Schwarz und Weiß
Am Steinstrand von Hove nahe Brighton lümmeln sich 20 coole junge Leute, die meisten so gutgelaunt wie gutgekleidet, mit Porkpie-Hüten und Sonnenbrillen, Mohair-Jacken und hochgekrempelten Jeans, Loafers oder Doc-Martens-Stiefeln; es sind 19 Männer, manche von ihnen noch Teenager, und eine Frau. Im Hintergrund sind einige trist anmutende Wohnblöcke der südenglischen Küstenstadt zu sehen. Das markante Foto zeigt die Mitglieder der drei Ska-Bands The Specials, The Selecter und Madness während ihrer 2-Tone-Tour im Oktober 1979.
Die drei Gruppen hatten vor der gemeinsamen Konzertreise jeweils erst eine Single veröffentlicht, die Songs sind allesamt Klassiker: »Gangsters« von den Specials, »The Prince« von Madness und »On My Radio« von The Selecter; zugleich die ersten drei Singles, die auf 2-Tone Records erschienen, dem genreprägenden, wenngleich kurzlebigen Label, das Jerry Dammers (Keyboarder und Hauptsongwriter der Specials) 1979 in Coventry gegründet und mit seinen Bandkollegen sowie den sieben Selecter-Mitgliedern eine Zeitlang als eine Art Kollektiv geführt hatte.
Dammers wollte 2-Tone als Kollektiv betreiben, zugleich war klar, dass er letztlich doch der Kopf des Labels war – bekanntlich ein Problem bei so manchen linken oder vermeintlich basisdemokratischen Initiativen.
Am Tag dieses spontanen Shootings mit dem ebenfalls jungen Fotografen Chalkie Davies am Strand, dem 19. Oktober, erschien allerdings auch das von Elvis Costello produzierte, nach der Band benannte Debütalbum von The Specials, das maßgeblich zum britischen Ska-Revival beitrug und bis heute wohl als bestes Ska-Album überhaupt gelten kann – mindestens der zweiten Welle.
Mit dem umfangreichen Sachbuch »Too Much Too Young« (benannt nach der dritten Single der Specials) hat der englische Popjournalist Daniel Rachel nun eine bisher nur auf Englisch vorliegende detaillierte Geschichte des Labels 2-Tone veröffentlicht. Die Strandfotos zieren die Vorsatzblätter, die den Buchdeckel mit dem Buchblock verbinden, sprich, die Bands begrüßen die Leser:innen direkt beim Aufschlagen, eingerahmt vom 2-Tone-typischen Schachbrettmuster. Will heißen: Black and white, unite!
Die Anfänge
Fast alle der noch lebenden Protagonistinnen und Protagonisten der Musikszene im Umfeld der Plattenfirma kommen in Rachels Buch zu Wort; bisweilen führt das zu widersprüchlichen Aussagen, erst recht dann, wenn es um die Auseinandersetzungen in den Bands und um das Label geht. Im Zentrum steht indes Jerry Dammers, geboren am 22. Mai 1955, Hauptverantwortlicher und treibende Kraft hinter 2-Tone Records. Das Vorwort stammt von Pauline Black (geboren als Belinda Magnus am 23. Oktober 1953, von ihren Adoptiveltern als Pauline Vickers aufgezogen), der Frontfrau von The Selecter. Eine neue Dokumentation über ihr Leben basiert auf ihrer Autobiographie »Black by Design – A 2-Tone Memoir« von 2011.
Als Dammers 1977 Coventry Automatics gründete, die Vorläufer der Specials, gehörten Horace Panter am Bass und der in Jamaika geborene Lynval Golding an der Gitarre schon zur Band. Alle drei kamen eher aus Mittelschichtfamilien, Dammers kannte Panter aus der Kunsthochschule. Anfänglich wechselten sie zwischen Punk- und Reggae-Songs, noch auf der Suche nach einem eigenen Sound. Das änderte sich, als Terry Hall als neuer Sänger einstieg und mit Roddy Byers aka Roddy Radiation ein Rockabilly-Punk als zweiter Gitarrist (und weiterer Songwriter) dazukam. Hall stammte aus einem teils jüdisch geprägten Arbeiterelternhaus und war als Zwölfjähriger von einem Lehrer sexuell missbraucht worden. Sein charakteristisch heller, zugleich verhaltener, fast schon indifferenter, aber eben unnachahmlicher, waviger Gesangsstil mag auch mit seinem lebenslangen Kampf mit Depressionen zu tun haben.
