15.05.2025
Mietwucher ist verboten, wird aber äußerst selten geahndet

Kriminelle Vermieter

In vielen Großstädten werden Mieten verlangt, die höher sind als gesetzlich erlaubt. Geahndet wird dieses Vergehen fast nie.

Berlin ist Mieterstadt – rund 85 Prozent der Haushalte wohnen in der Hauptstadt zur Miete. Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Linkspartei dort bei der jüngsten Bundestagswahl mit 19,9 Prozent der Zweitstimmen zur stärksten Kraft wurde. Die Partei gab sich große Mühe, das Thema für den Wahlkampf zu nutzen. Ab November waren zum Beispiel in der Stadt Werbeplakate für die »Mietwucher-App« der Linkspartei zu sehen gewesen.

Ursprünglich wurde die App für Hamburg, Leipzig, Freiburg und Berlin entwickelt, mittlerweile kann sie für weitere Großstädte genutzt werden. Sie funktioniert folgendermaßen: Mieter geben ihre Mietkosten ein, die App vergleicht diese mit der ortsüblichen Vergleichsmiete. Bei Verdacht auf überhöhte Miete kann mit einem Mausklick das zuständige Wohnungsamt informiert werden.

Die Mietwucher-App der Linkspartei wurde in Berlin in den ersten zwei Monaten ihres Bestehens 18.000 Mal genutzt.

Ab wann Mietwucher – geregelt in Paragraph 5 Wirtschaftsstrafgesetz (WiStG) – vorliegt, hängt von der ortsüblichen Vergleichsmiete ab, die je nach Stadt und lokaler Lage variiert. Zu hohe Miete zu verlangen, ist verboten: Liegt die Miete mehr als 20 Prozent über dem ortsüblichen Niveau, handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, bei über 50 Prozent sogar um eine Straftat.

Doch wird Mietwucher seit gut 20 Jahren kaum noch geahndet. Damals veränderte ein Urteil des Bundesgerichtshofs die Rechtslage. Seitdem »müssen Mieterinnen nachweisen, welche Bemühungen sie bei der Wohnungssuche konkret unternommen haben und dass sie mangels Alternativen auf die Anmietung der überteuerten Wohnung angewiesen waren«, heißt es in einer Veröffentlichung des Deutschen Mieterschutzbunds. Zudem »müssen die Vermieterinnen diese Zwangs­lage gekannt und ausgenutzt haben« – doch ein solcher Nachweis sei in der Praxis kaum möglich.

Ausnahme Frankfurt

Als Ausnahme gilt das Wohnungsamt der Stadt Frankfurt am Main. Dort können Verdachtsfälle von Mietwucher – ähnlich wie über die App der Linkspartei – leicht online gemeldet werden. Rund 200 Meldungen gehen pro Jahr ein. Der FAZ zufolge verfügt die zuständige Abteilung nach Angaben des Magistrats über 22 Vollzeitstellen, davon 13 im operativen Bereich.

Bei bestätigtem Mietwucher wird zunächst eine gütliche Einigung mit dem Vermieter in Form einer Mietminderung sowie Rückzahlung zu viel gezahlter Miete angestrebt. Manchmal werden Bußgelder verhängt, besonders gravierende Fälle werden der Strafverfolgung übergeben.

Offenbar mit Erfolg: In einem Antrag der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus vom vergangenen November, der fordert, dem Frankfurter Beispiel zu folgen, wurde darauf verwiesen, dass in Frankfurt zwischen 2020 und 2022 insgesamt 1.384 Verfahren wegen Mietwucher geführt wurden, von denen nur 171 eingestellt werden mussten. »Obwohl die Bußgelder sehr zurückhaltend bemessen wurden, konnten dabei 321.000 Euro an Strafen festgesetzt und weitere 419.000 Euro Rückzahlungen an Mieter:in­nen durch­gesetzt werden«, ist in dem Antrag zu lesen.

