08.05.2025
Ins Gesicht geschnitten – eine Kulturgeschichte des Lächelns in den USA

Keep smiling

Maskenhaft, aufgesetzt, wahnhaft: Das Lächeln hat keinen guten Stand, schon gar nicht seine amerikanische Version. Was die »Mundwinkelverziehung« über die Geschichte der Vereinigten Staaten verrät – und was sie mit der Befreiung davon zu tun hat, man selbst sein zu müssen.

Mit Herman Melvilles letztem zu Lebzeiten veröffentlichten Roman konnte die Kritik bei dessen Erscheinen 1857 nicht viel anfangen. Ein Grund für die Verwirrung dürfte gewesen sein, dass »The Confidence-Man: His Masquerade« weder eine klare Handlung noch eine Hauptfigur zu haben scheint. Protagonist, wenn man es so nennen will, ist vielmehr ein Prinzip, das der Titel der von Christa Schuenke besorgten deutschen Übersetzung präzise zum Ausdruck bringt: »Maskeraden oder Vertrauen gegen Vertrauen«. 

Nicht eine, sondern viele Figuren – oder ist es eine Figur in vielen Kleidern? – versuchen in Melvilles eigentümlicher Satire, deren Episoden an einem einzigen Tag auf einem Mississippi-Dampfer spielen, anderen etwas zu verkaufen, sie von etwas zu überzeugen oder sie hinters Licht zu führen. Dabei folgen sie der Überzeugung, dass Vertrauen in die eigene Maske und das Vertrauen der Geprellten die Währung des Hochstaplers und Trickbetrügers ist, die ihm im Englischen seinen Namen gibt (con man ist eine Verkürzung von confidence man). 

Wenn jedoch alle eine Maske tragen, wenn es endemisch wird, den anderen als Werkzeug zu betrachten, wem ist dann noch zu trauen und was verbürgt noch eine gute Seele? Darüber lässt Melville eine seiner Verkörperungen des confidence man nachdenken, den vorzugsweise an Moral und Menschlichkeit appellierenden »Kosmopoliten« Frank Goodman. Die Antwort findet er durch ­einen Vergleich zweier leiblicher Regungen: Wer es vermag, so Goodman, »recht von Herzen laut zu lachen – möge er auch in anderen Dingen sein wie er wolle –, so einer könne schwerlich ein herzloser Schuft sein«. Gewiss sei jedoch, »daß einer lächeln kann, und immer lächeln, und doch ein Schurke« ist.

Die zivilisatorische Geste

Der Argwohn des Kosmopoliten gegen das Lächeln und sein gleichzeitiges Vertrauen in das Lachen haben zunächst eine leibphilosophische Dimension. Lachen ist Kontrollverlust. Darum gilt es dem Kosmopoliten (und nicht nur ihm) als »authentische« oder »natürliche« Regung, als unreglementierter Rest eines Subjekts, dessen Zivilisierungsprozess auch in der Mäßigung seiner Züge ­bestand. Das ist eine Seite dessen, was Theodor W. Adorno und Max Horkheimer als den »Doppelsinn des Lachens« beschrieben haben: einerseits ein »Ausbruch blinder, verstockter Natur«, andererseits die Möglichkeit, im Lachen dem Naturhaften innezuwerden und damit darüber hinauszugehen, ohne es zu unterdrücken. 

Anders ist es jedoch beim Lächeln. Zwar kann sich auch das Lächeln spontan einstellen, wie es sich zum Beispiel in der Ikonographie des »seligen« Kinderlächelns widerspiegelt. Seine gesellschaftliche Funktion und außerordentliche Vieldeutigkeit entfaltet die »Grimasse der Mundwinkelverziehung« (Sigmund Freud) aber als erlernbare, subtile und verfeinerte Anspannung der Gesichtsmuskeln. Der, wie Helmuth Plessner schreibt, »Affekt der Mitte« – gelegen zwischen den Extremen des Gelächters und der Weinens – kann als bescheiden, freundlich, dämlich oder wissend auftreten, breit oder fast unmerklich, als verschmitzt oder verschlagen. 

Gerade weil sich das Lächeln in zahllosen Varianten und Gestalten zeigen und verwandeln kann, ist es verdächtig.

Und gerade weil sich das Lächeln wie der con man in zahllosen Varianten und Gestalten zeigen und verwandeln kann, ist es verdächtig. Aber auch das Lächeln hat einen Doppelsinn. Während im Lachen für einen Moment Ich und Körperausdruck zusammenfallen, so Plessner, ermöglicht das Lächeln Distanz: Abstand zum Gegenüber, aber auch Abstand zur eigenen Regung, also dem, was mit dem Lächeln maskiert wird. Diese Dialektik macht das Lächeln freiheitsstiftend und zur zivilisatorischen Geste schlechthin. 

