05.06.2025
Die Zukunft der Revolution

Die Räte und der Kommunismus

Ein Rätesystem anzustreben, gilt als die Neuerung revolutionärer Bestrebungen im 20. Jahrhundert. Jasper Bernes’ jüngst publiziertes Buch »The Future of Revolution: Communist Prospects from the Paris Commune to the George Floyd Uprising« reflektiert ihre Geschichte. Eine kritische Rezension.

Unter den großen Theoretikern der sozialistischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Niederländer Anton Pannekoek sicherlich einer der wenigen, denen es gelang, aus der Krise der alten Arbeiterbewegung, die von den Vorstellungen der Sozialdemokratie und ihren leninistischen Extremvarianten geprägt war, eine Zukunftsvision zu entwickeln. Während des Zweiten Weltkriegs lebte Pannekoek, der 1921 mit allen kommunistischen Organisationen gebrochen hatte, zurückgezogen und isoliert im besetzten Holland, beobachtet von der Gestapo. In dieser Zeit arbeitete er an seinem Buch »Workers’ Councils« (Arbeiterräte). Nach dem Krieg schrieb er in einem Brief an Al­fred Weiland, einen deutschen Genossen, der ebenfalls den Schrecken entkommen war: »Wir haben diese Zeit nur überstehen können, weil wir uns wichtige Ziele gesetzt haben.«

Wir befinden uns noch nicht in einer Situation wie Pannekoek, Weiland und andere, aber wir leben bereits in einer Zeit, die von den schwarzen Wolken einer neuen Barbarei verdunkelt wird. Außerdem ist die alte Arbeiterbewegung – dominiert von »wissenschaftlichen« Führungen, die mit Rezepten für die Zukunft bewaffnet waren – im Gegensatz zur früheren Periode nicht mehr nur in einer Krise, sondern tot und begraben. Die Faschismen, der Krieg und die Nachkriegsintegration der Gesellschaft haben die Niederlage der Revolution vollendet, die in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begann. Während wir in den flüchtigen und fragmentierten Kämpfen von heute nach Anzeichen einer neuen Kraft suchen, die sich gegen den Kapitalismus, dieses zerstörerische globale System, stellen könnte, ist es anregend zu entdecken, dass bestimmte Menschen Interesse an den Gedanken haben, die aus dieser Niederlage hervorgegangen sind, und betonen, dass »das Neue nur der Arbeiterrat, der Sowjet, ist, der 1905 in Russland aus den Flammen des Massenstreiks hervorgegangen ist«.

Bereits 1920 betrachteten Anhänger des Rätegedankens die von der Weimarer Sozialdemokratie institutionalisierten Räte als in das kapitalistische Funktionieren integriert.

Dieser Satz stammt aus Jasper Bernes’ Buch »The Future of Revolution: Communist Prospects from the Paris Commune to the George Floyd Uprising«, das als »eine lange Geschichte der Arbeiterräte als Idee« präsentiert wird. Es reflektiert die wesentlichen revolutionären Ereignisse des 20. Jahrhunderts und unternimmt eine ernsthafte Neuinterpretation einiger Texte, die aus diesen Ereignissen hervorgegangen sind, um »die Vorstellung des Kommunismus, die diese Räte vorschlugen, und jene Strömungen der kommunistischen Bewegung, die versuchten, diese Vorstellung des Kommunismus zu klären, zu verfeinern und zu fördern«, zu untersuchen.

Das Buch vermittelt den Eindruck, dass die Position des Autors sich von dem des kleinen, sehr marginalen Mi­lieus unterscheidet, das diese Gruppen, Texte und Debatten kannte. Umso scharfsinniger und treffender ist die kritische Aufmerksamkeit, die er bestimmten Fragen widmet. Ich werde mich auf einige Aspekte der politischen Gedanken des Autors beschränken, mit denen ich nicht übereinstimme, da Meinungsverschiedenheiten ein Mittel sein können, um Argumente und Gedanken zu klären.

