Bauern, Blut und Boden
»Das Fahnentuch ist schwarz. Das ist das Zeichen unserer Trauer über diese Judenrepulik«, sagt der Anführer der Landvolkbewegung in Hans Falladas Roman »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931). »Drin ist ein weißer Pflug: Symbol unserer friedlichen Arbeit. Aber, dass wir auch wehrhaft sein können: ein rotes Schwert. (…) Es ist eigentlich die Fahne von Florian Geyer.« In der fiktiven Szene lässt Fallada seinen Protagonisten den historischen Bezug erklären: Die antisemitische Landvolkbewegung wolle eine Bewegung von Bauernkriegern sein, wie das als »Schwarzer Haufen« bezeichnete Heer aus dem Odenwald, das der Reichsritter Florian Geyer im Bauernkrieg 1525 angeführt hatte.
Die Landvolkbewegung entstand während der Agrarkrise in den zwanziger Jahren, organisierte Steuerboykotte, Massenproteste von Landwirten vor allem in Schleswig-Holstein und verübte auch Sprengstoffanschläge. Aufgrund ihrer antisemitischen und völkischen Gesinnung ging sie später reibungslos im Nationalsozialismus auf. Auch diese bezogen sich positiv auf den Bauernkrieg von 1525, war er doch geeignet, die eigene Politik der Scholle und das Führerprinzip zu legitimieren.
»Ein Volk, ein Herrscher, ein Glaube« sei das politische Ziel der Bauernaufstände gewesen, hieß es in einem NS-Schulbuch, in Anlehnung an die nationalsozialistische Parole »Ein Volk, ein Reich, ein Führer«.
Thomas Müntzer, Theologe und Revolutionär im Bauernkrieg aus Thüringen, diente den Sozialdemokraten und später der DDR-Regierung als eine Art Säulenheiliger und Gewährsmann für ihr Lob des Bauernaufstands, für die Nationalsozialisten hingegen eignete er sich nicht zur erinnerungspolitischen Instrumentalisierung. Sie bevorzugten den Soldaten Florian Geyer, betonten seine Kampfesmut und benannten eine Division der Waffen-SS nach ihm. Das Fahrtenlied »Wir sind des Geyers schwarzer Haufen« gehörte zum Repertoire von SS und SA. Darin heißt es: »Geschlagen ziehen wir nach Haus, uns’re Enkel fechten’s besser aus.«
Diese Verherrlichung der kämpferischen Bauern fand sich auch in der völkischen Geschichtswissenschaft. Das Bauerntum war als Verkörperung des »deutschen Volkstums« ein wichtiger ideologischer Bezugspunkt für die Nationalsozialisten und ihre Blut-und-Boden-Ideologie. Das Land und die auf der Scholle verwurzelten Bauern spielten sie gegen die Städte aus, die sie als Moloch voller entwurzelter Menschen und als jüdisch dominiert darstellten. Die Ereignisse von 1525 verzerrten Nazi-Historiker zum völkischen Kampf: Germanische Bauern hätten damals gegen die Fremdbestimmung durch römisches Recht und die katholische Kirche in Rom aufbegehrt.
Vom Bauernkrieg zum Reichsnährstand
Dass »die deutsche Geschichte ein ewiger Kampf um das Reich« sei, ist beim Historiker und bekennenden Nationalsozialisten Günther Franz zu lesen. Kaiser Karl V. habe als »fremdrassiger« Habsburger nicht über »deutsches Blut« verfügt. Vom »Reichsgedanken« getragen habe die Bauernbewegung »die wirtschaftliche Macht der Juden« beseitigen wollen. Gescheitert sei man am »Führermangel«.
Der Agrarhistoriker Franz, auch »Bauern-Franz« genannt, war der maßgebliche NS-Interpret des Bauernkriegs. Er war als SS-Rottenführer am Rasse- und Siedlungshauptamt tätig, hatte einen Lehrstuhl in Jena und gehörte ab 1939 dem persönlichen Stab von Alfred Rosenberg an.
Nach der deutschen Niederlage zunächst zur Zwangspause abgestellt, konnte er bald seine akademische Karriere fortsetzen und hatte ab 1957 einen Lehrstuhl an der Landwirtschaftlichen Hochschule Stuttgart-Hohenheim inne, wo er von 1963 bis 1967 auch Rektor war. In einer Ausgabe über den Bauernkrieg des SS-Leithefts, des zentralen Publikationsorgans der SS, hatte Franz Reformation und Bauernkrieg als Kampf gegen den Einfluss der Juden dargestellt.
»Deutsche Art erhalten«
Hitlers Machtübernahme deutete Günther Franz als Vollendung des Kampfs von 1525. In seinem Standardwerk zum Thema heißt es: Heute, »am Ende der ersten siegreichen deutschen Revolution hat der Bauer im Dritten Reich endlich die Stellung im Leben der Nation gewonnen, die er schon 1525 anstrebte«. Diese Sicht schlug sich auch in Schulbüchern nieder: »Ein Volk, ein Herrscher, ein Glaube« sei das politische Ziel der Bauernaufstände gewesen, hieß es da, in Anlehnung an die nationalsozialistische Parole »Ein Volk, ein Reich, ein Führer«.
Diese Art von Bezugnahme auf den Bauernkrieg drückte sich auch in öffentlichen Inszenierungen aus. Vor dem Erfurter Dom etwa fand 1934 das historische Massenspiel »Bauernland in Flammen« statt. Rund 1.500 Laienspieler halfen bei der Aufführung mit, die den Abschluss der Reichsnährstandsausstellung bildete.
Die Fahne der Landvolkbewegung, angeblich jene Florian Geyers, tauchte auch bei den sogenannten Bauernprotesten im Winter 2023/2024 wieder auf, heutige Neonazis sehen sich in der Tradition aufständischer Bauern.
Bis heute geraten Rechtsextreme angesichts des Bauernkriegs in Wallung und deuten ihn zum völkischen Kampf um. »Vor genau 500 Jahren standen die Bauern gegen fremde Einflüsse und Knechtung und für ein starkes und einiges Reich auf. Es galt damals zudem, die deutsche Art zu erhalten«, konnte man im Magazin Compact lesen.
Die Fahne der Landvolkbewegung, angeblich jene Florian Geyers, tauchte auch bei den sogenannten Bauernprotesten im Winter 2023/2024 wieder auf, heutige Neonazis sehen sich in der Tradition aufständischer Bauern. Das ist eine unhistorische Vereinnahmung. Die Bauern um Thomas Müntzer zum Beispiel zogen mit der Regenbogenfahne in die Schlacht.