Schöne neue Medienwelt
Die Idee eines »Hauses für gemeinnützigen Journalismus« nahm 2016 Gestalt an. Da schrieb die Rechercheplattform Correctiv auf ihrer Website, man suche »gemeinsam mit einer deutschsprachigen Stiftung ein Grundstück«. Mit einem »Kreativquartier«, hieß es, wolle man dem »gemeinnützigen Journalismus« in Deutschland »zum Durchbruch« verhelfen.
Bei der Stiftung handelte es sich um die Schöpflin-Stiftung mit Sitz in Lörrach – und im September 2024 wurde Publix schließlich feierlich an der Hermannstraße in Berlin-Neukölln eröffnet. Heute sind dort etwa 30 Organisationen ansässig. Unter diesen »Residents« befinden sich Medien wie Correctiv, Klimareporter und Good Impact, Vereine wie Netzwerk Recherche und Reporter ohne Grenzen, Produktionsfirmen und Think Tanks. Zudem kann man Arbeitsplätze, Studios und Ateliers anmieten.
In ihrem Film wolle Hebh Jamal ihre »Freunde und Kollegen« porträtieren, die »Deutschland zum Schweigen« bringe. Einer von ihnen ist Zid Tamim, der Deutschland-Koordinator des Netzwerks Samidoun.
Der »gemeinwohlorientierte Journalismus«, wie ihn Correctiv betreibt, versteht sich als Antwort auf die »Medienkrise«, ist auf der Website des Forums Gemeinnütziger Journalismus zu lesen. Er soll als »nicht-kommerzielles« Medienangebot eine »Ergänzung zum privatwirtschaftlichen Journalismus und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk« darstellen. In der Praxis bedeutet das, dass sich ein Medium nicht über Abos, verkaufte Zeitungen oder Werbung finanziert, sondern durch private Spenden und zum Teil durch Fördermittel von staatlichen Institutionen oder Stiftungen.
Der Kommunikationswissenschaftler Christian Hoffmann von der Universität Leipzig sagte der Jungle World, er halte es für fraglich, ob »Journalismus nachhaltig durch Spenden finanziert werden kann«. »Kleinspender müssen eng betreut und immer wieder neu motiviert werden.« Dadurch entstehe »ein Anreiz für Sensationalismus«. Die gemeinnützigen Medien müssen »regelmäßig mit spektakulären Geschichten Aufmerksamkeit erzeugen, um Spenden zu generieren.«
»Geheimtreffen« in Potsdam
Das beste Beispiel dafür hat Correctiv selbst mit seiner »Geheimplan«-Recherche geliefert, die Anfang 2024 erschienen ist. Der Artikel handelte von einem »Geheimtreffen« in Potsdam von AfD-Politikern mit finanzstarken Spendern und rechtsextremen Aktivisten wie dem AfD-Bundestagsmitarbeiter Mario Müller und dem Anführer der Identitären Bewegung Österreich, Martin Sellner.
Unter der Überschrift »Geheimplan gegen Deutschland« schrieb Correctiv im Teaser: »Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen.« Im Artikel wurde bedeutungsschwanger darauf hingewiesen, dass das Treffen nur wenige Kilometer vom Ort der Wannseekonferenz stattgefunden hatte.
Durch die Aufmachung als große Enthüllung entstand der Eindruck, dort wären die geheimen wahren Pläne der AfD diskutiert worden. In Wirklichkeit hatte es sich wohl um kaum mehr als ein zweitklassiges Strategietreffen mit potentiellen Spendern gehandelt.
Bundesweite Protestwelle gegen die AfD
Sellner hatte dort tatsächlich über »Remigrations«-Pläne gesprochen, also darüber, was die AfD tun könnte, um im Falle einer Machtübernahme »die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln«. Und er hatte explizit gesagt, dass er dazu auch »nicht assimilierte Staatsbürger« zählte.
Darüber zu berichten ist in der Tat von öffentlichem Interesse. Doch die Tatsache, dass Sellner – und viele AfD-Politiker – ein völkisches Weltbild vertreten und entsprechende Ziele verfolgen, ist keineswegs eine Neuigkeit. Die Correctiv-Recherche enthüllte wenig, was aufmerksame Zeitungsleser nicht schon wussten.
Trotzdem löste der Artikel eine riesige bundesweite Protestwelle gegen die AfD aus. Und: Correctiv konnte seine privaten Spendeneinnahmen nach dem »Geheimplan«-Artikel mit über sechs Millionen Euro im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifachen.
Maßgeschneiderte Propaganda
Eine andere Art, Journalismus zu finanzieren, die angesichts der Medienkrise immer beliebter wird, ist das sogenannte Crowdfunding. Dabei sammelt man Spenden, um ein konkretes Projekt zu finanzieren. Das funktioniert am besten mit eher aktivistischen Unternehmungen, die einer zugkräftigen politischen Linie folgen. Denn dann gibt es schon vorher ausreichend Fans, die sich mit dem Anliegen identifizieren. Im schlimmsten Fall handelt es sich um maßgeschneiderte Propaganda, die das Weltbild einer bestimmten politischen Strömung bestätigen soll.
