05.06.2025
Der polnische Boxer Tadeusz Pietrzykowski überlebte mehrere KZ und gehörte dem Widerstand an

Boxen, um Auschwitz zu überleben

Der polnische Boxer Tadeusz Pietrzykowski überlebte mehrere KZ und hatte ein Attentat auf Rudolf Höß verübt.

Als Tadeusz Pietrzykowski am 8. April 1917 in Warschau geboren wurde, deutete alles darauf hin, dass er ein komfortables Leben führen würde. Sein Vater war als Ingenieur für die Warschauer Verkehrsbetriebe tätig und seine Mutter Lehrerin. Auch der Sohn sollte nach den Wünschen der Eltern später einen akademischen Beruf ergreifen und wurde daher auf ein prestigeträchtiges Gymnasium geschickt.

Zunächst fiel Tadeusz auch nicht durch besondere sportliche Begeisterung auf. Die erwachte in ihm erst, als er mit 18 seinen ersten Boxkampf sah. Etwas an dem Sport sprach ihn so sehr an, dass er im reifen Alter von 20 Jahren, und das ist nicht ironisch gemeint, einem Warschauer Boxclub beitrat, wo Feliks Stamm als Trainer arbeitete. Stamm gilt als Vater des polnischen Boxsports, entwickelte eine eigenständige polnische Boxtechnik und sollte später polnische Olympioniken coachen.

 »Ich wusste, ich muss eine gute Show für die deutschen Zuschauer liefern, aber ich hatte mir auch geschworen, dass durch meine Hand kein Jude sterben oder auch nur ernsthaft verletzt wird.« Tadeusz Pietrzykowski über seine Boxkämpfe in den KZ Auschwitz und Neuengamme

Stamm war aber vor allem auch polnischer Patriot und brachte Pietrzy­kowski nicht nur bei, wie man Schlägen auswich und diese austeilte, sondern vermittelte ihm die Zentralwerte des polnischen Nationalismus: »Gott, Ehre, Vaterland«. Stamm war aber kein Rechtsextremer, also versuchte er auch, seinen Schülern Prinzipien wie Fairness und Mitgefühl beizubringen.

Tadeusz Pietrzykowski war ein Boxer der Bantam-Gewichtsklasse, der zweitniedrigsten im Boxsport, in die Männer mit einem Körpergewicht zwischen 52 und 53,5 Kilogramm einsortiert werden. Von 1934 bis 1939 kämpfte er sich langsam, aber beständig an die polnische Spitze – und dann griffen die Deutschen an. Tadeusz meldete sich sofort als Freiwilliger und kämpfte im Regiment von Leutnant Janusz Łonicki. Den polnischen Verbänden gelang es einige Wochen, die Einnahme Warschaus aufzuhalten, aber Anfang Oktober war Polen besiegt und besetzt.

Pietrzykowski wollte sich der in Frankreich entstehenden polnischen Exilarmee anschließen, er schaffte es allerdings nur bis nach Pécs im Süden Ungarns. Was er nicht ahnte: Die Gestapo war ihm bereits auf den Fersen. In einem Roma-Camp, wo er übernachtete, überraschten ihn die Nazi-Schergen im Schlaf und brachten ihn zunächst ins Gefängnis von Tarnów. Von dort transportierte man ihn mit einigen der ersten politischen Gefangenen ins gerade fertiggestellte Konzentrationslager Auschwitz. Wie früh Pietrzy­kowski dort ankam, zeigt seine Häftlingsnummer: 77.

»Das Einzige, was ich anbieten konnte, war Boxen«

Zu ihrer Unterhaltung zwangen die deutschen KZ-Wärter Insassen dazu, gegeneinander zu kämpfen, und natürlich waren da vor allem Boxer beliebt, da davon ausgegangen wurde, dass diese eine gute »Schau« liefern würden. Pietrzykowski stieg erstmals 1941 in den provisorischen Ring von Auschwitz. Später sagte er: »Um im Lager zu überleben, musste ich mich beweisen. Ich hatte keinen Beruf, ich war für die Deutschen nutzlos. Das Einzige, was ich anbieten konnte, war Boxen.«

Sein erster Gegner war der deutsche Kapo Walter Düning, der den schwarzen Winkel trug, mit dem im deutschen KZ-System so genannte »Asoziale« oder »Berufsverbrecher« gekennzeichnet wurden. Düning überragte Pietrzykowski, aber der Bantam-Gewichtler zeigte, wie wichtig beim Boxen Technik ist, und schickte den körperlich überlegenen Deutschen auf die Bretter. Der besiegte Kapo rächte sich jedoch nicht für die Schmach, sondern freundete sich mit Pietrzykowski an, besorgte ihm sogar kleine Extrarationen an Essen und ließ ihn die Zwangsarbeit im Kuhstall verrichten.

Beides half Pietrzykowski, zu überleben – und Widerstand zu leisten. Tadeusz hatte nämlich keineswegs aufgegeben, sondern sich der polnischen Widerstandsgruppe ZOW (Związek Organizacji Wojskowej) des Offiziers Witold Pilecki angeschlossen. Pilecki hatte sich absichtlich gefangen nehmen lassen, um in Auschwitz den lagerinternen Widerstand aufbauen zu können.