Noch als Automatics spielten sie 1978 einige Gigs als Vorgruppe von The Clash. Schließlich stieß der bisherige Roadie Neville Staple als Toaster (von Reggae-DJs entwickelte Form des Sprechgesangs) beziehungsweise zweiter Sänger hinzu und sie änderten ihren Bandnamen (aus rechtlichen Gründen) in The Specials. Die stilistische Entwicklung hin zum etwas schnelleren Ska und Rocksteady mit ein paar Postpunk-Einflüssen wollte der bisherige Drummer allerdings nicht mitgehen und verließ die Gruppe. Kurz vor ihrer ersten professionellen Studio-Session konnte die Band den irischstämmigen John Bradbury als Schlagzeuger gewinnen, ein weiterer Glücksgriff. Anfang 1979 war die klassische siebenköpfige Formation der Specials damit komplett. Sie sollte nur zweieinhalb Jahre halten.
Unabhängig sein
Die Musiker hatten bereits schlechte Erfahrungen mit Möchtegern-Managern und manipulativen Plattenfirmen-Typen gemacht – aus musikalischen wie politischen Gründen wollten sie und insbesondere Dammers ihre Unabhängigkeit wahren. Also liehen sie sich von einem zwielichtigen Bekannten 2.000 Pfund und nahmen ihre ersten Stücke auf: »Gangsters«, angelehnt an den Rocksteady-Klassiker »Al Capone« (1964) von Prince Buster, sollte als Debütsingle dienen.
Als B-Seite nahmen sie jedoch keinen anderen Specials-Song, sondern fragten ihren Freund Neol Davies, der mit Bradbury in Eigenregie einen guten instrumentalen Ska-Track produziert hatte, ob er diesen veröffentlichen wolle. Davies und Dammers entschieden sich für den Songnamen »The Selecter« und schrieben ihn einer zu dem Zeitpunkt rein fiktiven Band gleichen Namens zu.
Aufgrund der »Gangsters«-Aufnahme und des sich gleichzeitig wie ein Fegefeuer verbreitenden Rufs der Specials als einer brillanten Live-Band begann ein Überbietungswettbewerb großer Plattenfirmen, die Gruppe unter Vertrag zu nehmen. Doch diese blieb skeptisch und wollte 2-Tone weiterhin als Indie-Label etablieren, auch damit neue 2-Tone-Acts sich nicht automatisch in die Abhängigkeit einer dahinterstehenden Firma begeben würden. Einzig die größeren, aber ebenfalls unabhängigen Chrysalis Records ließen sich auf eine Zusammenarbeit unter diesen Bedingungen ein. Als Sublabel von Chrysalis konnte 2-Tone auf professionelle Vertriebs- und Vermarktungsstrukturen zurückgreifen, aber über seine Veröffentlichungen und deren Produktion selbst bestimmen.
Mit der 7-inch-Platte »Gangsters/The Selecter« wurde zudem das auffällige, weit über das Label hinaus verbreitete 2-Tone-Design geschaffen: Zum einen entschied sich der von Sixties-Mod-Style beeinflusste Dammers für den Karo-Look in den beiden Nichtfarben und kam so im Zusammenspiel mit Panter auch auf den Namen 2-Tone, zum anderen schufen sie mit den Graphikdesignern von Chrysalis eine Art Maskottchen für das Label: eine minimalistisch in Schwarz und Weiß gestaltete Figur namens Walt Jabsco, lässig wie elegant, mit Anzug, Krawatte, Hut und Sonnenbrille. Jabsco basierte auf einem Foto von Peter Tosh mit den Wailing Wailers, als diese – Bob Marley, Bunny Wailer und eben Tosh – Mitte der sechziger Jahre auf ihrem Debütalbum noch Ska spielten.
Vielfältige Einflüsse
Dammers wollte 2-Tone als Kollektiv, als co-op betreiben, zugleich war klar, dass er letztlich doch der Kopf des Labels war – bekanntlich ein Problem bei so manchen linken oder vermeintlich basisdemokratischen Initiativen; Konflikte waren programmiert. Neol Davies wiederum tat sich nach dem Erfolg der Split-Single mit weiteren Musikern aus der lokalen Szene in Coventry zusammen, von denen einige bereits als Hard Top 22 gemeinsam aufgetreten waren, und gründete The Selecter nun auch als richtige Band.