Das Misstrauen von Melvilles Kosmopoliten gegen das Lächeln ist aber noch in einer anderen Hinsicht bedeutsam. Denn als zutiefst ambi­valente Geste hat es einen kulturgeographischen, gewissermaßen sym­bolischen Ort gefunden: die von Melville in seinem Mississippi-Dampfer metaphorisierten Vereinigten Staaten von Amerika. Was der Kosmopolit antizipiert, ist nichts anderes als das nationale Stereotyp des permanenten und darum falschen amerikanischen Lächelns. 

Das »American smile«, so Karl Schlögel, steht in dieser vornehmlich europäischen Perspektive »nicht nur für die Werbekraft etwa einer Zahncreme oder der Reklame für einen neuen Hollywoodfilm, sondern für etwas Allgemeines: für etwas Künstliches, Aufgesetztes, Andressiertes«. Im Vorbehalt gegen das amerikanische Lächeln verdichtet sich die ganze Zweideutigkeit des Zivilisationsprozesses, der mit der Herauslösung aus der Unmittelbarkeit des vormodernen Lebens die Frage nach dem, was nicht künstlich oder aufgesetzt wäre, immer wieder hervorbringt.

Späte Benimmregeln

Weder ist das Klischee vom amerikanischen Lächeln ohne Rückhalt in der Wirklichkeit, noch ist es ohne Geschichte. Als ein Element ritualisierter Formen der Höflichkeit ist das »American smile« ein fester und unübersehbarer Bestandteil des US-amerikanischen Alltagslebens. Das war nicht immer so. Vielmehr nimmt Melvilles Kosmopolit des 19. Jahrhunderts etwas vorweg, was sich erst im 20. Jahrhundert durchsetzen wird. Tatsächlich war die Idee der Etikette lange Zeit überhaupt kein Thema in den Vereinigten Staaten. Über weite Strecken des 18. und 19. Jahrhunderts galten die Umgangsformen in der Neuen Welt europäischen Beobachtern als überaus grob und vulgär, vor allem aber nicht nach sozialer Schicht unterschieden. Zum Teil wurde dies darauf zurückgeführt, dass die USA keine aristokratische Tradition hatten, aus der die Regeln des guten Benehmens ins bürgerliche Leben diffundieren konnten. 

Höflichkeit gehört zur Verwaltung und Verarbeitung von Differenzen, insbesondere solcher des Status; ein Gemeinwesen, das sich auf Gleichheit berief und in dem jede ethnische oder religiöse Gruppe ihre eigenen Umgangsformen hatte, was die Klassenlagen auch zu durchkreuzen vermochte, brauchte keine allgemeine Etikette. Erst mit der Entstehung der Massengesellschaft, anhaltender Immigration, dem Eintritt von Frauen in die Öffentlichkeit und einer gesteigerten Stratifizierung, die es notwendig machte, sich stärker zu unterscheiden, hat sich auch in den USA ein System der Etikette herausgebildet; es ist mit dem Namen Emily Post verbunden, deren inzwischen kanonisches Benimmbuch »Etiquette in Society, in Business, in Politics, and at Home« 1922 erschien. 

Umgang mit der Moderne

Die Entstehung dessen, was dann später »American smile« genannt werden sollte, dürfte in diese Phase der US-amerikanischen Geschichte fallen. Zwischen 1880 und 1914, ganz besonders nach der Jahrhundertwende, kamen so viele Immigranten in die Neue Welt wie niemals zuvor; sie ließen sich vor allem in den Städten nieder. Gerade dort, wo der Umgang mit dem nicht vertrauten Anderen zum Alltag wird und wo nicht alle dieselbe Sprache sprechen, da wird nonverbale Kommunikation umso wichtiger. 

Das sogenannte »Interaktionslächeln«, ein gestischer Modus der Distanzierung oder – in einer Formulierung Volker Rittners – eine Art »mimischer Stoßdämpfer«, entsteht in heterogenen Gesellschaften, wie die USA es damals waren, und vornehmlich dort, wo sich Fremde begegnen, im Handel, der Gastronomie, dem Dienstleistungssektor, auf öffentlichen Plätzen. Man könnte das amerikanische Lächeln dergestalt als einen distinkten Umgang mit der Moderne begreifen: Statt der von Georg Simmel für die Erfahrung der modernen Großstadt herausgehobenen »Blasiertheit«, die sich durch Stoik und Undurchdringlichkeit vor den ständigen Reizimpulsen der Zivilisation schützt, ist das »American smile« ein gestischer Modus der Geschmeidigkeit und Flexibilität.

