22.05.2025
Der Einfluss trüber Theorien auf die US-Regierungspolitik. Erster Teil der Serie »Dark Maga«

Toxische Inspiratoren

Akzelerationismus, Dunkle Aufklärung, Neomonarchie: Die obskure Subkultur pseudointellektueller Antidemokraten wie Curtis Yarvin befeuert das Programm der Regierung Trump. Erster Teil der Serie »Dark Maga«.

Fast zwei Jahrzehnte lang war Curtis Yarvin ein obskurer Blogger, der unter dem Pseudonym Mencius Moldbug sein kleines Eckchen des Internet mit bedenklichen bis komplett durchgedrehten Sachen vollschrieb: Die Demokratie sei wie ein veraltetes Betriebssystem – voller Bugs, schwer zu patchen und ständig am Abstürzen, hieß es einst in seinem Blog »Unqualified Reservations«.

Wie ein »Reboot« des politischen Systems für den ehemaligen Programmierer aussehen könnte? Sein »Staat 2.0« wäre eine Art Monarchie mit Rechenschaftspflicht, die wie ein Start-up funktioniert – ein historisches Beispiel Yarvins für diese Art von Monarchie ist übrigens ausgerechnet das Preußen von Friedrich dem Großen. In diesen Staatsunternehmen wären die Bürger Kunden, denen das Management eine »gute Regierungsleistung« liefern muss – sonst können sie »kündigen«, also: auswandern in einen anderen Staat im »Patchwork« beliebig vieler Mini-Staats-Corporations, welche die heutigen Nationalstaaten Yarvins gleichnamigem Buch zufolge ersetzen sollen.

Curtis Yarvins CEO-Staat soll effizient arbeiten, nicht debattieren; Bürger sollen nicht mitbestimmen, sondern konsumieren.

Wahlen sind in diesem System natürlich überflüssig. Sie führen nur zu »Chaos, Inkompetenz und Korruption«. Yarvins CEO-Staat soll effizient arbeiten – nicht debattieren; Bürger sollen nicht mitbestimmen, sondern konsumieren. Im Übrigen seien manche Rassen intelligenter als andere und die US-Bürgerrechtsprogramme seien »auf Bevölkerungsgruppen« angewandt worden, »die erst seit kurzem Jäger und Sammler sind«. Das Ergebnis: »absoluter menschlicher Müll«. Und, ach so, Nelson Mandela war ein Terrorist, vergleichbar mit Anders Breivik, und Präsident Franklin D. Roosevelt ein effektiverer Autokrat als Hitler.

In einer anderen Zeit wäre man mit solchen Ansichten zu Recht zur Bedeutungslosigkeit verdammt gewesen. In den USA unter Donald Trump jedoch wird man zum »Coronation Ball« (also zum Krönungsball!) eingeladen, den der ultrakonservative Verlag Passage Press im Ballsaal des Watergate Hotel zu Trumps Amtseinführung veranstaltete. Die New York Times – die für Yarvin zur »Kathedrale« gehört, also zum Machtnetzwerk aus Universitäten, Medien und Kulturinstitutionen, das heimlich die öffentliche Meinung und politische Richtung bestimme – porträtierte Yarvin in derselben Woche in einem unkritischen Artikel; in Politico durfte er ein einem langen Interview seine Einschätzung der ersten Wochen der Regierung Trump verbreiten.

Und dort sah er einiges, was ihm bekannt vorkam. Hatte er in seinem Blog nicht schon vor über zehn Jahren seinen Plan »Retire All Government Employees«, kurz Rage, beschrieben? Gemeint war eine große Säuberung des US-amerikanischen Regierungsapparats, die den Weg freimachen soll für »unideologische Technokraten«, die die Macht an sich reißen und die soziale Ordnung rational und datenbasiert neu ausrichten sollen. Klingt das nicht verdächtig nach Elon Musks Doge?