Pauline Black, die zuvor nur als Folk-Sängerin in Erscheinung getreten war, sollte neben Arthur »Gaps« Hendrickson (geboren auf der Karibikinsel St. Kitts) den Gesang übernehmen. Sie war in einer weißen Adoptivfamilie aufgewachsen. Ihr leiblicher Vater kam aus Nigeria und über ihre Mutter, die sie bereits als Teenagerin bekommen hatte, erfuhr Black erst viel später, dass es sich um eine jüdische Britin handelte. Wie schon bei den Specials trafen bei The Selecter sehr verschiedene Lebensläufe aufeinander: Hautfarbe, sozialer und kultureller Hintergrund unterschieden sich ebenso wie die Vielzahl von musikalischen Einflüssen.
Davies’ ungewöhnliche Komposition »On My Radio« – mit einem 7/4-Takt im Refrain – sollte die erste echte Selecter-Single werden, das gesellschaftskritische »Too Much Pressure« bildete die B-Seite. Wie schon bei den Specials und Madness war die Debütsingle so erfolgreich, dass die Gruppe in die arrivierte BBC-Fernsehshow »Top of the Pops« eingeladen wurde und dadurch ebenfalls sofort landesweite Bekanntheit erlangte. Im Unterschied zu Madness, die für ihr Debütalbum »One Step Beyond … « – das am selben Tag wie die Specials-LP erschien – bei Stiff Records unterschrieben, blieben The Selecter für ihren ersten Longplayer bei 2-Tone und die Bandmitglieder brachten sich auch immer mehr beim Label ein, zumindest für eine Weile. Madness aus London wollten hingegen mit ihrem selbst so getauften nutty sound ihr eigenes Ding machen. Doch zunächst gingen die Bands im Oktober 1979 gemeinsam auf Tour und wurden frenetisch gefeiert.
Der Thatcherismus
Die gesellschaftspolitische Lage in Großbritannien war derweil äußerst angespannt: Margaret Thatcher wurde im Mai 1979 Premierministerin und begann unverzüglich mit der Demontage des Sozialstaats, bekannt war sie auch für migrationsfeindliche Rhetorik und Kulturkonservatismus. 2-Tone stellte ein radikales Gegenprogramm dar: Toleranz, Gewaltfreiheit und solidarisches Miteinander, verkörpert durch die Zusammensetzung der Gruppen, Äußerungen der Bandmitglieder und erst recht durch die Songtexte der Specials, zum Beispiel die von »Concrete Jungle«, »Doesn’t Make It Alright«, »Rat Race« oder auch »A Message to You, Rudy«, der zweiten Single und ersten Zusammenarbeit der Band mit dem Posaunisten Rico Rodriguez sowie Dick Cuthell an der Trompete. In dem Coversong, ursprünglich von Dandy Livingstone, geht es darum, dass der rude boy Rudy sich mal zusammenreißen und mit Gewalt sowie Kriminalität aufhören soll, damit er nicht noch im Knast landet.
Bei den 2-Tone-Konzerten sah es im Publikum bisweilen aber anders aus. Die Frustration und Arbeitslosigkeit unter jungen Britinnen und Briten stärkte auch den rechten Rand, namentlich die National Front, die vermehrt bei jugendkulturellen Veranstaltungen neue Anhänger zu rekrutieren versuchte. Erst recht das modische Comeback der Skinhead-Bewegung im Zuge der zweiten Ska-Welle wurde von rechts vereinnahmt, und so mischten sich, aller politischen Klarheit der 2-Tone-Szene zum Trotz, immer wieder Nazi-Skins und Fußball-Hooligans unter das Publikum; es kam zu Schlägereien, bei Madness sogar noch mehr, obwohl auch diese zum Beispiel mit »Embarrassment« antirassistische Stücke im Repertoire hatte – mal ganz abgesehen davon, dass der gesamte Musikstil sich um 1960 aus dem jamaikanischen Mento und afroamerikanischem Rhythm ’n’ Blues entwickelt und von der Karibik aus seinen Weg ins Vereinigte Königreich gefunden hatte.
Doch solche Widersprüche haben rechte Agitatoren und ihre Anhänger noch nie interessiert. Der Spielfilm »This Is England« (2006) veranschaulicht diese Polarisierung jugendlicher politischer Identität, dieses »Which side are you on?« zwischen Sozialkritik und Nationalismus, zwischen Solidarität und Egoismus, zwischen Offenheit und Xenophobie hervorragend, obwohl dessen Handlung erst 1983 spielt.