Neben den genannten Vereinen, Medien und Think Tanks war ein weiterer »Resident« von Publix bis vor kurzem die Produktionsfirma Rosastream. Deren presserechtlicher Verantwortlicher hieß Tom Wills. Als freier Journalist hat Wills schon für al-Jazeera, Middle East Eye, Deutsche Welle, Guardian, Deutschlandfunk Kultur, Jacobin und Junge Welt geschrieben. Zusammen mit der Journalistin Hebh Jamal produziert Wills den Dokumentarfilm »The Reason of State: A documentary project investigating Germany’s War on Palestinian voices«. Dafür sammeln sie per Crowdfunding Spenden, bislang sind mehr als 18.000 Euro zusammengekommen. Als Zustelladresse gaben Jamal und Wills auf der Website des Films ursprünglich die Adresse von Publix an.
Jamal positioniert sich politisch deutlich. Am 7. Oktober 2023 veröffentlichte sie ein Tiktok-Video, in dem sie die Massaker der Hamas vom Vortag kommentierte. Es ist mittlerweile gelöscht, wurde aber von der Jüdischen Allgemeinen veröffentlicht. »Dekolonialisierung ist schmutzig, Dekolonialisierung ist hässlich, Dekolonialisierung ist nicht hübsch anzusehen. Aber sie ist absolut notwendig«, sagte Jamal damals.
Deutschland-Koordinator des mittlerweile verbotenen Netzwerks Samidoun
In »The Reason of State« wolle Jamal ihre »Freunde und Kollegen« porträtieren, welche »Deutschland zum Schweigen bringen« wolle, heißt es auf der Website des Films. Einer von ihnen ist Zid Tamim, der sich selbst Zaid Abdul Nasser nennt. Der gebürtige Palästinenser war als Deutschland-Koordinator des mittlerweile in der Bundesrepublik verbotenen Netzwerks Samidoun tätig.
Samidoun-Mitglieder feierten am 7. Oktober das Massenmorden der Hamas auf der Berliner Sonnenallee, indem sie Baklava verteilten. Die Gruppe gilt als Vorfeldorganisation der PFLP, einer seit Jahrzehnten bestehenden Terrororganisation, deren Mitglieder am Hamas-Überfall vom 7. Oktober beteiligt waren. Nach dem Verbot war Tamims Berliner Wohnung Gegenstand einer Razzia – darüber berichtet er in dem Dokumentarfilm, wie in dem online veröffentlichten Trailer zu sehen ist.
Tamim ist nach Angaben der Recherchestelle Democ außerdem Gründungsmitglied der Organisation Masar Badil, deren Mitglieder enge Kontakte zu Samidoun pflegen; einige sind auch in beiden Gruppen aktiv. Masar Badil ist ein europaweites Netzwerk, das sich vor allem an die palästinensische Diaspora in Europa richtet. Democ zufolge propagiert es, »dass die Solidarität mit Palästina jegliche Form des Widerstands umfassen müsse«; dafür organisiere Masar Badil Videoseminare mit hochrangigen Vertretern der Hamas, des Palästinensischen Islamischen Jihad und der jemenitischen Houthi-Rebellen.
»Deutschlands sklavische Unterstützung für Israel«
Unter dem Titel »It didn’t start on October 7th« zeigte das inzwischen geschlossene Neuköllner Kulturzentrum Oyoun kurz vor dem Jahrestag des Hamas-Massakers am 6. Oktober 2024 »vorveröffentlichte Auszüge« aus dem Film von Wills und Jamal. Bei der Veranstaltung sollte »Deutschlands sklavische Unterstützung für Israel« diskutiert werden. Als Sprecher angekündigt war auch Ramsy Kilani von der Linkspartei – der kurz darauf aus der Partei ausgeschlossen wurde, weil er den Hamas-Überfall auf Israel verteidigt hatte.
Offenbar wurden Teile des Films sogar im Publix-Haus gedreht: Auf ihrem Instagram-Account veröffentlichte Hebh Jamal im September 2024 einen Videoausschnitt, der sie während der Dreharbeiten zu »The Reason of State« im Publix-Haus zeigt.
Kurz nachdem die Jungle World dazu eine Anfrage an das Publix-Haus stellte, verschwand Rosastream als »Resident« von der Website des Hauses. Publix teilte der Jungle World mit, dass Tom Wills seinen Büroplatz zum 15. März gekündigt habe.
Zu den Umständen von Wills’ Kündigung, der Entfernung der Zustelladresse und der Frage, ob bekannt gewesen sei, dass Wills und Jamal das Haus als Adresse für ihren Film nutzten, gab Publix der Jungle World keine Auskunft.
Mitte Februar befragte die Jungle World die Publix-Direktorin Maria Exner dazu, dass Wills und Jamal ihr Haus als c/o-Adresse nutzten. Anfang März war die Adresse von der Website des Filmprojekts verschwunden. Zu den Umständen von Wills’ Kündigung, der Entfernung der Zustelladresse und der Frage, ob bekannt gewesen sei, dass Wills und Jamal das Haus als Adresse für ihren Film nutzten, gab Publix der Jungle World keine Auskunft. Dazu, wie man zu einer mutmaßlichen Terrorunterstützerin als Nutzerin des Publix-Hauses stehe, wollte sich Exner nicht äußern.
Die Jungle World schickte auch Tom Wills und Hebh Jamal jeweils einen Fragenkatalog – warum zum Beispiel wurde Zid Tamim für ihren Film interviewt? Doch die Journalisten wollten keine der Fragen beantworten.
Mitarbeit: Martin Brandt