Die sogenannten Kommunisierer

Zunächst einmal wirft das, was der Autor als »Rätekommunismus« bezeichnet, ein Problem auf. Denn dabei handelt es sich in Wirklichkeit um ein Bündel von Vorstellungen, das politische Gruppen fabriziert haben, um es dann zu kritisieren. Bernes akzeptiert diese Auffassung des Rätekommunismus und stützt sich dabei stark und beifällig auf die avantgardistischen leninistischen Theoretiker des Sozialismus. Einige von ihnen, wie Amadeo Bordiga, sind in leninistischen Kreisen relativ bekannt, andere weniger. Überraschender ist sein ständiger Bezug auf Personen aus sehr kleinen Kreisen desselben Typs, darunter auch die sogenannten Kommunisierer. Diese präsentieren sich als Kritiker der »räteideologischen« Ultralinken – man fragt sich, ob diese Begriffe heute noch irgendeine Bedeutung haben. Bernes behauptet, diese Gedanken hätten sich in Frankreich »unmittelbar nach den Misserfolgen des Mai 1968 und als Reaktion auf sie« entwickelt. Er fügt hinzu:

»Die Kommunisierung ist eine interne Kritik des Rätebegriffs durch wahre Gläubige, die ihn angesichts dessen, was der Mai 1968 offenbarte und das Jahrzehnt der Kämpfe in den siebziger Jahren bestätigte, als unzureichend erachteten – eine neue Ära der Klassenvereinnahmung, der wirtschaftlichen Sta­gnation und der Krise, in der sich die Arbeiterschaft nicht mehr als Gegenpol zum Kapital behaupten und daher auch nicht mehr die Entstehung eines revolutionären Rätesystems aus dem Massenstreik postulieren konnte.«

Ich werde mich nicht mit diesen Bemerkungen aufhalten, denen ich in keinem Punkt zustimme. Es erscheint zumindest anmaßend, von einer »kraftvollen kritischen Theorie« zu sprechen, wenn diese von einigen wenigen ob­sku­ren Personen entwickelt wurde, deren Analysen der »Misserfolge des Mai 1968« und ihrer Folgen ebenso vage sind wie ihre Definitionen des »Rätekommunismus«. In den Jahren nach 1968 bedienten sich diese Personen und ihre auflagenschwachen Publikationen einer merkwürdigen Methode: Sie erfanden eine Ideologie – die »Räteideologie« –, um sie dann zu kritisieren. (Einige dieser Personen, die inzwischen von der Bildfläche verschwunden sind, gelangten auf polemischen Wegen übrigens in den achtziger Jahren zum »Revisionismus« in der Frage des Genozids an den Juden durch die Nazis, insbesondere in Frankreich. Natürlich können die Menschen, die sich heutzutage als »Kommunisierer« bezeichnen, nicht mit dieser idiotischen »revisionistischen« Partei gleichgesetzt werden.)

Charles Reeve lebt und schreibt in Paris. Zuletzt erschien auf Deutsch sein Buch »Der wilde Sozialismus: Selbstorganisation und direkte Demokratie in den Kämpfen von 1789 bis heute« in der Übersetzung von Felix Kurz.

Die Kritik identifizierte die Rätebewegung in der deutschen Novemberrevolution mit einer Bewegung der Selbstverwaltung durch das Kapital und verwechselte dabei die Räte, die am Ende des Prozesses zu Organen der Sozialdemokratie wurden, mit der spontanen Bewegung zu Beginn der Revolution und dem subversiven Geist, der sie beseelt hatte. Anschließend verurteilten sie die Räteform, als sei sie das Ziel – das Endziel – der Rätekommunisten. In Bernes’ Worten: Die Kritiker der Räte­ideologie »ersetzen die nominale Theorie der Rätekommunisten, in der der Rat das Ziel ist, durch eine adverbiale Theorie des Kommunismus, in der der Kommunismus weniger eine Form als ein Prozess ist«.

