29.05.2025
Die »Jungle World« und das Älterwerden

Homestory #22/2025

Auch an den Redaktionsmitgliedern nagt der Zahn der Zeit, und offenbar hat niemand dem Verfall etwas entgegenzusetzen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan kann sein Land noch so sehr in eine religiös dominierte Autokratie verwandeln, kritischen Journalismus unterbinden und Oppositionelle einsperren. Eines kann er aber nicht aufhalten: den Haarausfall der Deutschen. Unter dem leiden nach Angaben des Bundesverbands der Zweithaar-Spezialisten immerhin 40 Prozent aller Männer und 20 Prozent aller Frauen. Und in der Türkei zahlt man für eine Haartransplantation gerade mal ein Drittel dessen, was sie in Deutschland kostet. Wer nicht befürchten muss, von Erdoğans Schergen eingeknastet zu werden, und auch kein Problem mit dem niedrigen Lohn der Fachkräfte hat, die im Zweifelsfall nicht einmal vom Fach sind, reist für mehr Haupthaar deshalb in die Türkei.

Der Alterungsprozess hat seine Tücken. Abgesehen von einer Ausnahme (»Ich bin blutjung und kann dazu rein gar nichts sagen«) weiß man davon auch in Ihrer Lieblingszeitung. Bei manchen fingen die Probleme schon früh an. »Meiner Meinung nach geht es circa ab der Einnistung des Embryos nur noch bergab«, teilt ein Kollektivmitglied apodiktisch mit. Das erste Mal bewusst wahrgenommen, »wie scheiße alles ist«, habe er wie die meisten in der Pubertät. Ein Zeichen geistigen Verfalls sei es aber erst, »wenn man anfängt zu denken, es sei doch nicht so schlimm«.

 Menschen altern in zwei Schüben; erst mit Mitte 40 und dann um die 60. »Alterskipppunkte« nennen das die Forscher.

Ein anderer berichtet traurig vom wachsenden Ungleichgewicht zwischen Alkoholverträglichkeit und Durst. Das fange mit 30 bereits an; da heiße es »nicht an zwei Tagen hintereinander saufen, zweistellige Zahlen beim Bier vermeiden«. Mit 60, gibt er den jüngeren Kolleginnen und Kollegen nicht gerade hoffnungsvoll mit auf den Weg, »wird’s aber nochmal schlimmer«. So ähnlich hat das sogar eine Studie bestätigt: Menschen altern demnach in zwei Schüben; erst mit Mitte 40 und dann um die 60. In diesen Jahren fänden abrupte molekulare Umbauprozesse statt, die Ausdruck beginnender oder laufender krankhafter Veränderungen im Körper seien. »Alterskipppunkte« nennen das die Forscher.

Der Kollege hält es dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – mit dem Motto: »Absolutely no sports, just whiskey and cigars«. Dieses werde wohl fälschlich Winston Churchill zugeschriebenen, der immerhin 90 Jahre alt wurde, aber er nehme es »trotzdem als Inspiration«. Ein anderer pflichtet ihm bei: »Seit ich nicht mehr rauche, bin ich wesentlich häufiger erkältet, hatte eine Kehlkopfentzündung und bin plötzlich allergisch gegen Pollen.« Eine weitere Kollegin berichtet von ähnlichen Erfahrungen: »Ich werde auch immer gleich krank, wenn ich mal lange nicht rauche.« Ihr setze allerdings nicht der eigene Verfall, sondern der ihrer Liebsten zu. »Es gibt einfach keine gesunden Leute mehr.«

»Am erschreckendsten am Altwerden«, findet eine Letzte, »ist, das junge Eltern aussehen wie halbe Kinder, Politikerinnen und Politiker auf einmal jünger sind als ich und Leute, die vom Alter her meine Kinder sein könnten, ihre Sportkarriere aus Altersgründen beenden.« Sie sehen, auch Ihre Lieblingszeitung treibt das Älterwerden um. Wenigstens ist die Zeitung selbst gerade in ihrem besten Alter.