15.05.2025
Schweden tut sich schwer mit der ­Geheimhaltung, ein Skandal jagt den nächsten

Sicherheitsberater als Sicherheitsrisiko

Geheime Unterlagen liegengelassen, intime Bilder verschwiegen: Seit es in Schweden das Amt des Nationalen Sicherheitsberaters gibt, taumeln die, die es bekleiden, von Skandal zu Skandal.

Schweden befindet sich mitten in einer veritablen Sicherheitskrise. Sie dreht sich vor allem rund um die vom derzeitigen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson im Jahr 2022 geschaffene neue Institution des Nationalen Sicherheitsrats, die eigentlich dazu gedacht war, Schweden in Fragen von Spionageabwehr und Landesverteidigung zu modernisieren und dafür Kompetenzen zu bündeln. Der Leiter dieses Gremiums untersteht nur dem Ministerpräsidenten – und er verdient mit umgerechnet rund 11.000 Euro monatlich ähnlich viel wie sonst nur hohe Regierungsbeamte, was als Beleg dafür gilt, wie wichtig seine Position sein soll.

Am 1. November 2022 wurde Henrik Landerholm in den ersten Nationella säkerhetsrådet berufen. Unumstritten war diese Berufung nicht, denn der ehemalige Direktor der Militärhochschule und spätere Botschafter in Lettland und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist seit Kindertagen mit Ministerpräsident Kristersson befreundet.

Tobias Thyberg wurde allgemein als Glücksgriff bezeichnet – und gab nur wenige Stunden nach seiner Ernennung zum Sicherheitsberater seine neue Position auf.

Landerholms Karriere als Nationaler Sicherheitsberater endete mit einem Skandal: Im Dezember 2024 vergaß er teils als vertraulich, teils als geheim eingestufte Unterlagen in einer staatlichen Ausbildungs- und Konferenzstätte. Die Tageszeitung Dagens Nyheter berichtete, dass Landerholm Untersuchungen des schwedischen Nachrichtendienstes Säpo zufolge den vorübergehenden Verlust der Unterlagen nicht gemeldet hatte und die Papiere offen herumlagen, bis sie zufällig vom Reinigungspersonal gefunden und an Regierungsbeamte ausgehändigt wurden.

Umgehend wurden weitere Vorwürfe gegen Landerholm erhoben. Er soll demnach unter anderem sein Büropersonal ohne vorherige Sicherheitsüberprüfung eingestellt und sein Handy in der ungarischen Botschaft vergessen haben. Sein bei einer anderen Gelegenheit in einem Rundfunkstudio verschusseltes Notizbuch habe er sich zudem von einem unbeaufsichtigten Taxifahrer zurückbringen lassen. Darüber hinaus ließ er sich eine private Reise nach Berlin vom schwedischen Staat bezahlen. Im Februar wurde zudem bekannt, dass Landerholm noch während der Recherchen von Dagens Nyheter seinen Behördenausweis verloren hatte.

Verdacht auf fahrlässigen Umgang mit geheimen Informationen

Am 11. März leitete Oberstaatsanwalt Per Lindqvist gegen ihn ein Verfahren wegen des Verdachts auf fahrlässigen Umgang mit geheimen Informationen ein; Landerholm trat umgehend zurück. Seinen Posten übernahm zunächst kommissarisch Annika Brändström, bis am 8. Mai der neue Nationale Sicherheitsberater vorgestellt werden konnte: Tobias Thyberg, der als schwedischer Diplomat unter anderem in Russland, den USA, Indien und bei der Europäischen Union tätig war und schließlich zum Botschafter in Afghanistan und von 2019 bis 2023 in der Ukraine wurde.

Thyberg, der neben Schwedisch und Englisch auch Deutsch, Russisch, Französisch und Spanisch spricht, wurde allgemein als Glücksgriff bezeichnet – und gab nur wenige Stunden später sein Amt auf. 30 Minuten nachdem er offiziell als Sicherheitsberater vorgestellt worden war, hatte eine unbekannte Person diversen Medien sowie dem Ministerpräsidenten per E-Mail anonym intime Fotos von Thyberg geschickt, die dieser bei der Dating-App Grindr von sich veröffentlicht hatte. Der 49jährige, der mit einem Deutschen verheiratet ist, hätte die Existenz dieser mindestens sechs Jahre alten Bilder während des Auswahlverfahrens für sein Amt thematisieren müssen, unterließ das jedoch aus unbekannten Gründen.

Der Tageszeitung Expressen zufolge trat Thyberg nicht freiwillig, sondern auf Druck von Ministerpräsident Kristersson zurück. Dieser nannte es einen Tag später in einem Interview »ein schweres Versäumnis«, die Bilder nicht zu erwähnen. Es sei schließlich Sinn und Zweck von Sicherheitsgesprächen, »alles, was problematisch werden oder das Vertrauen beeinträchtigen könne, anzusprechen«. Im Übrigen habe Thyberg die Bilder auch in vorherigen Sicherheitsgesprächen für seine diplomatischen Ämter unter den Vorgängerregierungen nie erwähnt.