All dies ist ziemlich verwirrend und umstritten. Tatsächlich hatten die Anhänger des Rätegedankens bereits 1920 die von der Weimarer Sozialdemokratie institutionalisierten Räte kritisiert und sie als in das kapitalistische Funktionieren integrierte Organisationen betrachtet. Aber die Manipulationen der »Antirätekommunisten« (anti-councilists) nach dem Mai ’68 – deren Ziel es ist, sich als Revolutionäre auszugeben, die eine frei erfundene »Räteideologie« (councilism) überwunden haben – spielen kaum eine Rolle. Diese Haltung ist typisch für jede sektiererische Gruppe. Wie wir später sehen werden, öffnet diese »Kritik« die Tür für eine Wiederherstellung des Avantgardismus, der durch die wirkliche Bewegung der Aufstände von der Spanischen Revolution bis zur Ungarischen Revolution von 1956, vom Mai 1968 bis zur Portugiesischen Revolution, bereits überholt war.

Selbstorganisation ist eine Dynamik, kein Selbstzweck; sie ist die notwendige und unvermeidbare Voraussetzung für jeden Versuch, die Gesellschaft zu verändern. Die inhaltliche Erweiterung einer Organisationsform hängt von ihrer Funktion ab. Da sich die historischen Umstände ändern, kann sich eine spontane und autonome Organisation offensichtlich in ihr Gegenteil verkehren. Karl Korsch hat dies unter anderen in seinen Studien zur Französischen Revolution und zur revolutionären Commune (die Bernes übrigens zitiert) auf bewundernswerte Weise aufgezeigt.

»Unvermeidbarkeit des Kommunismus«

Ihrer Logik folgend, schlagen die »Kritiker« der »Räteideologie« einige derartige Gedanken von erstaunlicher Banalität vor. So heißt es etwa: »Obwohl Selbstorganisation die Voraussetzung für revolutionäres Handeln ist, wird sie im Verlauf der Revolution zu einem Hindernis, das die Revolution überwinden muss«, oder, noch entwaffnender, wie Théorie communiste (die Zeitschrift gehört zur kleinen theoretischen Strömung der Kommunisierung) schreibt und Bernes zitiert: »Selbstorganisation ist der erste Akt der Revolution; was danach kommt, kämpft gegen sie.« Das sind bedeutungslose Aussagen; denn wenn sich im Verlauf einer Revolution die Bewegung gegen die Selbstorganisation wendet, dann deshalb, weil die Selbstorganisation nicht mehr existiert, sondern organisatorisch institutiona­lisiert wurde.

Die zugrundeliegende Vorstellung, dass jede Organisation an sich potentiell konterrevolutionär ist, ergänzt die abstrakte Formulierung, wonach der Kommunismus als Bewegung der »Bewegung des Kapitals« innewohnt. Für manche handelt Marx’ gesamtes Werk von dieser »Unvermeidbarkeit des Kommunismus«, der daher keinen bewussten Bruch mit der kapitalistischen Reproduktion erfordere. Dies ist die einfachste Antwort auf die Frage nach der gesellschaftlichen Transforma­tion, nach der konkreten Abschaffung der kapitalistischen Gesellschafts­verhältnisse.

Anstelle dieser rätselhaften Formulierung möchte ich auf die Frage nach der sogenannten Übergangsperiode verweisen, die für die Denker des Rätekonzepts ein wichtiges Thema war. Ausgehend von Marx’ Formulierung, dass der Kommunismus der Übergang vom Reich der Notwendigkeit zum Reich der Freiheit ist, entwickelten die Rätekommunisten den Begriff der »Notwendigkeit«, wie sie sich in Mangelerscheinungen manifestiert, um darzulegen, dass die Gesellschaft auf einer neuen Grundlage rekonstruiert werden muss. Das erscheint mir konkreter, weniger abstrakt.

Was neu schien, entpuppt sich als alte Geschichte

Für Bernes haben die Räte in dieser »Bewegung zum Aufbau des Kommunismus« jedenfalls nur aufgrund der Präsenz und des Handelns von »Kommunisten« noch einen »kommunistischen« Inhalt. Als wäre es die Aufgabe einer revolutionären Avantgarde, wachsam zu sein und den Inhalt zu bewahren. Bernes kommt in seinem Text mehrfach auf die Existenz »der Kommunisten« und die Notwendigkeit zurück, »die Kommunisten« in den Räten zu gruppieren, um deren subversiven Charakter zu bewahren. So schreibt er:

