08.05.2025
Die beiden Atommächte drohen sich nach dem Terrorangriff in Kaschmir gegenseitig

Indien und Pakistan schaukeln sich hoch

Der terroristische Angriff auf Touristen in Kaschmir hat das indisch-pakistanische Verhältnis tiefgreifend gestört, von beiden Seiten gibt es Drohungen.

Zuletzt überschlugen sich die Meldungen über immer weitere Drohungen und Maßnahmen im belasteten indisch-pakistanischen Verhältnis. Seit am 22. April Terroristen nahe dem idyllischen Bergstädtchen Pahalgam im indischen Unionsterritorium Jammu und Kaschmir 26 Touristen töteten, wird die Situation immer gefährlicher. Die indischen Streitkräfte machen in Kaschmir in großem Stil Jagd auf die Attentäter und haben bislang mindestens 2.000 Menschen festgenommen und verhört.

Die hindunationalistische Regierung von Premierminister Narendra Modi wirft Pakistan und dessen Geheimdienst ISI seit Jahren vor, »grenzüberschreitenden Terrorismus« zu unterstützen. Modis Kabinett hat der indischen ­Tageszeitung The Tribune zufolge ein Dossier vorgestellt, in dem Trainings­lager jihadistischer Gruppen wie Lashkar-e-Taiba (LeT), Jaish-e-Mohammed und Hizbul Mujahideen in Pakistan verzeichnet sein sollen.

Zu dem Terrorakt in Pahalgam hatte sich zunächst der kaum bekannte LeT-Ableger The Resistance Front bekannt. Dieser sei ihm völlig unbekannt und die LeT aufgelöst, behauptete Pakistans Verteidigungsminister Khawaja Asif in der pakistanischen Tageszeitung The Dawn, nachdem er zuvor in einem Interview mit dem Nachrichtenkanal Sky News eingeräumt hatte, dass pakistanische Behörden in der Vergangenheit bewaffnete islamistische Gruppen unterstützt hätten.

Pakistan, das ohnehin ­finanziell angeschlagen ist – und nur dank eines IWF-Kredits sowie Unterstützung aus China, Saudi-Arabien und den Vereinigten Emiraten zahlungs­fähig ist –, wird in seiner Exportwirtschaft stärker getroffen als umgekehrt Indien.

Inzwischen sind die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan so schlecht wie seit dem Krieg 1999 nicht mehr. Wechselseitig wurden Diplomaten ausgewiesen, Indien entzog zudem allen Personen mit pakistanischer Staatsangehörigkeit die Visa. Besuche und Briefsendungen sind vorerst unmöglich. »Indien sperrt Pakistan komplett aus«, fasste die Hindustan Times die am ­vergangenen Samstag von Modis Regierung verkündeten Einschränkungen zusammen, zu denen auch die Schließung der Häfen für alle pakistanischen Schiffe und ein Aussetzen sämtlicher Importe aus dem Nachbarland gehört. Die Einschränkungen ergingen dem Handelsministerium zufolge im Interesse der nationalen Sicherheit.

Die Auswirkungen sind für Indien kaum spürbar, wie die indische Wirtschaftszeitung Economic Times deutlich machte. Einfuhren aus Pakistan machten 0,06 Prozent des Handelsvolumens aus. Pakistan, das ohnehin ­finanziell angeschlagen ist – und nur dank eines IWF-Kredits sowie Unterstützung aus China, Saudi-Arabien und den Vereinigten Emiraten zahlungs­fähig ist –, werde in seiner Exportwirtschaft stärker getroffen. Bereits nach einem früheren Terroranschlag 2019 auf einen Militärkonvoi im indischen Teil Kaschmirs hatte Indien die Zölle auf 200 Prozent angehoben und Vergünstigungen gestrichen. Der direkte Handel zwischen beiden Ländern ist demnach in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen: Von April 2024 bis Januar 2025 importierte Indien Waren im Wert von nur 420.000 US-Dollar – im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es noch 2,86 Millionen US-Dollar.

Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation der beiden Atommächte

Innerhalb der Ausreisefrist bis zum 30. April verließen rund 900 pakistanische Staatsangehörige Indien. Einige konnten der Anordnung nicht so schnell nachkommen und saßen vorübergehend am danach geschlossenen Grenzübergang Attari-Wagah fest, bis Ausnahmeregelungen für sie beschlossen wurden. Aus Pakistan sind rund 1.500 Inder in ihr Heimatland ausgereist. Familien wurden auseinander­gerissen, die getrennt beiderseits der Grenzen leben. Unter den Abgeschobenen waren mehrere Pakistaner, die seit über 30 Jahren in Indien leben.

Kleinere Schusswechsel über die Line of Control hinweg – die Waffenstillstandslinie, die seit 1949 den indisch und den pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs trennt – hat es seit dem 22. April fast täglich gegeben. Inzwischen aber steigt die Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation der beiden Atommächte. Jüngster Ausdruck dessen ist der Test einer pakistanischen Rakete am vergangenen Samstag. Es habe sich um eine Boden-Boden-Rakete mit einer Reichweite von 450 Kilometern gehandelt, hieß es aus Pakistan. Indien wertete das als »gravierende Konfrontation«, wie es in einer Mitteilung hieß.

Er solle sich »nicht mit Indien anlegen«, hatte der ehemalige Premierminister Nawaz Sharif am 28. April bei einem Treffen seinen jüngeren Bruder Shehbaz Sharif gewarnt, Pakistans derzeitigen Premierminister. Tatsächlich scheint dieser eher um Mäßigung bemüht. Andere führende Politiker üben sich hingegen nicht in verbaler Zurückhaltung und Deeskalation. Bereits am 26. April hatte Eisenbahnminister Hanif Abbasi mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.

Pakistan droht mit seinen Atomwaffen

130 nukleare Sprengköpfe seien einsatzbereit und »nur für Indien« bestimmt, so Abbasi in Reaktion auf Indiens Aussetzung des Indus-Abkommens zur gemeinsamen Wassernutzung des Flusses. Ebenfalls als Scharfmacher hervorgetan hat sich der frühere Außenminister und Vorsitzende der sozialdemokratischen Pakistanischen Volkspartei, Bilawal Bhutto Zardari, der vor einem »vollwertigen Krieg« bei einem etwaigen indischen Angriff warnte. Der indische Verteidigungsminister Rajnath Singh, ein enger Vertrauter Modis, wies auf die unbedingte Einsatzbereitschaft der Streitkräfte hin.

Saudi-Arabiens Außenminister Faisal bin Farhan al-Saud führte bereits Vermittlungsgespräche mit beiden Seiten, auch der Iran will vermitteln. Appelle zur Mäßigung kamen von der US-­Regierung und aus Russland. Der Kreml poche auf die Unantastbarkeit des Simla-Abkommens, hieß es warnend bei einem Treffen von Außenminister Sergej Lawrow mit seinem indischen Amtskollegen Subrahmanyam Jaishankar. Mit dem Abkommen von 1972 hatten sich Indien und Pakistan dazu verpflichtet, Meinungsverschiedenheiten friedlich durch Verhandlungen zu lösen.