dieses Elend wahlweise mit dem unfairen Schiedsrichter oder dem unfairen Zufall.
Die stille, immer wieder sehr lustige Dokumentation aus Rumänien verweigert das übliche Narrativ des Fußballfilms, in dem Helden oder Heldinnen vom Drama zum Triumph reisen. Es gibt keine Heldenreise. Es wird einfach in Serie gescheitert.
Die stille, immer wieder sehr lustige Dokumentation »Eagles from Ţaga« aus Rumänien verweigert das übliche Narrativ des Fußballfilms, in dem Helden oder Heldinnen vom Drama zum Triumph reisen. Es gibt keine Heldenreise. Es wird einfach in Serie gescheitert.
Eigentlich geht es hier natürlich um mehr. Die Adler von Ţaga kicken im Nirgendwo, mitten im bäuerlichen Leben, weit weg von der Postmoderne. Nelu und seine Frau leben prekär, die Rente reicht offenbar nicht; sie sind Semiselbstversorger. Alles hier ist Handarbeit. Nicht nur das Aufbringen der Kreidelinien auf dem Fußballplatz, auch die Arbeit auf dem Acker, den die beiden mit dem Pferdepflug bestellen.
Der Film behauptet dabei keine bodenständige Idylle. Nelu wird immer wieder als autoritär gegenüber seiner Frau gezeigt, sein Fußballteam als sexistisch. »Eagles from Ţaga« ist damit auch eine Geschichte der Vergänglichkeit. Auf dem Platz bleibt alles gleich, aber die Welt dreht sich weiter. Nelu staunt einmal darüber, dass er gerade noch selbst so gut kickte und plötzlich alt ist. Ein Senior erzählt von seinem verstorbenen Sohn, der den Fußball so liebte. Die Zeit vergeht auch in Ţaga. Aber immerhin eines bleibt gleich: Die Adler verlieren.
»The Football Aficionado« (Amazon Prime, aber noch nicht in Deutschland): Viel und gern wird in deutschen Medien über das faktische Stadionverbot für Frauen im Iran geschrieben. Fast ein bisschen zu gern, als sei diese Diskriminierung ein thrill. Iranische Fans kommen dagegen selten selbst zu Wort. Die preisgekrönte iranische Dokumentation »The Football Aficionado« von 2022 gibt diesen Frauen ein Gesicht. Und was für eines: Die 27jährige Persepolis-Anhängerin, die sich hier begleiten lässt, heißt Zahra, schleicht sich mit Freundinnen immer wieder als Mann verkleidet ins Stadion und gibt eine sensationelle Protagonistin ab.
Anarchische Lebenslust
Die Umstände sind sattsam bekannt, auch die Wut der Frauen – was aber den Film trägt, ist Zahras Energie und Humor. Für sie ist all das todernst, aber auch wahnsinnig komisch. Liebevoll verspottet sie ihre alte Mutter, die über den Protest schimpft; die missbilligend-unverblümte Mutter und die lebensfroh provozierende Zahra könnten einen Podcast füllen. Am Stadiontor lacht sie über die Wachen, die die Frauengruppe aufhalten wollen: »Ihr dürft uns doch eh nicht anfassen!« Und als sie einmal von der Security erwischt und als Frau enttarnt wird, hat sie die Chuzpe, den Aufpassern zu sagen: »Ich bin Transgender.« Dann entwischt sie ihnen.
Noch während einer Schönheitsoperation sinniert Zahra halbernst, es wäre doch praktisch, wenn sie einen Bart transplantiert bekommen könnte, dann wäre das mit dem Stadion einfacher. Ihre anarchische Lebenslust trägt diesen Film. Man erwischt sich oft beim Lachen. Und wie es so ist in Diktaturen, sind es gerade solche Menschen, die das System zu brechen versucht. Am Ende, viele Festnahmen später, ist Zahra sichtlich mitgenommen. Den kurzen Moment, als Frauen auf Druck der Fifa ins Stadion dürfen, mit behördlicher Ausnahmegenehmigung etwa zum Teheraner Derby zwischen Esteghlal und Persepolis im Dezember 2024, darf sie wegen eines laufenden Verfahrens nicht miterleben. Zu hoffen bleibt, dass Zahra das Regime übersteht.
Die brasilianische Dokumentation »As Primeiras« (Kinostart in Deutschland nicht bekannt) reiht sich in einen Trend der vergangenen Jahre, der sich dem Frauenfußball sozusagen archäologisch widmet: Regisseure und Regisseurinnen graben die Geschichte vergessener Pionierinnen aus. Diese hier ist besonders berührend. Es geht um die allerersten brasilianischen Nationalspielerinnen des 1988 gegründeten Verbandsteams. 40 Jahre lang, bis 1981, galt in Brasilien ein Frauenfußballverbot, eines der am längsten andauernden weltweit; besonders streng war es auch, es gab sogar ein entsprechendes Gesetz, das 1979 aufgehoben wurde.
Ob sie wirklich Schuhe tragen müssen?
