Historikerinnen vor dem Kadi
Bewusst hatten Alina Bárbara López und Jenny Pantoja den Parque de la Libertad, den zentralen Platz von Matanzas, ausgewählt, um ihrer Kriminalisierung öffentlich zu widersprechen. In ihrer »Erklärung für die Würde und die Gerechtigkeit« wiesen die beiden Historikerinnen am 1. Juni die Anklage von Staatsanwältin Ana Lilian Caballero Arango zurück.
Die wirft den beiden in Kuba bekannten Intellektuellen vor, eine Beamtin angegriffen zu haben. »Atentado« (Angriff), heißt das in der Anklageschrift, Alina Barbara López muss sich zudem wegen desobediencia (Ungehorsam) und desacato (Missachtung) verantworten. Alina Bárbara López hat sich in den vergangenen Monaten gemeinsam mit ihrer Anwältin auf die Verhandlung vor Gericht vorbereitet.
»Ich lasse mich nicht einschüchtern und habe mich geweigert, eine Geldbuße zu akzeptieren, um das Verfahren einstellen zu lassen. Wir, Jenny und ich, sind von der Polizei attackiert worden, nicht umgekehrt. Sie haben uns sowohl unser Demonstrationsrecht als auch unser Recht, nach Havanna zu reisen, vorenthalten«, sagt die 59jährige linke Historikerin mit fester Stimme in ihrer Wohnung in der Plattenbausiedlung Reparto Armando Mestre, die zur Stadt Matanzas gehört.
Den beiden Wissenschaftlerinnen wird zur Last gelegt, eine Polizeibeamtin angegriffen und ihre Uniform sowie ihre künstliche Haarverlängerung beschädigt zu haben.
Am 18. Juni 2024 waren die beiden Wissenschaftlerinnen, die wegen ihrer kritischen analytischen Beiträge auf dem Portal La Joven Cuba landesweit bekannt sind, auf dem Weg nach Havanna. »Dort wollten wir an einer friedlichen Demonstration teilnehmen, was unser in der Verfassung verbrieftes Recht ist«, berichtet Alina Bárbara López. Für die 120 Kilometer lange Fahrt nach Havanna hatten die beiden einen Wagen angemietet, doch unterwegs hielt die Polizei sie an.
»Uns wurde die Weiterfahrt verboten, wir wurden geschlagen, gewaltsam in die Polizeiwagen verfrachtet und rund sechs Stunden festgehalten«, so López. Sie hat sich unmittelbar danach von Ärzten untersuchen lassen, genauso wie Jenny Pantoja – beide haben ihre Verletzungen, vor allem Hämatome, dokumentieren lassen.
Doch davon ist in der Anklageschrift nichts zu finden. Den beiden Wissenschaftlerinnen wird zur Last gelegt, die Polizeibeamtin María Juantorena Herrera angegriffen und sowohl ihre Uniform als auch ihre künstliche Haarverlängerung beschädigt zu haben. Vier Jahre Freiheitsentzug fordert die Anklage im Fall von López, drei Jahre für Pantoja; statt zu Gefängnisstrafen könnten die beiden auch zur Arbeit in einer Besserungsanstalt verurteilt werden, schlägt die Staatsanwaltschaft vor.
Die beiden streitbaren Frauen sind sowohl national als auch international durchaus bekannt und gut vernetzt. Bereits im Juli 2024 unterschrieben mehr als 200 Künstler:innen und Intellektuelle einen offenen Brief, der ein Ende der Repression gegen die beiden forderte. Auch die derzeit in den USA tagende Dachorganisation der Lateinamerika-Forschung (Lasa) hat das politisch motivierte Vorgehen von Polizei und Justiz gegen die beiden unbequemen Wissenschaftler:innen öffentlich verurteilt.
Internationale Aufmerksamkeit garantiert
So ist internationale Aufmerksamkeit, anders als bei anderen Prozessen in Kuba, diesmal garantiert. Zumal die beiden Akademiker:innen am 1. Juni in ihrer Erklärung klar machten, dass sie alle juristischen Optionen nutzen und einzig einen Freispruch von allen Anschuldigungen akzeptieren wollen. Sie würden eine Verurteilung zur Arbeit in einer staatlichen Besserungsanstalt nicht akzeptieren, so heißt es sinngemäß in der Erklärung vom 1. Juni.
Das findet in Kubas Kunst- und Intellektuellenszene Unterstützung, denn die zwei konsequenten Frauen berufen sich auf Rechte, die ihnen die Verfassung garantiert und die von der politischen Polizei verletzt werden. Ángel Santiesteban Prats, ein Schriftsteller aus Havanna, bezeichnet das Vorgehen der kubanischen Behörden als das einer Diktatur. »Für das offizielle Kuba sind die beiden und ihre konsequente Haltung eine Gefahr, weil sie ein Beispiel für andere sein könnten und eine neuerliche Protestwelle auslösen könnten«, so Santiesteban gegenüber der Jungle World.
Machtmissbrauchs des Systems
Das sieht auch der im New Yorker Exil lebende Enrique del Risco so, ein Komiker und Schriftsteller, der Mitte der neunziger Jahre die Insel verließ. »Das ist ein typischer Fall des Machtmissbrauchs des Systems gegen Kritiker:innen. Sie respektieren ihre eigenen Gesetze nicht, verletzten das Recht auf freie Meinungsäußerung«, meint Risco, der auch auf den Fall seines Freundes Jorge Fernández Era hinweist, der sich mit López und Pantoja solidarisiert hat. Mehrfach hat er in Havanna für die Verfassungsrechte demonstriert und steht deshalb nun unter Hausarrest.
Für Risco gibt es nur drei Möglichkeiten, wie der Prozess gegen die Historikerinnen enden könnte. »Exil und Ausbürgerung, Gefängnis oder die permanente staatliche Kriminalisierung der beiden Frauen«, das seien die Optionen, sollten die kubanischen Behörden nicht einen Rückzieher machen. Doch dafür sieht er derzeit keinerlei Indizien.