Die Union und die Revolution
Waren es renitente Sozialdemokrat:innen, die meinen, ihre Partei habe zu viele Zugeständnisse an die Union gemacht? Unionsabgeordnete, denen die Politik von Friedrich Merz zu rechts oder auch noch nicht rechts genug ist? Unzufriedene Karrierist:innen, die sich bei der Postenvergabe übergangen fühlen?
Es ist unbekannt, wer Merz und der schwarz-roten Koalition die blamable Abstimmungsniederlage im ersten Wahlgang am Dienstag beschert hat. Sechs Stimmen fehlten zu Mehrheit, 18 Koalitionsabgeordnete verweigerten Merz ihre Stimme. Vermutlich aus unterschiedlichen Motiven und in der Erwartung, Merz werde es trotz ihrer individuellen Verweigerung schaffen. In der zweiten Runde fehlten dann nur noch drei Stimmen der Koalitionsparteien, mit 325 Stimmen wurde Merz zum Bundeskanzler gewählt.
Wenn es um Kultur geht, versteht der gemeine Deutsche keinen Spaß. Drohende Massenabschiebungen und Sozialkürzungen – wen interessiert’s? Aber ein Staatsminister für Kultur und Medien, der »bislang kaum als Kulturmensch in Erscheinung getreten ist« – das geht gar nicht.
Es gibt viele gute Gründe, ihn für eine gefährliche Fehlbesetzung in diesem Amt zu halten. Die Motive der Merz-Gegner:innen aus dem Koalitionslager werden wohl auch weiter unbekannt bleiben, doch ihnen muss zugestanden werden, dass sie wenigstens zeitweise konsequenter waren als Initiator:innen und mittlerweile mehr als 70.000 Unterzeichner:innen der Petition »Wolfram Weimer darf nicht Staatsminister für Kultur und Medien werden«. Diese fordert nur »die Bundesregierung auf, die geplante Ernennung von Wolfram Weimer zum neuen Kulturstaatsminister zu stoppen«.
Wenn es um Kultur geht, versteht der gemeine Deutsche keinen Spaß. Sonst ist ja offenbar alles halb so schlimm. Drohende Massenabschiebungen und Sozialkürzungen – wen interessiert’s? Aber ein Staatsminister für Kultur und Medien, der »bislang kaum als Kulturmensch in Erscheinung getreten ist« – das geht ja nun gar nicht. Es »wirkt wie ein politisches Signal gegen die notwendige Vielfalt«. Abgesehen davon, dass man gerade von Kulturmenschen erwarten sollte, nicht nur ihre Standesinteressen zu vertreten, bedarf es eigentlich keiner allzu großen analytischen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass Merz eben deshalb den rechtskonservativen Verleger Weimer benannt hat, um zu signalisieren, dass er mit der woken »Vielfalt« nichts am Hut hat.
Reaktionäre Heimat- und Deutschtümelei
Weimers Aufgabe dürfte es sein, im Geiste seines 2018 veröffentlichten Buchs »Das konservative Manifest« mit reaktionärer Heimat- und Deutschtümelei wie der Sorge um die »Fortdauer des eigenen Bluts« gegen einen angeblich kosmopolitisch-elitären Kulturbetrieb zu stänkern. Doch wegen der Kulturhoheit der Länder verfügt die Bundesregierung nur über etwa ein Fünftel der staatlichen Subventionen (etwa 2,2 Milliarden Euro), allzu viel materiellen Schaden kann Weimer also nicht anrichten.
Anders als Alexander Dobrindt, designierter Innenminister, der sich 2018 nicht mit einem Manifest begnügte, sondern in der Welt »eine konservative Revolution der Bürger« forderte. »Wir unterstützen diese Revolution und sind ihre Stimme in der Politik.« Es mag dahingestellt bleiben, ob Dobrindt nicht wusste und bis heute nicht bemerkt hat, dass man unter der »konservativen Revolution« gemeinhin eine Strömung von rechtsextremen Stichwortgebern und Wegbereitern des Nationalsozialismus versteht, ob es ihm egal ist oder er den Begriff eben deshalb gewählt hat. Sicher ist, dass der CSU-Politiker Dobrindt auch in der Zeit, als seine Partei gemäßigter erscheinen wollte und Markus Söder Bäume umarmte, zu den Wortführern gehörte, deren Ansichten mit rechtskonservativ noch schmeichelhaft umschrieben sind.
2011 wollte Dobrindt bezüglich der Linkspartei »alle Anstrengungen unternehmen, dass wir mittelfristig auch zu einem Verbotsverfahren kommen«. Auf die Frage, wie er nun zu einem Verbotsverfahren stehe, antwortete er im Oktober vorigen Jahres auf Abgeordnetenwatch.de: »Seither führe ich die Auseinandersetzung mit dieser Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung im Parlament.« Eine klare Distanzierung war das nicht, bei einer nunmehr aus Sicht des Verfassungsschutzes insgesamt rechtsextremen Partei weiß er aber: »Man muss die AfD nicht wegverbieten«.
Die konservativ-liberale Strömung der Union versiegt
Zu Recht gilt die AfD derzeit als größte Gefahr für die Demokratie. Das führt allerdings allzu oft dazu, dass Unionspolitiker:innen, die sich inhaltlich der AfD annähern, wohlwollend unterstellt wird, sie täten dies nur, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Man sollte aber auch die naheliegende Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass die Betreffenden genau das wollen, was sie sagen. Insbesondere die CSU hofierte lange den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und liebäugelte mit dessen Konzept der »illiberalen Demokratie«, in dem die exekutive Kontrolle von Justiz, Medien und Bildungssystem es ermöglicht, den Rahmen des Parlamentarismus formal zu wahren und trotz Wahlen an der Macht zu bleiben.
Das Justizministerium fällt an die SPD, als Bildungsministerin ist mit Katja Prien die einzige Liberalkonservative unter den Unionsminister:innen vorgesehen; man darf hoffen, dass sie sich nicht für einen rechtskonservativen Kulturkampf einspannen lässt. Die Orbánisierung droht somit noch nicht unmittelbar. Doch die konservativ-liberale Strömung der Union versiegt zusehends, während unter Merz mehr und mehr wichtige Positionen mit Rechtskonservativen besetzt werden, die in der Koalition mit der SPD womöglich nur eine lästige Etappe auf dem Weg zur konservativen Revolution sehen.