Aber trotzdem gab es Frauenteams, wie die Dokumentation nachweist, vor allem in den Armenvierteln von Rio de Janeiro. Und auch das erste Nationalteam setzt sich maßgeblich aus in prekären Verhältnissen lebenden schwarzen Frauen aus den Favelas zusammen. »As Primeiras« hat viele von ihnen in ihrem heutigen Leben aufgespürt. Es sind Heldinnen, die niemand auf der Straße erkennt. Sie verdienen mit Snack-Wagen ihren Lebensunterhalt oder trainieren ein paar Kids auf dem Bolzplatz.
»As Primeiras« verzichtet auf eine Erzählstimme. Manchmal hätte mehr Einordnung gutgetan, aber im Ganzen funktioniert das recht gut. Informationen liefern altes Archivmaterial, teils sogar Bewegtbild, und die Protagonistinnen selbst. Es sind bemerkenswerte Frauen, die oft von den Zufällen erzählen, die sie zum Fußball gebracht haben. Sie haben mit Jungs gekickt, wurden für ein Pionierteam wie Radar entdeckt und fragten sich, ob sie überhaupt dorthin passen, an die Copacabana. Oder ob sie wirklich Schuhe tragen müssen, denn das haben sie nie getan. Wie sie sich schämten, mit dem Nationalteam ins Ausland zu reisen, weil sie derlei nie selbst hätten bezahlen können.
»As Primeiras« fördert dabei sehr persönliche Erzählungen zutage. Von der unter sehr schwierigen umstehenden Umständen lebenden Marilza, die in die Kokainabhängigkeit rutschte und sie besiegte. Von der lesbischen Marisa, deren Mutter sie lange nicht akzeptierte, aber heute stolz auf sie ist. Von der eher bessergestellten Leda, die von häuslicher Gewalt traumatisiert ist und nach der Karriere in eine Depression verfiel. Sie ist auch neidisch auf die Chancen der Mädchen heute. Nicht jede der Geschichten geht gut aus, so wie das Leben.
Albern wie vulgäre Tanten
Vor allem gelingt es »As Primeiras« aufzuzeigen, wie wenig autonom die Frauen in der Frühphase waren. Sie waren in der Hand von Männern, die sich die Taschen füllten, während die Spielerinnen kaum ihr Essen bezahlen konnten. Es war ihnen verboten, mit der Presse zu reden. Als sie später anfingen, ihre Rechte einzufordern, wurden sie aus dem Nationalteam entfernt. Viele von ihnen sind immer noch miteinander befreundet.
Die schönsten Bilder fängt »As Primeiras« in dieser Gruppe ein, die albert wie vulgäre Tanten. Die Frauen erinnern sich, wie sie in China Phantasie-Chinesisch sprachen oder eine Quatsch-Nationalhymne erfanden. Sie sind einander nahe geblieben, eben weil sie auf so viele Widerstände trafen. »Die, die kein Geld haben, haben zumindest Geschichten«, sagt eine. Wie wundervoll, dass »As Primeiras« sie erzählt.
Eine ebenfalls auf ihre Art außergewöhnliche, wenn auch nicht vergessene Geschichte erzählt »Ewald Lienen – eine griechische Tragödie« (Magenta TV Plus): Man kann staunen, dass im Profifußball überhaupt einer existieren konnte wie der Protagonist. Einer, der nie Profi sein wollte, in aktivistischen Kreisen unterwegs war und sich weigerte, Autogramme zu geben.
Ewald Lienens griechische Tragödie
Für einen Linken ist Lienen dabei eher konservativ und leistungsorientiert geprägt, für einen Fußballer sensationell weit links. Die 2023 erschienene Doku »Eine griechische Tragödie« erzählt von Ewald Lienen anhand der schlimmsten Zeit seiner Trainerkarriere: Während der griechischen Schuldenkrise als Trainer von AEK Athen. Es wird eine irrwitzige Saison bei einem Club, der eigentlich pleite ist und dessen Vorstand heimlich den Abstieg will, um die Schulden loszuwerden, während das Team fast nur noch aus im Wortsinn hungrigen Nachwuchsspielern besteht und zornige Fans als Machtprobe die Geschäftsstelle besetzen.
Der Film zeigt Bemerkenswertes: Etwa, wenn der Trainer merkt, dass seine Spieler hungern, und ihnen von da an diskret Essen in die Kabine stellen lässt. Oder wenn er sich über einen schwarzen Spieler wirft, um ihn vor prügelnden Fans zu schützen. Gleichzeitig wird er offenbar von den rebellierenden Fans auf der Geschäftsstelle akzeptiert. Auch die konnte er verstehen, auch sie hat er versorgt.
Natürlich wird Ewald Lienen in dieser unmöglichen Situation scheitern und kurz vor Saisonschluss entlassen. Es gibt aber doch noch einen versöhnlichen Abschluss, Lienen findet ab 2014 eine späte Heimat beim FC St. Pauli, dem Club sollte er als Trainer und Funktionär bis zum Karriereende vor drei Jahren angehören. Ein gesondertes Kompliment verdient übrigens, dass Lienens Ehefrau Rosa hier nicht als bloße Begleiterin auftaucht, sondern gleichberechtigt als zweite Hauptstimme die Geschichte erzählt.