Ansichten eines Konvertiten
Der Essayist Pankaj Mishra versichert in seinem Buch »Die Welt nach Gaza«, wie groß sein Verständnis für die verfolgten Juden gewesen sei, bis er feststellte, dass Israel durch Krieg und »ethnische Säuberung« entstanden sei und seine Begeisterung für den jüdischen Staat in Hass umschlug. Dieses Muster lässt sich bei vielen Intellektuellen beobachten, vor allem bei der linken Protestgeneration, die Geschichte unter einem moralischen Gesichtspunkt betrachtet und nicht versteht, dass jeder Staat, in dem sich ein »Volk« zusammengefunden hat, auf der Vertreibung eines anderen »Volkes« (oder einer Kolonialmacht) basiert, wenn es seine Grenzen bedroht sieht oder Ansprüche auf das gleiche Territorium gestellt werden. Diese Einsicht würde als Erstes erfordern, die Begriffe »Volk« und »Nation« zu kritisieren, die voraussetzen, dass man vertreiben muss, will man nicht zu den Vertriebenen gehören.
Mishra hat keine Vorbehalte gegen den Begriff »Volk«, und damit fehlt ihm auch die Voraussetzung, den Krieg in Gaza einordnen zu können, weshalb ihm nur übrigbleibt, sich auf die Seite der Schwächeren zu schlagen und zu ignorieren, dass deren verantwortungslose Führer als politische Agenda nur Hass und Rache anzubieten haben. Er tritt als Anwalt für Menschenrechte und Gerechtigkeit auf, quasi als angemaßte Instanz, die überparteilich entscheidet, wer recht und wer unrecht hat.
Wenn er seinem Buch ein Zitat von Hannah Arendt voranstellt, in dem sie im »gewaltigen Zuwachs an gegenseitigem Hass« die Notwendigkeit sieht, dass »in gigantischem Ausmaß ein Prozess gegenseitigen Verstehens und fortschreitender Erklärung einsetzen« muss, dann wird man bei fortschreitender Lektüre zugeben müssen, dass das Buch Mishras nicht gerade in diesem Geist geschrieben wurde, denn man findet in ihm viel einseitige Anklage, aber kein Verstehenwollen der Konfliktpartei, die Mishra für schuldig hält.
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