Nichts anderes als Racheporno

Das sehen allerdings längst nicht alle Schweden als schweren Verstoß. Auch in Kristerssons Partei, der liberalkonservativen Moderaterna, halten viele Thybergs Entlassung für unangemessen. Und das nicht nur, weil es deutliche Anzeichen dafür gibt, dass das Versenden der inkriminierenden E-Mail »organisiert und gut vorbereitet« gewesen sei, wie der Fernsehkommentator Mats Knutson betonte. Es gebe beispielsweise nur wenige Menschen, die wissen, dass die Besetzung des Postens in die Verantwortung des Ministerpräsidenten falle. »Ihm diese Mail zu schicken, deutet auf detaillierte Kenntnisse der Prozesse hin.«

Hanif Bali, ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter der Moderaterna, kritisierte Thybergs Entlassung in einer Fernsehdiskussion als übertrieben. »Wenn wir Moralpanik auslösen, machen wir uns erpressbar«, sagte er. »Die Idee, dass jede einzelne Person, die jemals einem Partner ein frivoles Bild geschickt hat, dies der Säpo melden muss«, sei Unfug. »Kann die Säpo nicht einfach davon ausgehen, dass jeder so etwas schon einmal getan hat? Das wäre doch viel einfacher.«

Im Grunde sei das Verschicken dieser Bilder nichts anderes als ein hämndporr, Racheporno. Zu Recht wäre die Öffentlichkeit aufgebracht, wenn eine Frau aufgrund solcher anonym zugeschickter Fotos ihren Arbeitsplatz verlöre, argumentierte er. »Nur weil in diesem Fall ein Mann das Opfer ist, denken alle, es gehe um die nationale Sicherheit, und hören auf, kritische Fragen zu stellen.«

Von russischer Seite aus konzipiert?

Fragen wie die, ob Thybergs Entlassung nicht genau das war, was der anonyme Täter bezweckte. Dass der Diplomat sich während seiner Zeit als Botschafter in der Ukraine eindeutig gegen die russischen Aggressoren ausgesprochen hatte, könnte nach Ansicht von Experten dafür sprechen, dass die Mails von russischer Seite aus konzipiert worden waren.

Dann wurde am Montag ein weiterer sicherheitsrelevanter Skandal bekannt: Dem Fernsehsender SVT zufolge verhaftete die Säpo einen nunmehr im Außenministerium und zuvor in mehreren europäischen Ländern tätigen hochrangigen Diplomaten unter Spionageverdacht. Der Mann wurde namentlich nicht genannt, Bilder zeigten lediglich die gewaltsam geöffnete Tür seiner im Zentrum Stockholms gelegenen Wohnung.

Ermittlungen der bei der Generalstaatsanwaltschaft angesiedelten Einheit für Sicherheitsfragen zufolge, die Säpo-Fälle bearbeitet, erfolgten die nicht näher benannten Spionagetätigkeiten zwischen dem 1. und dem 11. Mai in Stockholm. Weitere Einzelheiten wurden bis Redaktionsschluss nicht bekanntgegeben; der Verdächtige sei zwar verhaftet, bislang aber noch nicht verhört worden, sagte ein Sprecher der Ermittlungsbehörden.

Geringerer Verdacht

In Schweden werden Verdachtsfälle in vier verschiedene Kategorien unterteilt. In der niedrigsten Stufe gibt es lediglich einen vagen Verdacht zum Beispiel gegen eine bestimmte Gruppe, die an einem Tatort anwesend war. In diesem Fall wird zwar ermittelt, aber alles weitere, wie zum Beispiel Durchsuchungen von Personen, Taschen oder Wohnungen, ist verboten.

In die höchste Verdachtskategorie werden dagegen Fälle eingeordnet, bei denen die Beweise derart erdrückend sind, dass die Staatsanwaltschaft von einer Verurteilung ausgehen kann, zum Beispiel wenn jemand auf frischer Tat ertappt wurde. Die in einer Pressemitteilung der Säpo über den Spionagefall verwendete Phrase lägre misstankegrad (geringerer Verdacht) dürfte sich auf die Kategorien Nummer zwei und drei beziehen, in denen entweder Zeugenbeobachtungen oder technische Beweise auf einen bestimmten Täter hindeuten.

Manche Beobachter halten das Treffen der nordeuropäischen Verteidigungskooperation Joint Expeditionary Force für ein mögliches Ziel – Vertreter aus Skandinavien, den baltischen Staaten und den Niederlanden unter der Leitung Großbritanniens diskutierten die Lage in der Ostsee-Region und im Nordatlantik. 

Bleibt die Frage, was genau der Mann ausspioniert haben könnte. Manche Beobachter halten das Treffen der nordeuropäischen Verteidigungskooperation Joint Expeditionary Force (JEF) in Oslo am 8. und 9. Mai für ein mögliches Ziel – Vertreter aus Skandinavien, den baltischen Staaten und den Niederlanden unter der Leitung Großbritanniens diskutierten unter anderem die Lage in der Ostsee-Region und im Nordatlantik. Auch Ministerpräsident Kristersson hatte an dem Treffen teilgenommen.

Vielleicht, so scherzte ein Journalist, sei aber alles auch ganz anders und der Spion sei bloß derjenige, der die Bilder von Thyberg verschickt habe. Klar ist immerhin schon, dass Schweden sich mit Geheimhaltung schwertut.