»Genau das fehlte in der demokratischen, pluralistischen Konzeption des Rats – Delegierte, die nicht revolutionär oder nicht proletarisch waren, waren gar keine Delegierten, sondern falsche Stellvertreter. Die Delegierten müssen selbst Arbeiter sein, und sie müssen ausdrücklich kommunistisch sein. Nur wenn ein solcher Inhalt festgelegt ist, kann der Rat als Form Erfolg haben.«

Hier greift er die Position von Bordiga und anderen Leninisten zu dieser Frage auf. Aber wer sind diese »Kommunisten«, woher kommen sie, nach welchen Kriterien und von wem werden sie als Kommunisten katalogisiert? Zu Beginn seines Textes betont Bernes, dass die Räte das neue Element der Revolutionen des 20. Jahrhunderts darstellen. Vielleicht sind sie das auch. Aber letztlich garantiert für ihn nur das Handeln der »Kommunisten«, dass diese neuen Formen einen revolutionären Inhalt haben – eine Auffassung, der weder Karl Kautsky noch Lenin widersprochen hätten. Wir sind zum Ausgangspunkt zurückgekehrt, und was neu schien, entpuppt sich als alte Geschichte.

Luxemburg und die leninistischen Theoretiker

In seinem Buch begegnet Bernes Rosa Luxemburg viel kritischer als den leninistischen Theoretikern: »Luxemburg hat in diesem Text zwei Gegner im Blick, die beide den Massen- oder Generalstreik eher als Ereignis denn als Prozess betrachten – einerseits karikierte Anarchisten, die sich den Streik als einen einstimmigen, totalen und unwiderruflichen Arbeitsausstand vorstellen, der Staat und Wirtschaft in die Knie zwingt; andererseits Sozialdemokraten, die den Massenstreik lediglich als politisches Instrument betrachten, das von der Partei im Dienste von Reformkampagnen sinnvoll eingesetzt werden kann.«

Und weiter: »Luxemburg wird ein Dutzend Jahre später zur Verfechterin der Sowjets werden, allerdings zu einer ambivalenten, insbesondere was die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und politischen Kämpfen und ihren institutionellen Trägern, den Gewerkschaften und Parteien, betrifft.«

Diese Bemerkungen sind kurz, aber sehr fragwürdig. Luxemburg hatte im Verlauf der Novemberrevolution nicht die Zeit, die Rätebewegung in ihrem ganzen Ausmaß zu erfassen. Seit den Massenstreiks in Europa zu Beginn des Jahrhunderts spürte und analysierte sie jedoch eine neue Orientierung im Klassenkampf und eine Energie des kollektiven Handelns der Ausgebeuteten, die über die Prinzipien der Sozialdemokratie, der Parteiaktivität und der Gewerkschaftsarbeit hinausging. Luxemburg konnte den Rätegedanken nicht diskutieren, aber sie hat die Konturen der Krise der Sozialdemokratie perfekt herausgearbeitet und die diktatorische Dimension des bolschewistischen Avantgardismus vorausgeahnt.

Anarchistische Militante in der Novemberrevolution

Auch in Hinblick auf die Anarchisten begeht Bernes eine Unterlassungssünde. Er versteht nicht die revolutionäre Bedeutung des Konzepts und der Praxis des »Generalstreiks«, die Teil dieser Erneuerung des Klassenkampfs waren – ein Versuch, nach neuen Formen subversiven Handelns zu suchen. Er scheint sich der wichtigen Rolle nicht bewusst zu sein, die anarchistische Militante in der Novemberrevolution und den folgenden Ereignissen spielten, wie zum Beispiel beim Generalstreik gegen den Kapp-Putsch und bei den sozialen Revolten in Mitteldeutschland Anfang der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sowie in dem kurzlebigen Spartakusbund. Er erwähnt kaum die FAUD (Freie Arbeiter-Union Deutschlands) und ihre entscheidende Rolle im Ruhr-Aufstand. Er verliert kein Wort über den Beitrag anarchistischer Theoretiker wie Rudolf Rocker zur Rätefrage. Aber dies sollte natürlich mit derselben Aufmerksamkeit diskutiert werden wie die Beiträge des superleninistischen Bordiga. Es muss jedoch betont werden, dass die Seiten des Buchs über die Ereignisse der deutschen Revolution, den Kapp-Putsch und die Märzaktion sehr gut sind; auch wenn er auch hier vom trotzkistischen Historiker Pierre Broué abhängig ist und Schriften von direkten Teilnehmern dieser Ereignisse unerwähnt lässt – insbesondere die Texte der »revolutionären Obleute«. Die Schriften von Paul Mattick und anderen zu dieser Zeit werden ebenfalls weitgehend ignoriert.