Kampfname »Der Weiße Nebel«

Als Mitglied der ZOW gelang es dem Boxer beinahe, Rudolf Höß zu töten, den Kommandanten von Auschwitz-Birkenau. Pietrzykowski schnitt den Sattelgurt von Höß’ Pferd an in der Hoffnung, der Mann, der für den industriellen Mord an mindestens einer Million Menschen verantwortlich war, möge sich das Genick brechen. Höß brach sich bedauerlicherweise nur ein Bein. Immerhin schaffte es Petrzykowski, den Hund von Höß zu töten, den dieser zum Zerfleischen von Juden abgerichtet hatte.

Immer wieder jedoch musste Tadeusz in den Boxring. Allein in Auschwitz bestritt er, je nach Quelle, 40 bis 60 Kämpfe. Gesichert verloren hat er davon nur einen, und zwar gegen den niederländischen Profiboxer Leen Sanders. Die Nazis gaben Pietrzykowski bald den Kampfnamen »Der Weiße Nebel«, da er den Schlägen seiner Gegner so geschickt auswich. Viele seiner Opponenten im Boxring waren jedoch keine Freiwilligen und nicht einmal Männer mit Boxerfahrung, sondern oftmals Juden ohne jede Faustkampfpraxis. Die SS-Bewacher erhofften sich, Pietrzykowski würde diese zu ihrem sadistischen Vergnügen totprügeln.

Tadeusz jedoch spielte da nicht mit. Sobald er merkte, es mit einem Nichtboxer zu tun zu haben, änderte er seinen Kampfstil, so dass seine Gegner keine schweren Verwundungen davontragen würden. »Ich wusste, ich muss eine gute Show für die deutschen Zuschauer liefern, aber ich hatte mir auch geschworen, dass durch meine Hand kein Jude sterben oder auch nur ernsthaft verletzt wird«, sagte er Jahre danach in einem seiner seltenen Interviews. Gegen deutsche Kontrahenten legte Pietrzykowski diese Zurückhaltung ab und nicht wenige »Arier« verließen den Ring nach einer Begegnung mit dem »Weißen Nebel« mit ein paar Zähnen weniger.

Die Nazis hassten ihn

1943 wurde Pietrzykowski ins KZ Neuengamme transferiert, wo man ihn wieder zum Boxen zwang. Vor dem Abtransport brachte ihm sein allererster KZ-Boxgegner, Kapo Walter Düning, zwei Boxhandschuhe als Zeichen seines Respekts. Auch in Neuengamme blieb er ungeschlagen, selbst gegen weit schwerere Gegner. Die Nazis hassten ihn dafür. Viele Wärter, die auf Siege seiner jeweiligen Gegner wetteten, verloren schließlich immer wieder Geld. Die SS-Mannschaft von Neuengamme beschloss daher, Pietrzykowski zu ermorden. Zu seinem Glück wurde er kurz vor der Verwirklichung des Mordplans nach Salzgitter gebracht, wo er bis zum Ende des Krieges inhaftiert blieb.

Nach der Befreiung wollte Pietrzykowski seine Boxkarriere wiederaufnehmen, aber die Jahre in deutschen Konzentrationslagern hatten seine Gesundheit angegriffen. Er war nicht mehr fähig, professionelle Boxkämpfe durchzustehen. Im Prozess gegen Rudolf Höß in Warschau 1947 sagte er als Zeuge aus und beschrieb dort, wie Höß seinen Hund einen jüdischen Häftling hatte totbeißen lassen. Höß wurde am 16. April 1947 auf dem Gelände des Stammlagers Auschwitz am Galgen hingerichtet.

Im Prozess gegen Rudolf Höß in Warschau 1947 sagte Pietrzykowski als Zeuge aus und beschrieb dort, wie Höß seinen Hund einen jüdischen Häftling totbeißen ließ.

Pietrzykowski fand sich im Nachkriegspolen als Boxtrainer und Sportpädagoge zurecht und verstarb am 17. August 1991 in Warschau. Düning sah er nie wieder, obwohl er immer wieder versuchte, den ehemaligen Kapo zu finden. Auf der polnischen Geschichts-Website Histmag.org ist unter anderem eine Nachricht dokumentiert, die er an »Walter! Mein Lieber – alter Kämpfer!« zu schicken versucht hatte.

Zeitzeugen zufolge war Düning ein »anständiger Mann mit gutem Herzen«; 1944 wurde er in das SS-Sonderkommando »Dirlewanger« eingegliedert, das zahlreiche Kriegsverbrechen beging. 1955 wurde er aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen, heiratete und arbeitete im Ruhrgebiet als Schlosser. Düning starb 1990 in Gelsenkirchen.

Mehrere Romane, Sachbücher und Spielfilme griffen Tadeusz Pietrzykowskis Geschichte auf. Am bekanntesten davon sind wohl Józef Hens Buch »Der Boxer und der Tod« und der tschechoslowakische Film gleichen Namens des Regisseurs Peter Solan mit Manfred Krug in der Hauptrolle.