Das britische Ska-Revival kulminierte am 8. November 1979, als alle drei Bands bei einer Ausgabe von »Top of the Pops« auf der Bühne standen, vor einem Fernsehpublikum von mehreren Millionen. Mit The Beat um den Songwriter Dave Wakeling und den charismatischen Sänger Ranking Roger stand zudem eine weitere Ska-Band in den Startlöchern und veröffentlichte ihre Debütsingle auf 2-Tone. Im Februar 1980 erschien dann das erste Album von The Selecter, »Too Much Pressure«, mit dem die Gruppe um Pauline Black zum 45jährigen Jubiläum derzeit auf Europatournee ist.
Erster Streit
Für Black war es anfänglich nicht leicht in dem männerdominierten und zum Teil sexistischen Umfeld: »Meistens hatte ich es mit respektvollen Typen zu tun, aber manchmal musste ich auch eine andere Seite kennenlernen. Es war zwiespältig.« Mit ihrer androgynen Coolness diente sie geradezu als Vorbild für andere Frauen, ein rude girl zu sein. Gemeinsam mit Davies und Dammers entdeckte sie die All-Girl-Formation The Bodysnatchers für 2-Tone, die sich allerdings nach zwei durchaus erfolgreichen Singles auflöste. Mit deren Sängerin Rhoda Dakar sollte Dammers später verstärkt zusammenarbeiten.
Bei den Aufnahmen und der Tour zum zweiten Album »More Specials« (1980) nahmen die Spannungen in der Band zu, vor allem zwischen dem Perfektionisten Dammers, der immer mehr die musikalische Richtung vorzugeben versuchte, und Byers, der sich dadurch zurückgesetzt fühlte, obwohl er mit »Rat Race« und »Hey, Little Rich Girl« zwei der besten Stücke zum Album beitrug, das insgesamt zerfahrener ausfiel als das Debüt. Dammers nahm verstärkt Easy-Listening-Elemente in sein Songwriting auf (so bei der Single »Stereotype«), während die LP gerahmt wird von Versionen des frühen Pop- und Ska-Standards »Enjoy Yourself (It’s Later Than You Think)«.
Bei The Selecter verlief es ähnlich. Zunächst wechselten sie von 2-Tone ganz zu Chrysalis, wo sie aber für ihren zweiten Longplayer »Celebrate the Bullet« (1981) kaum Unterstützung erfuhren, da mit den New Romantics (Gruppen wie Spandau Ballet und Ultravox) bereits der nächste jugendkulturelle Pop-Hype anstand, den die Plattenfirma vorrangig promoten wollte. Auch 2-Tone als gemeinsam betriebenem Label kehrten The Selecter damit den Rücken zu. Bandinterner Streit entstand hier zunächst vor allem zwischen Davies und den Bassisten Charley Anderson, der schon vor der LP-Veröffentlichung die Band verließ. 1982 löste sie sich dann komplett auf.
Letztes Konzert
Die Specials verabschiedeten sich dagegen ähnlich spektakulär, wie sie 1979 auf der Bildfläche erschienen waren, mit dem zeitlosen, düsteren Hit »Ghost Town« (veröffentlicht im Juni 1981) – ein Lied über Tristesse, Wut und Armut unter dem Thatcherismus, geschrieben von Jerry Dammers: »Das Land fiel auseinander. Um diesen Zustand der Nation ging es im Lied, und zugleich um den zerrütteten Zustand der Specials.« Der Song ist weit entfernt von einem gutgelaunten Ska-Stück, sondern orientiert sich an den basslastigen Dub-Produktionen von Sly and Robbie. Die lange Version von »Ghost Town« enthält zudem ein grandioses Posaunensolo von Rico Rodriguez. Hall, Staple, Golding und Dammers singen repetitiv im Chor: »This town is coming like a ghost town.« Und außerdem: »Bands don’t play no more, too much fighting on the dance floor.« Doch nicht nur vor der Bühne wurde gestritten, sondern ebenso in der Band.
Am 31. August 1981 spielten die Specials ihr letztes Konzert. Hall, Golding und Staple hatten bereits Monate zuvor entschieden, die Gruppe gemeinsam zu verlassen und eine neue Band zu gründen. Ihre Motive waren vielschichtig, es ging sowohl um kreative Aspekte als auch um die Verteilung der Tantiemen für die Songrechte, aber kurzum: Auch jenseits der Antipoden Dammers und Byers verstand sich die Band einfach nicht mehr. Und so gründeten die drei Ex-Specials die vom New Wave beeinflusste Popgruppe Fun Boy Three. Heutzutage ist die Band hierzulande leider nahezu vergessen, doch sie platzierte innerhalb von zwei Jahren immerhin sieben Singles in den Top 20 der britischen Charts.
