15.05.2025
Guido Fröschke, Aktionsbündnis 8. Mai Demmin, im Gespräch über einen Trauermarsch der extremen Rechten

»Die Schuld an dem, was in Demmin geschah, liegt bei den Deutschen«

Alljährlich mobilisiert die extreme Rechte am 8. Mai in die Kleinstadt Demmin in Mecklenburg-Vorpommern. Auch in diesem Jahr organisierte die Partei Die Heimat (vormals NPD) einen Trauermarsch unter dem Motto »8. Mai 1945 – Wir feiern nicht!«. Die Jungle World sprach mit Guido Fröschke, Mitglied im Aktionsbündnis 8. Mai Demmin, das die Gegenproteste organisiert.

Welche Botschaft wollen Sie mit ihrem Gegenprotest vermitteln?
Wir wollen zeigen, dass die Opfer, die die Nazis hier betrauern, nicht die einzigen Opfer sind, und dass das Ende des Krieges ­dennoch Befreiung bedeutete.

Was ist denn im Mai 1945 in Demmin passiert?
Als die sowjetischen Truppen am 30. April in Demmin einmarschiert sind, haben sich Wehrmacht und Nazifunktionäre nach Westen zurückgezogen und die Brücken über die Demmin umgebenden Flüsse gesprengt. Dadurch ist die Rote Armee in ein Art Sackgasse gelaufen und kam erstmal nicht weiter. Die Soldaten haben dann den 1. Mai gefeiert, Schnaps geplündert und auch Frauen vergewaltigt. Zusammen mit der Angst vor der Rache der Rotarmisten nach dem Krieg in der Sowjetunion führte das zu einer Suizidwelle mit nach groben Schätzungen 1.000 Toten. So kehrte der von Deutschland begonnene Vernichtungskrieg nach Demmin zurück.

»Die Nazis haben sich für ihr Gedenken Demmin ausgesucht, weil hier die Zahl der Opfer im Vergleich zur Einwohnerzahl von seinerzeit 17.000 besonders hoch war.«

Ist so ein Massensuizid nur in Demmin passiert?
Nein, so etwas gab es öfter. Die Nazis haben sich für ihr Gedenken Demmin ausgesucht, weil hier die Zahl der Opfer im Vergleich zur Einwohnerzahl von seinerzeit 17.000 besonders hoch war.

Seit wann demonstriert die NPD, beziehungsweise Die Heimat in Demmin, und hat sich der Niedergang der Partei hier irgendwie bemerkbar gemacht?
Seit 2007 sind die hier unterwegs. Damals war die NPD noch im Landtag, da war es einfacher für sie, das zu organisieren, auch weil Geld da war. Ansonsten hat sich da wenig verändert, die Teil­nehmerzahl bei denen bewegt sich ziemlich konstant zwischen 150 und 280.

Und seit wann gibt es die Gegenaktivitäten?
Ebenfalls seit 2007. Angefangen haben wir mit Leuten aus Demmin, die in Gewerkschaften, ­Kirchen, bei der Linkspartei, SPD und Grünen aktiv sind. Auch ­einige CDU-Leute waren dabei. Es sind aber auch sehr viele Leute dabei, die in alternativen Wohnprojekten in der Region leben und nirgendwo organisiert sind. Zu DDR-Zeiten wurde in Demmin über die Suizide nicht gesprochen. Deswegen haben wir uns intensiv mit der Geschichte beschäftigt. Aber auch mit den Opfern des Vernichtungskriegs in der Sowjetunion. Das ist auch der geschichtliche Zusammenhang, in dem die Selbstmorde passiert sind. Weil dieser Krieg endete, ist für uns der 8. Mai der Tag der Befreiung. Die Schuld an dem, was letztlich in Demmin geschah, liegt bei den Deutschen.

»Zu DDR-Zeiten wurde in Demmin über die Suizide nicht gesprochen.«

Sind Neonazis auch an anderen Tagen als dem 8. Mai in Demmin aktiv?
Wir sehen seit einiger Zeit wieder junge Leute, die provozieren und auffallen wollen, die ganz klar rechtsextrem sind. Auch gab es hier in letzter Zeit Angriffe auf die Büros von SPD, Linkspartei und vom Demokratieverein.

Was braucht es, damit Demmin eines Tages kein Aufmarschort für Neonazis mehr ist?
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir Begegnungen organisieren, zum Kennenlernen, zum Diskutieren und Austausch. Nicht nur zwischen Deutschen und Ausländern, sondern auch unter den Nachfahren der Demminer, die hier das Kriegsende erlebt haben. Und Jugendliche sollten im Rahmen von Projekten die nahegelegenen KZ-Gedenkstätten in Ravensbrück und Sachsenhausen besuchen, um zu erfahren, was Nazidiktatur bedeutet und wie das, was in Demmin endete, anfing.