Obwohl Bernes den Rätegedanken schätzt, führt uns seine gesamte Analyse seltsamerweise dazu, seine Bedeutung zu relativieren: Die Räte sind zweifellos ein wichtiges Ereignis in der modernen Revolutionsgeschichte in der Nachfolge der Commune, aber sie reichen nicht aus, um die Revolution ins Werk zu setzen, um den Kommunismus »aufzubauen« oder »herzustellen«. Wir kehren zur alten Kritik der Sozialdemokraten und später der Bolschewiki an den Räten zurück: Diese Organe sind an sich nicht revolutionär genug; um es zu sein, müssen sie mit »Revo­lutionären« besetzt sein.

Im zweiten Teil seines Buchs entwickelt Bernes eine lange Reflexion über den Text »Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung«, den am gründlichsten ausgearbeiteten Text der sogenannten Räteströmung, verfasst Anfang der dreißiger Jahre von Jan Appel, einem linkskommunistischen Mitglied der KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands), und kleinen Gruppen niederländischer antibolschewistischer Kommunisten. Die »Grundprinzipien« waren außerhalb von Insiderkreisen wenig bekannt und wurden in den Jahren nach dem Mai 1968 wiederentdeckt. Die Post-«Rätekommunisten« kritisierten sie, weil sie die Notwendigkeit, das »Wertgesetz« abzuschaffen, nicht klar genug darlegten. Bernes greift diese Fragen in einer weiteren ausführlichen Diskus­sion über die Wertfrage auf.

Prinzipien einer neuen Organisation der Gesellschaft

Der Text der »Grundprinzipien« ist vor allem deshalb wertvoll, weil er einen ernsthaften Versuch darstellt, die Prinzipien einer neuen Organisation der Gesellschaft und der Reproduktion des Lebens nach nicht autoritären Prinzipien und ohne die Absonderung der Lohnarbeit zu entwerfen. Sie sollten nicht als fertiges Modell, als letztes Wort und für immer gültig angesehen werden. Wichtig bleibt der Gedanke, dass jeder Versuch, eine neue, kommunistische Wirtschaft zu schaffen, auf Selbstverwaltung und auf der bewussten und unabhängigen Tätigkeit der bislang Ausgebeuteten beruhen muss, da die Aufhebung der Lohnarbeit die Voraussetzung für die Abschaffung des Werts ist.

Wir können daher Pannekoek zustimmen, dass die Verwirklichung des Prinzips der Selbstverwaltung der Produktion »keineswegs durch eine theoretische Diskussion über die besten Modalitäten, sie zu erreichen, führt. Sie ist eine Frage des praktischen Kampfs gegen den Apparat der kapitalistischen Herrschaft.« Paul Mattick hat dasselbe im Sinn, wenn er uns im Zusammenhang mit den »Grundprinzipien« daran erinnert, dass »das ›wirtschaftliche Prinzip‹ der Arbeiterklasse (…) nichts anderes ist als die Abschaffung der Ausbeutung«.

Zu Beginn der fünfziger Jahre, zehn Jahre vor seinem Tod, war sich Anton Pannekoek bewusst, dass sich ein vereinfachtes Verständnis des Rätegedankens herausbildete, das ihn auf eine Ideologie reduzierte – eine neue Organisationsform, die alle Prinzipien und Vorstellungen von einer Umwandlung der kapitalistischen Welt in eine neue Gesellschaft außer Acht ließ. In einem kurzen Text, den er an eine kleine linkssozialistische Zeitschrift schickte, schrieb Pannekoek:
»›Arbeiterräte‹ bezeichnen keine feststehende Organisationsform, die ein für alle Mal erdacht wurde und nur noch in ihren Details perfektioniert werden muss. In unserer Zeit verstehen wir unter Arbeiterräten keine brüderliche Organisation, die Selbstzweck ist; Arbeiterräte bedeuten Klassenkampf (in dem Brüderlichkeit eine Rolle spielt), revolutionäre Aktion gegen die Staatsmacht. Revolutionen werden nicht auf Befehl gemacht, sie entstehen spontan, wenn die Situation unerträglich wird, in Krisenmomenten … «

