05.06.2025
Die Regierung Trump ist von der Ideologie der Technokratie-Bewegung geprägt. Dritter Teil der Serie »Dark Maga«

Technokratische Weltheilung

Die IT-Oligarchen, die mit ihren Machtansprüchen und ihrer antidemokratischen, technologiefixierten Gesellschaftsvorstellung auf die Regierung Trump Einfluss nehmen, sind von Ideen geprägt, die auf eine Bewegung der dreißiger Jahre zurückgehen. Dritter Teil der Serie »Dark Maga«.

Im Oktober 1940 musste sich Joshua N. Haldeman, Chiropraktiker, Rodeo-Cowboy und gescheiterter Farmer, im kanadischen Regina wegen zweier Anklagen nach dem Defence of Canada Act verteidigen. Ihm wurde vorgeworfen, Mitglied von Technocracy Incorporated zu sein, einer Organisation, die einige Monate zuvor verboten worden war, da sie die Wehrhaftigkeit des am Zweiten Weltkrieg beteiligten Landes gefährde.

Dabei verstand sich die Organisation Technocracy Incorporated, die hauptsächlich in den USA und Kanada aktiv war, gar nicht als politische Bewegung – Mitglieder politischer Parteien durften ihr nicht einmal beitreten. Denn die Gruppe strebte eine Gesellschaft an, die von Ingenieuren und Wissenschaftlern geführt wird statt von gewählten Politikern – eben eine Technokratie. Die Bewegung war 1933 in New York City gegründet worden und soll auf ihrem Höhepunkt in den dreißiger und vierziger Jahren nach eigenen Angaben allein in Kalifornien mehr als eine halbe Million Mitglieder gehabt haben.

Joshua Haldeman war von 1936 bis 1941 ein führendes Mitglied von Technocracy Incorporated in Kanada. Nach seiner Verurteilung wegen Landesverrats zog er 1950 mit seiner Familie nach Südafrika, wo gerade die Apartheid-Politik eingeführt worden war. 1971 brachte Haldemans Tochter Maye seinen ersten Enkel zur Welt. Sein Name: Elon Musk.

Anders als in einer »Technokratie« sind es bei Trump nicht ungewählte Wissenschaftler, die entscheiden – sondern ungewählte Unternehmer, die sich ihren Einfluss mit Millionen von Dollar erkauft haben.

Niemand kann etwas für seinen Großvater, aber Musk ist mit der bedenklichen Ideologie Haldemans offensichtlich gut vertraut. Schon vor einem halben Jahrzehnt hat er mitgeteilt, er wolle mit seinem Raumfahrtunternehmen Space X auf dem Mars eine »Technokratie« errichten. Auch der Name seines Sohns X Æ A-12 erinnert an bei Technokraten beliebte Bezeichnungen für Menschen; Technocracy Incorporated verlangte von Mitgliedern, Zahlen anstelle von Namen anzunehmen, Haldeman hieß deshalb auch 10 450-1.

In Südafrika veröffentlichte Haldeman eine Reihe von Pamphleten, die die US-amerikanische Historikerin Jill Lepore kürzlich wiedergefunden hat, darunter ein Traktat mit dem Titel »The International Conspiracy to Establish a World Dictatorship and Its Menace to South Africa« (1960), verfasst als Reaktion auf die Unruhen nach dem Sharpeville-Massaker an Schwarzen, bei denen unter anderem Nelson Mandela inhaftiert wurde. Haldeman schreibt hier, der Westen sei Ziel eines »intensiven Experiments zur Gedankenkonditionierung«, bei dem absurde Ideen wie die Gleichheit der Rassen durch die Medien und Universitätsprofessoren verbreitet worden seien. Überzeugt davon, dass die Regierung von Verschwendung geplagt würde, schlug er außerdem einen Finanzausschuss zur Bekämpfung von Ineffizienz vor: »Eine finanzielle Aufsichtsbehörde wird gebraucht.« Im Original schrieb er das in Versalien; man könnte es auch für einen X-Post seines Enkels halten.