»Schimpansen, die Wagner spielen wollen«

Die Art, wie der US-Milliardär Musk gegenwärtig die US-amerikanische Verwaltung verwüstet, hat Yarvin – der seit 2020 ein Substack namens »Gray Mirror« betreibt – zwar inzwischen verglichen mit »Schimpansen, die Wagner spielen wollen«. Aber die Washington Post zitiert einen Doge-Mitarbeiter mit den Worten, Yarvin habe »die klarste Formulierung« dessen geliefert, was seine Behörde zu erreichen versucht: »Es gibt diese Allianz der Medien, der Universitäten und der Regierung. Diese Leute kapern die Regierung und benutzen sie für ihre eigenen Zwecke und für ihre eigene Macht. Und das ist für uns sehr beängstigend.«

Ähnlich hat sich der heutige Vizepräsident J. D. Vance schon 2021 in dem Pod­cast des Manosphere-Bizarros Jack Murphy geäußert: Sollte Trump noch einmal Präsident werden, müsse er »jeden einzelnen Bürokraten der mittleren Ebene, jeden Beamten im Verwaltungsstaat« feuern und diese »durch unsere Leute« ersetzen. 2022 ließ er Vanity Fair wissen: »Wir müssen die Institutionen der Linken übernehmen und sie gegen die Linke wenden. Wir brauchen so etwas wie ein Entba’athifizierungsprogramm, ein Entwokifizierungsprogramm.« Das erinnert an die Staatsstreichphantasien von Yarvin, mit dessen Schriften Vance nachweislich vertraut ist. Und es weist auch schon voraus auf die Schikanen, mit denen die Regierung Trumps nun US-Universitäten und die öffentlich finanzierten Medien wie PBS (Public Broadcasting Service) als angebliche Horte linken Denkens überzieht.

Dass der Substack eines Neomonarchisten die Gebrauchsanweisung für eine »disruptive« Bundespolitik liefert, kommt auch in den USA nicht jeden Tag vor – und Yarvin ist dabei nicht einmal der einzige seltsame Heilige, dessen Internetergüsse gerade in eine gefährliche Politik übersetzt werden. Denn in den Untiefen des Internets hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine toxische Subkultur von Pseudointellektuellen zusammengefunden, die nun als Stichwortgeber und Ideenlieferanten für einflussreiche Mitglieder der Regierung Trump dienen.

Rachefeldzug gegen politische Gegner

Zusammengefasst werden ihre Anschauungen unter dem Begriff »Dark Enlightenment« (Dunkle Aufklärung), die wiederum in den Kreisen von »Dark Maga« rezipiert werden, einer extremistischen Strömung innerhalb der Trump-Bewegung, die von einen Rachefeldzug gegen politische Gegner und der Etablierung eines christlichen Autoritarismus träumt. Wenn man sich schon einmal gefragt hat, warum Elon Musk keine rote, sondern eine schwarze Maga-Basecap trägt – nun, die weist ihn als Anhänger dieser dunklen Maga-Variante aus.

Was Steve Bannon und die Alt-Right in der ersten Amtszeit Trumps waren, sind die Neoreaktionäre und Dark Maga für die zweite: Vorbeter und Sturmtruppen, Propagandisten und Erfüllungsgehilfen. Zu den neoreaktionären »Vordenkern« dieser Bewegung gehört auch der englische Autor Nick Land, der einst als »Internetphilosoph« zu den Begründern des akademischen Akzelerationismus gehörte, aber inzwischen bei »Hyperrassismus« und Eugenik inklusive der Ablehnung von Demokratie und Menschenrechten angekommen ist. Der Begriff »Dark Enlightenment« geht auf Lands gleichnamigen Essay von 2012 zurück.

Wer sich nur tief genug in diesem bedrückenden Kaninchenbau verirrt, landet irgendwann bei Andrew Tate, Cthulhu und Bronze Age Pervert, einer anonymen Internetkreatur, die in Blogs und Podcasts Faschismus, Bodybuilding, das Patriarchat und Nietzsche propagiert. Sein Pamphlet »Bronze Age Mindset« wird offenbar inzwischen unter Republikanern herumgereicht wie früher schmutzige Bildchen auf dem Schulhof. Curtis Yarvin hatte dem republikanischen Politiker Michael Anton ein Exemplar überlassen, der das Buch in der konservativen Claremont Review of Books mit einer Lobeshymne bedachte. Anton war in der ersten Regierung Trump Direktor für Strategische Kommunikation im Nationalen Sicherheitsrat und ist nun Director of Policy Planning im Außenministerium.