Von der Spanischen Revolution von 1936 bis zur portugiesischen Revolution von 1974–1975

Dies ist eine Herangehensweise an den Rätegedanken, die mir mehr denn je geeignet erscheint, um einen bewussten Bruch mit der bestehenden Ordnung zu ermöglichen, ja sogar die einzige, die uns interessieren kann, da sie dem Klassenkampf einen neuen Inhalt gibt: einen radikalen Kampfgeist, Prinzipien des Denkens und Handelns. Sich auf eine Organisationsform festzulegen, war und ist die Linie der leninistischen und ultraleninistischen Kritik am Rätegedanken, die es ihnen erlaubt, ihre avantgardistische Aufgabe zu rechtfertigen – nämlich den Räten einen revolutionären Inhalt zu geben.

Genau das findet sich im dritten Teil von Bernes’ Buch (»Untersuchung, Organisation und das lange 1968«). Hier verlässt der Autor das Terrain der ideologischen Debatte, um auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren und einen raschen Überblick über mehrere Experimente der Subversion zu geben, von der Spanischen Revolution von 1936 bis zur portugiesischen Revolution von 1974–1975. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich vor allem darauf, ob Organisationen in Räteform vorhanden sind oder nicht. Die Analyse des Inhalts der realen Bewegung der sozialen Subversion kommt erst später oder wird stiefmütterlich behandelt.

Im Verlauf der Spanischen Revolution wurde die Frage der Räteform der Organisation nur in Minderheitskreisen aufgeworfen. Nur wenige kleine Gruppen innerhalb der POUM (Arbeiterpartei der marxistischen Einheit) diskutierten sie explizit und schlugen spät – nach der Niederschlagung des Aufstands vom Mai 1937 in Barcelona durch die stalinistischen Republikaner – die Bildung von Räten unter der Führung der Avantgardepartei vor. Im Gegensatz dazu war die spontane Selbstorganisationsbewegung, die nach Selbstverwaltung der Gesellschaft strebte, zu Beginn der Revolution stark und führte zur Gründung von »Verteidigungskomitees«. Später diskutierten auch Minderheiten innerhalb der CNT-FAI die Notwendigkeit einheitlicher Basisorganisationen und orientierten sich dabei an den Erfahrungen der asturischen Revolution vom Oktober 1934. Schließlich sei daran erinnert, dass die mächtige Bewegung der Kollektive in der Industrie und vor allem auf dem Land die Prinzipien der antikapitalistischen Selbstverwaltung verkörperte: die Idee eines von unten organisierten und kontrollierten Sozialismus.

Auch hier kam es eher auf den Kampfgeist und die Handlungsprinzipien als auf eine bestimmte Organisationsform an. Von einem »Mangel an revolutionärer Vision unter den Anarchisten« zu sprechen, führt erneut die wohlfeile leninistische These vom Mangel an revolutionärem Bewusstsein ein. Wenn jedoch im Verlauf der Spanischen Revolution eine »revolutionäre Vision« zu finden war, dann eher in den anarchistischen Communitys als in den Organisationen leninistischer Prägung.