Die Technocracy-Bewegung steht historisch am Anfang einer ganzen Reihe von fragwürdigen Denkrichtungen in den USA, die davon ausgehen, dass nicht Demokratie, sondern Technologie gesellschaftliche Probleme lösen könne. Sie sind inzwischen unter dem Akro­nym Tescreal bekannt; der Buchstabensalat, der von der Informatikerin Timnit Gebru und dem Philosophen Émile P. Torres stammt, steht für Transhumanismus, Extropianismus, Singularitarismus, Kosmismus, Rationalismus, Effektiver Altruismus und Longtermismus.

Überwindung menschlicher Beschränkungen durch Technik

All diesen Techno-Sekten ist gemeinsam, dass sie unkritisch und naiv von der Überwindung menschlicher Beschränkungen durch Technik träumen. Die Transhumanisten hoffen zum Beispiel auf die technologische Überwindung von körperlichen Gebrechen und letztlich des Todes, während die Singularitaristen auf eine übermenschliche Künstliche Superintelligenz oder Artificial General Intelligence (AGI) hoffen, mit der die Menschheit in einer nicht allzu fernen Zukunft verschmelzen soll. Ebenso lehnen sie alle staatlichen Interventionen zur Regulation solcher Technologien ab. Spuren dieser Denkweise finden sich in vielen problematischen Entscheidungen der Regierung Trump der vergangenen Monate, vor allem in Bezug auf IT-Unternehmen und Künstliche Intelligenz.

Haldemans Technocracy-Bewegung strebte ein »Technate« an – einen Staat, geleitet von einem Gremium ungewählter Wissenschaftler. In dieser idealen Gesellschaft sollte man nur 16 Stunden pro Woche arbeiten und mit 40 Jahren in den Ruhestand gehen. Jeder sollte von einem universellen Grundeinkommen leben. Viele der Vorstellungen, die bei Technocracy Incorporated in Umlauf waren, klingen erst mal gar nicht so falsch und sind vor allem erstaunlich aktuell.

Ebenfalls aktuell, aber schon wesentlich problematischer ist die Idee, dass das Technate aus den USA, Kanada, Mittel- und dem Norden Südamerikas sowie Grönland bestehen sollte, einer riesigen technokratischen Gesellschaftseinheit – in der Grönland als Rohstofflieferant dient. Doch vor allem lehnte die Technocracy-Bewegung die Demokratie ab und wollte das Technate von einer Elite von Experten mit Hilfe neuer Technologien leiten lassen.

Fast genauso wollte Musk mit Doge angeblichen waste and fraud (Verschwendung und Betrug) in der US-amerikanischen Verwaltung eliminieren. Musk selbst ist zwar inzwischen abserviert, aber seine Truppe ist bei Doge weiter im Einsatz und hat ohne Genehmigung und wohl unter Verstoß gegen Bundesgesetze die Daten des Finanzministeriums und anderer Regierungsinstitutionen heruntergeladen.

Techno-Diktatur nach Art dystopischer Science-Fiction-Szenarien

Wie bei vielen Initiativen der Regierung Trump sind auch die Pläne für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der US-Verwaltung vollkommen intransparent. Unter Berufung auf Insider berichtet die Nachrichtenagentur Reuters, dass Doge eine Version des Chatbots Grok einsetzt, der bei Musks Unternehmen XAI entwickelt wurde. Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bots sind auf jeden Fall angebracht. Immerhin hat die öffentlich zugängliche Version von Grok zuletzt ihre Nutzer unaufgefordert mit haltlosen Behauptungen über einen »Genozid an Weißen« in Südafrika behelligt.

Außerdem besteht die Befürchtung, dass die Doge-Version von Grok dazu dient, die Kommunikation von Bundesangestellten auf Illoyalität gegenüber Präsident Donald Trump zu überprüfen. Das ganze Vorhaben erinnert immer stärker an die Art von Techno-Diktatur, wie sie ungezählten Science-Fiction-Romanen und -Filmen seit Jahrzehnten als dystopisches Szenario dient.