Zugleich gewinnt das Lächeln in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts neben der habituellen eine enorme kulturell-politische Bedeutung. So dürfte sich die Assoziation der USA mit Künstlichkeit und Spektakel, die im europäischen Ressen­timent gegen das »American smile« mitschwingt, auch der Strahlkraft Hollywoods und dem Kino als Schlüsselindustrie verdanken, in der das öffentlichkeitswirksam inszenierte Lächeln des Stars – einer historisch neuen Figur – eine zentrale Rolle spielt. 

Mund von Marilyn Monroe
Bild:
Dierk Saathoff

Marlene Dietrich, schrieb Franz Hessel 1931, habe ganz Europa und Amerika mit einem Lächeln erobert, das »göttlicher und gemeiner als das all ihrer Rivalinnen« sei. Auch bei Greta Garbo und später dann bei Marilyn Monroe gehört ein jeweils charakteristisches, gleichsam zur Marke gewordenes Lächeln fest zur Inszenierung. Überhaupt gibt es (dies freilich nicht nur in den USA) einen Imperativ zu lächeln, der sich insbesondere an Frauen richtet – paradoxerweise in der Aufforderung, sowohl überhaupt als auch authentisch zu lächeln. Beides nimmt partikular, nämlich nur für Frauen, zurück, was die Öffentlichkeit im Gegensatz zur privaten Sphäre eigentlich ermöglicht: für sich sein, fremd sein, sich – wörtlich und metaphorisch – zu verkleiden. 

Die Aufforderung zu lächeln zielt stattdessen darauf, permanente ­Zugänglichkeit zu signalisieren. Zugleich hält man sich offen, willkürlich gegen die Künstlichkeit eine mit »Natürlichkeit« assoziierte Weiblichkeit anzurufen. Insofern ist auch dem Ressentiment gegen das falsche, amerikanische Lächeln nicht selten eine geschlechterpolitische Schlagseite zu eigen.

Einübung in Humanität

Was kulturindustriell erprobt wurde, entfaltete schließlich in den dreißiger Jahren auch eine politische Wirkung. Dass Politiker in der Öffentlichkeit standen, war ein noch junges Phänomen. Erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurden sie nicht nur als Verkörperung eines Amtes, sondern immer mehr auch als Privatmenschen inszeniert. Schon bei Woodrow Wilson, dem 28. Präsidenten der Vereinigten Staaten (1913–1921), der sich betont als Außenseiterkandidat verkaufte, wurde das Lächeln ebenso wie das Händeschütteln Teil des bildlichen Repertoires. 

Massenmedial noch versierter ging dann Franklin D. Roosevelt vor (1933–1945). So wurden die Maßnahmen des New Deal von einer Offensive des politischen Optimismus flankiert, in der das Lächeln eine zentrale, ideologische Rolle spielte. Roosevelt, der schon in seinen Radioansprachen, den sogenannten fire­side chats, betont zugänglich und freundlich auftrat, wurde auch bildlich als Symbol der Zuversicht inszeniert: »Gewiß, gelächelt war schon früher worden. Aber nun wurde das Lächeln universalisiert und professionalisiert«, schreibt Ulrich Keller über die Bildsprache von Roosevelts Präsidentschaft. »So promptes, strahlendes, glatt von den Lippen gehendes und ausdauerndes Lächeln hatte es noch nie gegeben.« 

So wenig sich sagen lässt, wann genau die Verknüpfung eines permanenten und darum trügerischen ­Lächelns mit den USA entstand, so unabweisbar ist es doch, dass sich im »American smile« ein wesentliches Moment des modernen US-amerikanischen Gemeinwesens verdichtet. Nicht zufällig verdeutlicht Theodor W. Adorno 1958 in seinem Vortrag »Kultur und Culture« das Singuläre seiner Erfahrungen im Exil ausgerechnet am »keep smiling«. Mit antiamerikanischen und frauenfeindlichen Vorurteilen auf Seiten seines Publikums schien er dabei durchaus zu rechnen. Dass jedes »Ladenmädchen« in den USA beständig lächle, so Adorno, mag dem europäischen Blick als falsch, als einstudierte Geste erscheinen.