Drastische Holocaustrelativierung
Dammers reformierte seine Gruppe als The Special AKA, doch von der alten Besetzung blieb außer ihm selbst nur Bradbury am Schlagzeug. Zunächst nahmen sie mit Rhoda Dakar das bemerkenswerte, zuvor unveröffentlichte Stück »The Boiler« der Bodysnatchers auf, in dem Dakar als Spoken-Word-Darbietung die Entwicklung eines netten Flirts zu einer brutalen Vergewaltigung beschreibt, über einem jazzigen Ska-Track. Das Stück war zum Zeitpunkt seines Erscheinens mit Sicherheit die radikalste Behandlung sexueller Gewalt in einer Popnummer, zumal Dakar am Ende des Songs über der relaxten Hintergrundmusik nur noch schreit. Radio und Fernsehen strahlten das Stück daher nur sehr begrenzt aus, aber als 2-Tone-Single No. 18 erreichte es immerhin Platz 35 der Charts sowie einige Jahresbestenlisten der englischen Musikpresse. Es ist zumindest ein Indiz, wie feministisch das Label um Dammers auch in Erscheinung trat.
Mit Dakar und The Special AKA veröffentlichte er 1984 gewissermaßen eine dritte Specials-Platte, »In the Studio«. 2-Tone war nahezu pleite, Chrysalis war sauer auf Dammers, weil die Produktion so langwierig und teuer geworden war, und schließlich verkaufte sich das Album nur mittelprächtig. Die erste Single »War Crimes« enthält die indiskutable Aussage zum Libanon-Krieg 1982, Israel habe in Beirut einen Genozid verübt und somit von den Toten in Bergen-Belsen nichts gelernt – eine drastische Holocaustrelativierung. Der Song floppte allerdings nicht (nur) aufgrund von Dammers‘ beim Thema Israel offenkundig mangelnder politisch-ethischer Urteilskraft. Der obskure und rumpelige 5/4-Takt und die lasche Dynamik des Lieds dürften mehr dazu beigetragen haben.
Am 31. August 1981 spielten die Specials ihr letztes Konzert. Hall, Golding und Staple hatten bereits Monate zuvor entschieden, die Gruppe gemeinsam zu verlassen und eine neue Band zu gründen.
Einen letzten großen Hit hatte er indes noch im Köcher: »(Free) Nelson Mandela« (1984) bildete einen Teil des Soundtracks für die weltweiten Proteste der folgenden Jahre, die Freilassung Mandelas 1990 und schließlich das Ende der Apartheid in Südafrika 1994. Dammers hatte für die überaus positiv gestimmte Uptempo-Nummer den Offbeat des Ska mit (west)afrikanischen Highlife-Elementen verschmolzen. Doch sowohl Special AKA als auch 2-Tone Records stellten nun langsam ihren Betrieb ein. Dammers trat fortan vermehrt als Veranstalter und Aktivist in Erscheinung, zum Beispiel als Organisator des Festival for Freedom 1986, und kaum noch als Musiker und Songwriter.
Als die Specials ab 2008 auf Reunion-Tournee gingen, war Dammers als einziger der siebenköpfigen Stammformation nicht mit von der Partie. Bevor Terry Hall 2022 an Krebs verstarb, sorgten sie mit »Encore« (2019) noch für ein erstaunlich starkes neues Specials-Album, mit Golding und Panter als dem harten Kern neben Hall. The Selecter gab es zeitweilig sogar in zweifacher Ausführung, da der frühere Hauptsongwriter Neol Davies mit seiner eigenen Truppe auftrat, während auch Black und Hendrickson als Selecter tourten. Nachdem Letzterer vor einem Jahr gestorben ist, finden sich in der heutigen Besetzung von The Selecter nur noch Pauline Black und Schlagzeuger Charley ›Aitch‹ Bembridge vom ursprünglichen Outfit.
Daniel Rachel: Too Much Too Young. The 2-Tone Records Story: Rude Boys, Racism and the Soundtrack of a Generation. White Rabbit Books, London 2024, 544 Seiten
Einziges Konzert von The Selecter in Deutschland: 6. Juni, Berlin (SO 36), inklusive Vorführung der Dokumentation »Pauline Black: A 2-Tone Story« (UK 2024). Regie: Jane Mingay. Buch: Pauline Black und Jane Mingay. Bisher nur beim britischen Streaming-Dienst Now verfügbar