Wie Doge mit KI befremdliche Vorstellungen von Effizienz durchzusetzen versucht, ist nicht der einzige Hinweis darauf, dass die Regierung Trump die Entscheidungen über die Nutzung von Künstlicher Intelligenz den Unternehmen überlassen will, die beabsichtigen, mit dieser Technologie Geld zu verdienen. Denn anders als im Technate von Technocracy Incorporated sind es bei Trump nicht ungewählte Wissenschaftler, die entscheiden – sondern ungewählte Unternehmer, die sich ihren Einfluss mit Millionen von Dollar erkauft haben.

Bei der Regulierung von KI-Unternehmen den Bock zum Gärtner gemacht

Der rechtslibertäre deutsch-südafrikanische Investor Peter Thiel hat nicht nur J. D. Vance als Mitarbeiter seiner Venture-Capital-Firma Mithril Capital auf Kurs gebracht und ihn dann als running mate von Trump durchgesetzt. Er hat auch Trumps Wahlkampf mit großzügigen Mitteln unterstützt. Er konnte Mitarbeiter von zwei Unternehmen, in die er investiert hat, in Schlüsselpositionen in der US-Regierung platzieren. Sechs ehemalige Mitarbeiter des Datenanalyse-Unternehmens Palantir arbeiten nun für die US-Regierung. Dazu passt, dass einem Bericht der New York Times zufolge das von Thiel aufgebaute Unternehmen Palantir beauftragt ist, private Daten von US-Bürgern in einer zentralen Datenbank zusammenzufassen.

Trump signalisierte schon im Wahlkampf, dass er beabsichtige, bei der Regulierung von KI-Unternehmen den Bock zum Gärtner zu machen. Als eine seiner ersten Amtshandlungen kassierte er Joe Bidens Executive Order 14.110, die für eine »sichere und vertrauenswürdige Entwicklung und Nutzung von KI« sorgen sollte und dafür acht Leitprinzipien festlegte, darunter die Förderung von Wettbewerb, den Schutz der Bürgerrechte und die Transparenz von KI-Systemen.

Thiel und andere KI-Investoren werden sich darüber freuen, dass ihre KI-Firmen in Zukunft in den USA schalten und walten können, wie sie wollen. 

Ganz anders bei Trump: Jetzt sollen »Barrieren für die amerikanische Führung in der Künstlichen Intelligenz« beseitigt werden, dazu gehören natürlich »staatliche Eingriffe«, die angeblich Innovationen behindern. Ach so, dann sollen der KI »ideologischer bias« und »soziale Agenden« ausgetrieben werden – womit nicht das Problem angesprochen ist, dass KI mit ihren Trainingsdaten Rassismus, Sexismus und Verschwörungsdenken aufnimmt, sondern vielmehr das vermeintliche woke mind virus, womit jeder Versuch gemeint ist, solche Vorurteile rational zu kritisieren.

Unterdessen beschimpfte Vizepräsident Vance im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz Beamte der Europäischen Kommission als sowjetische Volkskommissare, weil sich die EU erdreistet, mit Gesetzen wie dem Digital Services Act und der Datenschutz-Grundverordnung DSGVO amerikanische IT-Unternehmen zu regulieren.

Thiel und andere KI-Investoren werden sich darüber freuen, dass ihre KI-Firmen in Zukunft in den USA schalten und walten können, wie sie wollen. Wenn eine Technologie wie Künstliche Intelligenz dem freien Spiel der Kräfte auf einem unregulierten Markt überantwortet wird – was soll da schon schiefgehen?

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Tilman Baumgärtel ist Professor für Medienwissenschaften an der Hochschule Mainz und gibt derzeit das Seminar »Maga und Dark Enlightenment«, über die ideologischen Unterströmungen der Regierung Trump.