Die Wahrheit über das System
»Das Leben imitiert die Kunst weit mehr als die Kunst das Leben«, meinte Oscar Wilde. Ein Blick auf die Produktionsgeschichte von Michael Lockshins neuem Film bestätigt dies: 2021 begann der US-amerikanisch-russische Regisseur, Michail Bulgakows Roman »Der Meister und Margarita« zu verfilmen. Das russische Kulturministerium bezuschusste die gespenstische Satire auf die Stalin-Ära. Als sich Lockshin 2022 dann gegen die russische Invasion in die Ukraine aussprach, wurde der Regisseur selbst zur Zielscheibe staatlicher Propaganda und Hetze.
Wenn August Diehl alias Woland seinen berühmten Satz »Manuskripte brennen nicht« von sich gibt, fährt einem ein rebellischer Schauer in die Glieder.
Das hielt das russische Publikum nicht davon ab, in die Kinos zu strömen, als das subversive Werk mit Verzögerung in die dortigen Kinos kam. Das deutsche Publikum sollte es den russischen Filmfans gleichtun. Lockshin legt einen Schwerpunkt auf die Liebesgeschichte zwischen dem »Meister« und der verheirateten Margarita. August Diehl ist in der Rolle seines Lebens als teuflischer Woland zu sehen. Wenn er seinen berühmten Satz »Manuskripte brennen nicht« von sich gibt, fährt einem ein rebellischer Schauer in die Glieder.
Rebellisches Gedankengut verbreitete auch der 2021 verstorbene Hamburger Popjournalist Andreas Banaski aka Kid P. »Wie ich aus meiner eigenen Wurstigkeit heraus die Welt erkenne: Machst Du in Persona auch nicht so viel her und hast nur die Freunde, die sonst keiner als Freunde hat? Dann mach’ doch ein System draus!« spottete Kid P. in einer Review über Diedrich Diederichsens »Sexbeat«.
Kid P. spottete in einer Review über Diedrich Diederichsens »Sexbeat«
Kid P. erfand Anfang der achtziger Jahre einen neuen Sound im deutschen Popjournalismus. In seinen Texten pflegte er klare Feindbilder wie die Hippies, aber auch die zeitgenössische, ironische Berliner Avantgarde der Genialen Dilettanten zwischen Die Tödliche Doris und Merve-Manifest-Heft kamen nicht sonderlich gut bei ihm weg.
»Einige Jahre des Punk, der Hoffnung, des Aufbruchs blablabla, lagen hinter uns, und selbst die Naivsten der ›Bewegung‹ (Schmunzel, schmunzel, ich gestatte mir, mich dort einzubeziehen) ächzten seit geraumer Zeit unter dem Kreuz quälender Sättigung«, schrieb Kid P. in einem für ihn typisch verschachtelten Satz, der ordentlich Nihilistenpfeffer streut. Nachzulesen in einer jetzt erschienenen Textsammlung mit dem Titel »Die Wahrheit über Kid P.«, zu der Diederichsen das Vorwort gibt. Eine Pflichtlektüre in Zeiten stumpfer Punk-Revivals. Voller Liebe für Pop-Bands wie ABC oder Heaven 17!