Die letzte Bastion der PiS
Seit etwa zwei Jahren jagt in Polen ein Wahlkampf den nächsten. Zugleich ist das Land mitten im Prozess, die Auswirkungen der etwa ein Jahrzehnt währenden Dominanz der nationalkonservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS, Recht und Gerechtigkeit) rückgängig zu machen. Nachdem die demokratische Opposition bei den Wahlen zum Sejm im Oktober 2023 eine Mehrheit erlangen konnte, festigte sie ihren Vorsprung vor PiS auch bei den Europa- und Kommunalwahlen im Frühjahr 2024. Im Mai 2024 könnte die letzte Bastion der Nationalkonservativen in der polnischen Politik fallen.
Präsident Andrzej Duda, der vor seinem Amtsantritt PiS angehörte und der Partei weiterhin die Treue hält, kann nach zwei Amtszeiten nicht mehr bei der am 18. Mai anstehenden Wahl zum Staatsoberhaupt antreten. Der Krakauer Jurist hatte im Mai 2015 überraschend gegen den damaligen Amtsinhaber Bronisław Komorowski gewonnen, der der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO, als Teil der Bürgerkoalition KO in der derzeitigen Regierung) nahestand.
Wie bei allen Präsidentschaftswahlen seit 2005 prognostizieren die Umfragen derzeit, dass es zu einer Stichwahl zwischen den PO beziehungsweise PiS nahestehenden Kandidaten kommen wird.
Damit war der Grundstein für den illiberalen Staatsumbau gelegt, wenige Monate später errang PiS die absolute Mehrheit im Sejm. Präsident Duda nutzte sein Vetorecht gegen Parlamentsbeschlüsse nur selten und ermöglichte damit die Aushöhlung des Rechtsstaats durch PiS. Diese Untätigkeit während seiner beiden Amtszeiten brachte Andrzej Duda den wenig schmeichelhaften Spitznamen »długopis« (»Kugelschreiber«) ein.
Deutlich häufiger nutzte der scheidende Präsident hingegen seinen Kugelschreiber seit Dezember 2023, um Vorhaben der derzeitigen Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk (PO) zu verhindern. Viele der versprochenen Veränderungen der breiten Regierungskoalition aus KO, der konservativen Bauernpartei PSL, der katholischen Partei Polska 2050 und der Linken, insbesondere die Wiederherstellung einer unabhängigen Justiz, harren deshalb noch der Verwirklichung.
Gleichzeitig dient das präsidentielle Veto der Regierung auch als Ausrede, um Unstimmigkeiten in der eigenen Koalition zu vertuschen. Denn die ist sich auch bei wichtigen Wahlkampfversprechen nicht so einig, wie Tusk es gerne hätte. Zum Beispiel scheiterte im Juli vergangenen Jahres eine Abstimmung zur Entkriminalisierung der Hilfe bei Schwangerschaftsabbrüchen im Parlament an Mitgliedern der Koalition. Dennoch ist es für die Regierung und ihre Handlungsfähigkeit von großer Bedeutung, wer zukünftig im Präsidentenpalast sitzt.
Rafał Trzaskowski vs. Karol Nawrocki
Auf den ersten Blick ist alles wie immer. Wie bei allen Präsidentschaftswahlen seit 2005 prognostizieren die Umfragen derzeit, dass es zu einer Stichwahl zwischen den PO beziehungsweise PiS nahestehenden Kandidaten kommen wird. Dabei führt der sich weltoffen und proeuropäisch präsentierende Rafał Trzaskowski von der PO, gegenwärtig Stadtpräsident (Oberbürgermeister) von Warschau, in den Umfragen komfortabel mit 32 Prozent. Karol Nawrocki, der offiziell unter dem Motto »Bürgerkandidat« antritt, um sich von PiS abzugrenzen, würde mit etwa 24 Prozent zwar den wahrscheinlichen zweiten Wahlgang am 1. Juni erreichen, dürfte dort nach derzeitigem Stimmungsbild aber chancenlos sein.
PiS hatte mit dem 42jährigen Historiker und Hobbyboxer versucht, ein unbeschriebenes Blatt zu präsentieren und gleichzeitig die Wählergruppe rechter junger Männer einzufangen. Diese Personalie erwies sich allerdings als Fehlgriff, da der in der Danziger Hooligan-Szene umtriebige Nawrocki nicht nur durch mangelndes rhetorisches Geschick auffiel, sondern auch Woche um Woche neue unangenehme biographische Informationen über ihn in der Presse erschienen. Dazu gehört neben seiner Vergangenheit in der gewaltbereiten Fußballfanszene auch ein Skandal rund um eine illegal erworbene Kommunalwohnung, die er unter noch ungeklärten Umständen von einem älteren Nachbarn erhalten haben soll.
Trotz der schlechten Umfrageergebnisse Nawrockis wird er den zweiten Platz wohl halten können. Zeitweise hatte es so geschienen, als könne er von Sławomir Mentzen überholt werden. Der Kandidat der wirtschaftslibertären und rechtsextremen Konfederacja, der vor allem durch seine Social-Media-Kanäle und eine Wahlkampftour durch eine große Anzahl an polnischen Provinzstädten von sich reden macht, liegt allerdings gegenwärtig mit etwa 13 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz.
Mehr oder weniger bekannte Vertreter der rechten und linken Szene
Zu den insgesamt 13 Kandidat:innen, die sich in bisher bereits sechs Fernsehdebatten in unterschiedlichen Konstellationen einer breiten Öffentlichkeit präsentiert haben, besteht neben dem populären, aber chancenlosen Sejm-Marschall (Präsidenten des parlamentarischen Unterhauses) Szymon Hołownia aus mehr oder weniger bekannten Vertretern der rechten und linken politischen Szene.
Das rechte Lager kann mit Gestalten wie dem rechtsliberalen Krzysztof Stanowski, dem homophoben Marek Jakubiak oder dem Faschisten Grzegorz Braun aufwarten. Letzterer hatte im Wahlkampf eine EU-Fahne verbrannt und im Dezember 2023 einen Chanukka-Leuchter im polnischen Sejm rabiat mit einem Feuerlöscher gelöscht.
Auch das linke Lager leistet sich drei Kandidat:innen: die Sozialdemokratin Magdalena Biejat, die sich wegen der Regierungsbeteiligung ihrer Partei Nowa Lewica jedoch nicht klar profilieren kann, ihren ehemaligen Parteikollegen Adrian Zandberg (Razem), der aus der Opposition ein ähnliches Programm vertritt, und Joanna Senyszyn. Die 76jährige emeritierte Professorin für Wirtschaftswissenschaften, die ebenfalls mit einem klassisch sozialdemokratischen Programm antritt, ist in den vergangenen Wochen durch ihre markante Stimme und ihr exzentrisches Auftreten bei den Fernsehdebatten zu einer Internetberühmtheit geworden. Dass eine ältere Frau der Linken etwas Humor verleiht, ist daran wohl das Bemerkenswerteste – denn keiner der drei Kandidaten kommt in Umfragen auf mehr als sieben Prozent.