Der Pariser Mai von 1968

Den Mai 1968 behandelt Bernes ähnlich reduktionistisch und schnell. Seine Analyse stützt sich im Wesentlichen auf einen schönen Text von Fredy Perlman, »Worker-Student Action Committees, France May ’68«, der zwar begrenzt, aber im Großen und Ganzen richtig ist. So ging die Bildung von »Aktionskomitees« über den Wunsch nach einer Einheitsstrategie hinaus; sie war der organisierte Ausdruck der Ideen und Wünsche der Bewegung, ihres subversiven Inhalts – eines qualitativen Inhalts, der mit den quantitativen Forderungen der Parteien und des leninistisch geprägten etablierten Gewerkschaftswesens brach und sich ihnen widersetzte. Die »Antirätekommunisten« katalogisieren diesen »qualitativen« Inhalt als eine neue Form des Reformismus, als einen schlichten Vorschlag für die demokratische Verwaltung der bestehenden Realität. Bernes scheint in diese Richtung zu gehen, wenn er schreibt:

»Der Kommunismus ist keine Form der Verwaltung (oder Verteilung), und daher reicht die proletarische Selbstverwaltung durch Arbeiterräte als Definition des Kommunismus nicht aus. Der Kommunismus muss die Zerstörung des Wertgesetzes sein – etwas, das nicht nur eine Frage der Verwaltung oder der Form ist, sondern der materiellen Struktur des Kapitalismus selbst.«

Wer die radikalen Strömungen des Mai 1968 auf die Forderung nach »Selbstverwaltung isolierter Unternehmen« reduziert, lässt das Wichtigste außer Acht: eine Be­wegung, deren Dynamik den tiefen Wunsch nach Veränderung des Lebens und der Gesellschaft in sich trug. Es ging nicht um die Selbstverwaltung von Unternehmen, sondern um die Selbstverwaltung der Gesellschaft.

Chile, Polen oder Iran

Zu guter Letzt ist die Analyse der Portugiesischen Revolution der schwächste Teil von Bernes’ Buch. Es ist nicht nur unzureichend, diese Revolution als Offiziersaufstand darzustellen, sondern auch falsch zu behaupten, dass sie »besonders als Revolution, die sich gemäß dem Geist und den Prinzipien des Rätekommunismus entwickelt (conciliar revolution), herausgestellt wurde«. Im Gegenteil: Die Portugiesische Revolution wurde von verschiedenen autoritären sozialistischen Strömungen dominiert, die ihre letzte Chance vor dem Zusammenbruch des staatskapitalistischen Blocks nutzten. In einer Situation intensiver und komplexer sozialer Unruhen standen sich gegensätzliche Strömungen gegenüber: die des Staatskapitalismus, die des demokratischen Marktkapitalismus und die der Verteidigung der Ideen und Praktiken eines basis- und direktdemokratischen Sozialismus. Nur eine kleine Minderheit unterstützte diese letzte, autonome Strömung. Bernes’ Vorstellung von den damaligen Geschehnissen wird durch eine Passage deutlich:

»In Portugal wie auch in den anderen späten räteorientierten Revolutionen (conciliar revolution) – in Chile, Polen oder Iran – bilden sich Räte oder etwas Ähnliches auf breiter Ebene, in einem Teil der industriellen Basis. Aber in keinem dieser Fälle streben die Räte einen Bruch mit der kapitalistischen Reproduktion an oder bewegen sich in diese Richtung – im Gegenteil: Insofern diese Räte Selbstverwaltung oder Autonomie anstreben, ist es eine Autonomie, die paradoxerweise die Unterstützung des Staats erfordert.«

Im Falle Portugals geriet die Idee der Selbstverwaltung des Kampfs, die sich mit dem Zusammenbruch des alten Staatsapparats und der Kolonialkrise entwickelte, sehr schnell in Konflikt mit autoritären Strömungen, sowohl denen des Staatskapitalismus als auch denen des Marktkapitalismus. Sie blieb sicherlich minoritär, vom Staat kontrolliert, nicht nur aus ideologischen Gründen, sondern vor allem wegen ihrer Schwäche. Dennoch war die Forderung der unabhängigen Strömung politischer Organisationen nach einer Neuorganisation von Produktion und Gesellschaft unter der Kontrolle der Arbeiter sehr wohl ein Bruch mit der kapitalistischen Reproduktion.

Wo waren die Räte? 

Diese Strömung prägte die Revolution, auch wenn sie von der stalinistischen Reaktion und dem Autoritarismus linker Soldaten, die sich mit den von den Sozialdemokraten verteidigten Marktkräften verbündeten, besiegt wurde. In den grauen Zeiten von heute ist von der portugiesischen Revolution in der öffentlichen Wahrnehmung nur noch der Wunsch nach einer neuen Ordnung, einem neuen Leben übrig geblieben. Bislang ist das nur Poesie, aber sie hält sich hartnäckig. Der Rest ist ­vergessen.