»Überhöhte Mieten subven­tioniert«

Wie groß das Problem ist, zeigte bereits im Januar eine erste Auswertung der Mietwucher-App nach zwei Monaten. In Berlin wurde die App in diesem Zeitraum 18.000 Mal genutzt. In knapp drei Vierteln der gemeldeten Fälle lag demnach mutmaßlich eine um mindestens 20 Prozent überhöhte Miete vor. Im Durchschnitt der Fälle lag die Miete 54,7 Prozent über der Höhe des jeweiligen örtlichen Mietspiegels (anders als in den Mietspiegel gehen in die ortsübliche Vergleichsmiete wertsteigernde Faktoren wie besondere Ausstattung und Lage ein).

Nach gut einem halben Jahr seien in Berlin durch die App bereits 35.000 potentielle Fälle für Mietwucher gesammelt worden, teilte die Linkspartei Anfang April mit. »Tausende Meldungen sind bei den Wohnungsämtern eingegangen und müssten dort nun verfolgt werden«, heißt es weiter.

Doch bisher habe es in keinem dieser Fälle Bußgelder oder Mietminderungen gegeben, sagte Niklas Schenker, der für die Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, der Jungle World. Der Senat müsse »die Bezirke bei der Verfolgung von Mietwucher unterstützen«, fordert Schenker. Es brauche »qualifiziertes Personal, um die Verfahren rechtssicher durchzuführen«. Mietwucher schade auch der öffentlichen Hand, so Schenker. Denn über das Wohngeld und das Bürgergeld würden oft »überhöhte Mieten subven­tioniert«.

Verstöße gegen die Mietpreisbremse als Geschäftsmodell

Während die Linkspartei den rot-schwarzen Berliner Senat wegen der Untätigkeit beim Mietwucher öffentlich bloßstellt, macht das junge Technologieunternehmen Conny daraus ein Geschäftsmodell. Conny hat sich darauf spezialisiert, Verstöße gegen die sogenannte Mietpreisbremse – also die Steigerungsbegrenzung bei Neuvermietung auf maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete in angespannten Wohnungsmärkten – und Mietwucher zu prüfen und dann zivilrechtlich eine Mietsenkung sowie Rückzahlungen einzuklagen. Das Geschäftsmodell funktioniert so ähnlich wie bei den Legal-Tech-Firmen, die Entschädigungen bei Flugverspätungen durchsetzen und ­einen Teil des Schadensersatzes einbehalten.

Der Gründer und Geschäftsführer von Conny, Daniel Halmer, sagte der Jungle World, seine Firma finanziere sich »ausschließlich aus Zahlungen, die der Vermieter leisten muss, etwa zwecks Rückzahlung zu viel erhaltener Mieten«. Anders als bei der »Miet­wucher-App« werden die Vermieter nicht dem Amt gemeldet. Das Ziel seiner Kunden sei nicht, ihre Vermieter »bei den Behörden anzuschwärzen«, sondern schlicht weniger Miete zu zahlen.

Die App dürfte der Linkspartei im Wahlkampf geholfen haben. Man kann sie allerdings auch als Symptom von politischen Rückschlägen für die Berliner Mieterbewegung deuten.

Viele Mieter scheuen jedoch den ­zivilrechtlichen Konflikt mit dem Vermieter, weshalb der Weg der »Mietwucher-App« über die Ämter attraktiver erscheint. Denn: »Das Amt vertritt dann dabei öffentliche Interessen«, heißt es in den FAQ der App – und nicht die des einzelnen Mieters.

Die App dürfte der Linkspartei im Wahlkampf geholfen haben. Man kann sie allerdings auch als Symptom von politischen Rückschlägen für die Berliner Mieterbewegung deuten. Schließlich hatte man 2021 noch mit dem erfolgreichen Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen« versucht, den Mietmarkt durch Enteignung und Vergesellschaftung fundamental zu verändern. Mit der App ist das Ziel nur noch, für die Einhaltung bestehender Gesetze zu sorgen. Der Volksentscheid wurde indes schon nicht verwirklicht, als die Linkspartei noch mit der SPD und den Grünen regierte – jetzt ist damit überhaupt nicht mehr zu rechnen.