Damit mache man es sich aber zu einfach, dient doch gerade das Lächeln zu einer Einübung in Humanität, die immer auch eine Distanz von sich selbst bedeute, ein Moment der Nichtidentität: »Es ist wahrscheinlich so, daß ein Mensch, der unter äußerem Zwang auf diese Weise zur Freundlichkeit gebracht wird, dann doch eher auch zu einer gewissen Humanität in seinem Verhältnis zu den ­anderen Menschen kommt als jemand, der nur, um mit sich selbst identisch zu sein – als ob diese Identität mit sich selbst immer wünschbar wäre –, ein bösartiges, vermuffeltes Gesicht macht und ­einem von vornherein bedeutet, daß der andere Mensch für ihn eigentlich nicht existent sei und in seine Innerlichkeit, die dann vielfach gar nicht existiert, nicht hereinzureden habe.« 

Ins Gesicht geschnitten

Zur sympathischen Reflexivität der USA gehört, dass sie die Dialektik ­ihrer eigenen nationalen Symbole, ihre Doppeldeutigkeit und Abgründigkeit, in sich selbst austrägt – und das gilt auch für das Lächeln. Noch eher schlicht vollzieht sich dies in dem bislang zweiteiligen Horrorfilm-Franchise »Smile«, in dem reale Traumata als das verzerrte, wahnhafte Lächeln der Mitmenschen metaphorisiert werden. Ungleich sub­tiler geistert das Lächeln durch die Filme David Lynchs und deren inszenierte Abgründigkeit des Alltäglichen und Idyllischen – man denke an das Grinsen Bobs in »Twin Peaks«, die verschiedenen Gesichter Laura Palmers oder die Frau in der Heizung in »Eraserhead«. 

Am emblematischsten dürfte jedoch eine Comicfigur des DC-Universums sein, die just zur Zeit des New Deal entstand und in der das permanente Lächeln tatsächlich zur Maske wird: der Joker. Ästhetisch angelehnt an Paul Lenis Film »The Man Who Laughs« (1928, mit Conrad Veidt in der Hauptrolle) symbolisiert und ­inspiriert der Joker fortan, in einer Formulierung Adornos, den »Schrecken darüber, daß ein Menschengesicht so stehenbleiben kann«. Anfänglich ist sein Grinsen noch durch Schminke aufs Gesicht gebannt, später gehört es als Narbe zu seinem Leib. 

Dass jedes »Ladenmädchen« in den USA beständig lächle, so Adorno, mag dem europäischen Blick als einstudierte Geste erscheinen. Damit mache man es sich aber zu einfach. 

Die frühen Filmdarstellungen des Jokers von Cesar Romero und Jack Nicholson arbeiten mit einer fast schon an Camp erinnernden, poppig-aufgedrehten Ästhetik und inszenierten eher einen gerissenen Dieb als einen finsteren Wahnsinnigen. Erst seit Heath Ledgers Interpretation der Rolle in Christopher Nolans »The Dark Knight« (2008) verdunkelt sich die Filmversion der Figur merklich. Einerseits wird sie immer mehr vermenschlicht, andererseits hat sie immer mehr pathologische, wahnhafte Züge. »Warum denn so ernst?« zitiert der von Ledger gespielte Joker seinen Vater, der ihm mutmaßlich das Grinsen ins Gesicht geschnitten hat. 

In Todd Phillips »Joker« werden Lächeln und Lachen schließlich zu gesellschaft­lichen Metaphern und das nihilistische Moment des Jokers wird zur zeitgenössischen Allegorie. Die in dem Film erzählte Geschichte des ungeliebten, erfolglosen Komikers Arthur Fleck, der zum unfreiwilligen Symbol einer populistischen Revolte wird, war derart beliebt, dass die Fortsetzung »Joker: Folie à Deux« (2024), die ganz bewusst eine Liebesgeschichte statt einer Gesellschaftsmetapher vorführte, vom Publikum fast durchweg negativ aufgenommen wurde.

Geht es beim Lachen – dem unwillkürlichen, spontanen, auch unpassenden Lachen – um Kontrollverlust, den auszulösen die Kunst der Komik ausmacht, steht das Lächeln für die gestische Anspannung und den Zusammenhang von äußerem Schein und aus Distanz zu sich selbst gewonnener Freiheit. Im »American smile« hat sich dies habitualisiert und ist in die Textur des Gemeinwesens eingegangen; stand Amerika einst für die Möglichkeit ­eines Neuanfangs, symbolisiert das »American smile« die Möglichkeit, im Bewusstsein des Scheins niemals nur man selbst zu sein.