In Jaime Semprúns Buch »La guerre sociale au Portugal« (Der soziale Krieg in Portugal) sollte die Räteform den revolutionären Inhalt der Bewegung charakterisieren. Aber wo waren diese Räte? Bedeutender war der späte Versuch mehrerer leninistischer Anführer einer lokalen putschistischen Organisation, bürokratisch ein Netzwerk »revolutionärer Räte« zu errichten, um eine Basis wieder aufzumuntern, die durch die bürokratischen Auseinandersetzungen und Manipulationen der verschiedenen leninistischen Parteien ­erschöpft war. Natürlich scheiterte dieser Versuch, da die Bewegung bereits im Niedergang begriffen war. Dennoch ist es bezeichnend, dass dieser manipulative Vorschlag in letzter Minute das Interesse und die Unterstützung der »Kritiker des Rätekommunismus« der Zeit nach Mai 1968 auf sich zog, die darin die Ankunft der wahren »revolutionären Räte« (!?) zu erkennen glaubten. Ein weiterer Beweis für die Verkennung einer Situation, die sich außerhalb ihrer Analysen entwickelte.

1952 warnte Anton Pannekoek in einem Brief an den Marxisten Maximilien Rubel: »Du solltest nicht vergessen, dass wir mit dem Begriff ›Arbeiterrat‹ keine Lösungen, sondern Probleme vorschlagen.«

Der eher historische Teil des Texts wirft somit einige allgemeinere Fragen auf. Bernes’ Zusammenfassung der Novemberrevolution stellt eine ernsthafte historische Untersuchung dar, doch die Darstellungen der Spanischen Revolution, des Mai ’68 und der Portugiesischen Revolution offenbaren bedauerliche Schwächen und Ungenauigkeiten. In Hinblick auf die Spanische Revolution stellt Bernes mechanisch auf die Existenz oder das Fehlen von »Räten« ab. Der Geist der Selbstverwaltung, den man in den russischen Sowjets und den deutschen Räten finden konnte, kam in Spanien jedoch in anderen Formen der Selbstorganisation zum Ausdruck.

Dasselbe gilt für den Mai 1968 in Frankreich. Der Autor erkennt den subversiven Geist des Mai nicht klar und bemüht sich, die reale Bewegung anhand der hinter verschlossenen Türen von den wenigen Anhängern der Situationistischen Internationale »geschaffenen« Räte zu analysieren. Ebenso geht er auch bei der Portugiesischen Revolution vor, wo die Prinzipien der Selbstorganisation und die Bestrebungen der Arbeiter nach Selbstverwaltung andere Formen spontaner Organisation annahmen: Betriebskomitees sowie Betriebs- und Nachbarschaftskomitees.

1952 warnte Anton Pannekoek in einem Brief an seinen Freund, den heterodoxen Marxisten Maximilien Rubel: »Du solltest nicht vergessen, dass wir mit dem Begriff ›Arbeiterrat‹ keine Lösungen, sondern Probleme vorschlagen.« Diese höchst bedeutungsvolle Aussage wirft die Frage nach den Schwierigkeiten auf, die der Aufbau einer neuen Gesellschaft, eines anderen Produktionssystems mit sich bringt.

Anstatt uns in der Kritik an »Lösungen« zu verlieren, selbst wenn diese von einem kleinen Komitee vorgeschlagen werden, werden wir mehr Klarheit gewinnen, wenn wir uns die »Probleme« genauer ansehen.

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Übersetzung aus dem Englischen: Bernd Beier

Der Text wurde etwas gekürzt und redaktionell bearbeitet. Das Original mit Quellen­angaben findet sich hier: brooklynrail.org/­2025/05/field-notes/workers-councils-­solution-or-problem/


Buchcover

Jasper Bernes: The Future of Revolution: ­Communist Prospects from the Paris ­Commune to the George Floyd Uprising. ­Verso Books, New York 2025, 192 Seiten