Orbán macht dicht
Auf Budapests Straßen wurde am Sonntag wieder demonstriert. Geprägt war das Bild vor allem durch die abgeklebten Münder der Demonstranten. Sie protestierten schweigend gegen ein Gesetzesvorhaben in Ungarn, das das Zeug dazu hat, die gesamte Opposition des Landes faktisch zu verbieten.
Das Gesetz trägt den unverdächtig klingenden Namen Transparenzgesetz, wird von der Opposition aber mit Verweis auf ein ähnliches Gesetz, das im autoritären Russland in Kraft ist, als Russland-Gesetz gebrandmarkt. Es sieht existenzvernichtende Geldstrafen für Organisationen vor, die Geld aus dem Ausland erhalten und mit ihrer Tätigkeit gegen Grundwerte der ungarischen Verfassung verstoßen. Der Gesetzentwurf wurde von der Regierungspartei Fidesz am 14. Mai ins Parlament eingebracht und könnte in wenigen Wochen beschlossen werden. Da Fidesz mit der zu ihrem Anhängsel und damit einer Scheinpartei verkommenen Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP) über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, steht einer Verabschiedung nichts im Weg.
Die Regierung schafft eine Grundlage dafür, aus dem hybriden Regime in Ungarn eine echte Diktatur zu machen.
Es wäre ein Gesetz, das eines waschechten autoritären Regimes würdig ist. Sollte es in Kraft treten, drohen Organisationen bei Verstoß Strafzahlungen in 25facher Höhe der Geldsumme, die sie aus dem Ausland erhalten haben. Die Art der Finanzierung ist im Gesetz nicht spezifiziert. Strafbare Zuwendungen könnten demnach sowohl Spenden als auch EU-Fördergelder sein. Wenn beispielsweise ein Online-Medium – die Printmedien sind weitgehend unter Regierungskontrolle – mit dem Verkauf von Abonnements an Auslandsungarn 100.000 Euro eingenommen oder für seine Arbeit einen Preis in dieser Höhe von einer gemeinnützigen Stiftung außerhalb Ungarns erhalten hat, kann es zur Zahlung von 2,5 Millionen Euro verurteilt werden. Solche Strafen könnte kein oppositionelles ungarisches Medium zahlen, denn anders als die Regimepresse erhält die Opposition kein Geld über Anzeigen staatlicher Firmen oder aus dubiosen Töpfen von Oligarchen.
Ob Organisationen Grundwerte der ungarischen Verfassung verletzen, die Fidesz 2011 in diese aufgenommen und seitdem immer wieder im Sinne der nationalkonservativen Ideologie der Partei erweitert hat, entscheidet zukünftig das Amt für die Verteidigung der nationalen Souveränität. Dieses wurde auf Grundlage des im Dezember 2023 verabschiedeten sogenannten Souveränitätsgesetzes Anfang 2024 eingerichtet, um Ungarns Souveränität gegen ausländische Einflüsse abzuschirmen.
Verfassungswert christliche Kultur
Die Befugnisse sind weitreichend: So darf das Amt nachrichtendienstliche Mittel und polizeiähnliche Ermittlungen gegen ungarische Staatsbürger einsetzen, wenn diese die Souveränität des Landes gefährden. Im Sinne des neuen Gesetzes könnte schon die Forderung nach gleichgeschlechtlicher Ehe oder der Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare gegen Grundwerte der ungarischen Verfassung verstoßen. Denn diese definiert die Ehe eindeutig als zweigeschlechtlich und wurde sogar, um ja keine Zweifel aufkommen zu lassen, um folgende Klarstellung erweitert: »Die Mutter ist eine Frau. Der Vater ist ein Mann.« Des Weiteren zählt zu den Verfassungswerten die Einheit und der Zusammenhalt aller Ungarn sowie die christliche Kultur.
Dass sich das Orbán-Regime immer mehr verhärtet, liegt wohl daran, dass es an Unterstützung in der Bevölkerung verliert. Seit Monaten liegt Fidesz in Umfragen eindeutig hinter der neuen konservativen Oppositionspartei Tisza des Fidesz-Aussteigers Péter Magyar. Mit dem neuen Gesetz können nicht nur NGOs, Medien und Unternehmen, sondern auch Parteien wirtschaftlich zerstört werden, solange ihnen nur ein Geldzufluss aus dem Ausland nachgewiesen werden kann und sie gegen die Grundwerte der restriktiven Verfassung verstoßen.
Da Tisza sich beim Thema LGBT zurückhält, wäre hier der Anlass für eine Bestrafung der Partei (manche fürchten sogar ein Verbot) wahrscheinlich deren Solidarität mit der Ukraine. So hat Regierungssprecher Zoltán Kovács das Transparenzgesetz bereits mit den Worten kommentiert, es sei »das beste Instrument gegen ukrainische Propaganda«. Das Orbán-Regime hat die bedrohte Ukraine mittlerweile zu einem seiner Erzfeinde hochstilisiert. Beide Länder werfen sich gegenseitig feindliche Geheimdiensttätigkeiten vor.
Ehemalige Oberbefehlshaber zum Landesverräter stilisiert
Orbán baut dabei den ehemaligen Oberbefehlshaber der ungarischen Streitkräfte, Romulusz Ruszin-Szendi, zum vermeintlichen Landesverräter auf. Der wurde seines Postens enthoben und fungiert nun als prominenter Berater von Tisza. Die regierungsnahe Presse wirft Ruszin-Szendi vor, auf Nato-Sitzungen nicht den ungarischen Standpunkt vertreten, sondern den Interessen der Ukraine gedient zu haben. Worauf sich die Vorwürfe genau beziehen, wurde nicht dargelegt.
Magyar hat mittlerweile die Befürchtung geäußert, dass Ruszin-Szendi demnächst verhaftet werden könnte – wegen angeblicher Verschwörung mit ukrainischen Spionen. Ruszin-Szendi bestreitet die Vorwürfe. Sollte es zu einer Inhaftierung kommen, wäre er wohl der erste echte politische Gefangene des Orbán-Regimes, insofern dem Offizier keine konventionelle Straftat vorgeworfen wird. Das wäre im Rahmen der EU eine gewaltige Grenzüberschreitung, vergleichbar nur mit ähnlichen Maßnahmen in der Türkei und Russland.
Mit dem Transparenzgesetz schafft die Regierung die Grundlage dafür, aus dem hybriden Regime in Ungarn eine echte Diktatur zu machen. Vielleicht entscheidet sich Orbán auch dafür, erst mal nur ein paar Online-Medien zu schließen, und damit für die Salamitaktik der schrittweisen Autoritarisierung, wie er sie bisher auch angewandt hat. Vielleicht geht Orbán nur so weit, sich einen weiteren unfairen Vorteil im Wahlkampf zu verschaffen – er könnte aber auch weiter gehen. Die kommenden Monate bis zur Parlamentswahl nächstes Frühjahr werden leider spannend.