Kein kohärentes politisches Programm

Die zweite Regierung Trump hat kein kohärentes politisches Programm; ihr Handeln ist bestimmt von einem wilden Durcheinander aus obskuren Ideenwelten und Verschwörungstheorien, von denen manche im Widerspruch zueinander stehen. Viele der konkreten politischen Maßnahmen von Präsident und Regierung schienen dem »Project 2025«, einer Art Schlachtplan zur Umgestaltung der US-Bundesregierung, zu folgen, den der erzkonservative Think Tank Heritage Foundation 2023 veröffentlicht hat. Aber unterhalb dieses absurden Mischmaschs aus Neoliberalismus und Protektionismus, Staatsverachtung und Isolationismus, Populismus und Altmänner-Ressentiments findet bei den nachgeordneten Chargen ein ideologisches Rüpelspiel statt, das sich aus trüben Internetquellen speist.

Auch wenn diese Ideenwelten viele verschiedene Namen haben, ist ihnen in der Regel gemeinsam, dass sie den Staat reprimieren oder gleich ganz abschaffen wollen. Als Ersatz bieten sie oft technologische Wunderlösungen an; besonders Neurotechnologie, Robotik, Künstliche Intelligenz und Kryptowährungen werden als Alternativen zu angeblicher staatlicher Überregulierung, verkrusteter Bürokratie und generellem Stillstand angeführt. Die meisten dieser Ideen sind batshit crazy.

Eine weitere Gemeinsamkeit vieler dieser Blasenphantasien besteht darin, dass Peter Thiel irgendetwas mit ihnen zu tun hat. Der in Deutschland geborene und im Apartheid-Südafrika aufgewachsene Unternehmer hat früh in Airbnb, Facebook und Palantir investiert und dadurch ein märchenhaftes Vermögen aufgehäuft, aus dem er schon den ersten Wahlkampf Trumps unterstützte. Zuvor war er zu der Erkenntnis gelangt, dass »Freiheit und Demokratie nicht vereinbar sind«, weil in einer Demokratie die Interessen von Armen und Frauen zu stark berücksichtigt würden.

Mit Vance als Vizepräsidenten hat Peter Thiel nun einen Mittelsmann direkt im Weißen Haus. Weitere Vertraute Thiels an der Spitze der Regierung sind Elon Musk, mit dem zusammen er einst Paypal gründete, und David O. Sacks, der kürzlich von Trump zum »crypto czar« gekürt wurde.

Seither hat Thiel sich immer weiter radikalisiert und finanziert unter anderem das Seasteading Institute, das die Schaffung autonomer Gesellschaften auf Bohrinseln anstrebt. Er hat in das gescheiterte Software-Projekt Urbit von Curtis Yarvin investiert, aber vor allem in die politische Karriere von J. D. Vance, der zeitweise in Thiels Venture-Capital-Firma arbeitete. Gemeinsam investierten Thiel und Vance in den unter »Querdenkern« und Verschwörungstheoretikern beliebten Videodienst Rumble, bevor Thiel Vances Wahlkampf mit Millionensummen sponserte.

Mit Vance als Vizepräsidenten hat er nun einen Mittelsmann direkt im Weißen Haus. Weitere Vertraute Thiels an der Spitze der Regierung sind Elon Musk, mit dem zusammen er einst Paypal gründete, und David O. Sacks, der kürzlich von Trump zum »crypto czar« gekürt wurde. Über diese Figuren tröpfelt das Gift des »Dark Enlightenment« in die Politik der zweiten Regierung Trump.

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Tilman Baumgärtel ist Professor für Medienwissenschaften an der Hochschule Mainz und gibt derzeit das Seminar »Maga und Dark Enlightenment«, über die ideologischen Unterströmungen der Regierung Trump.