Wessis im Anmarsch
Als junge Neonazis im vergangenen Jahr CSD-Veranstaltungen angegriffen haben, war ein Sprechchor besonders beliebt: »Ost-Ost-Ostdeutschland«. Nachwuchsgruppen der Neonazis wie »Deutsche Jugend voran« oder »Jung und Stark« greifen freilich auch in westdeutschen Bundesländern an, vernetzen sich überregional – und skandieren, wenn sie dort auf die Straße gehen, eben »West-West-West-Deutschland«.
Der Think Tank Cemas hat im vergangenen Jahr Anti-CSD-Aufmärsche in 27 deutschen Städten dokumentiert, darunter waren zehn in Westdeutschland (ohne Berlin). Einen Schwerpunkt für derlei Aktivitäten bildete Nordrhein-Westfalen mit fünf entsprechenden Aufmärschen – unter anderem in Köln und Dortmund. Die größten Neonazi-Demonstrationen fanden allerdings im Osten statt. In Bautzen kamen rund 700 Rechtsextreme zusammen, in Görlitz, Leipzig, Zwickau und Magdeburg ungefähr 400.
Manches deutet darauf hin, dass die Nachwuchs-Neonazis sich im Westen in diesem Sommer noch reger zeigen könnten: Schon vor Beginn der CSD-Saison traten einschlägige Jungnazi-Gruppen aus dem Westen bei Demonstrationen in Erscheinung.
Manches deutet darauf hin, dass die Nachwuchs-Neonazis sich im Westen in diesem Sommer noch reger zeigen könnten.
Als Ende April mehrere Hundert Teilnehmende – unter ihnen »Querdenker« und Rechtsextreme – in verschiedenen deutschen Städten zusammenkamen, um unter dem Motto »Gemeinsam für Deutschland« (GfD) für umfassende Grenzkontrollen und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine zu demonstrieren, waren vielerorts auch die jungen Neonazis dabei. In Berlin führten Neonazis aus dem Umfeld von »Deutsche Jugend voran« (DJV) die GfD-Demonstration sogar an, berichtete die Monitoring-Stelle Democ. In Stuttgart nahm die Gruppe »Der Störtrupp« (DST) teil. Auch in Dortmund liefen junge Neonazis bei dem dortigen Ableger der Demonstration mit.
Besonders aktiv waren in diesem Frühjahr die Mitglieder von DST: Schon vor der GfD-Demonstration in Stuttgart nahmen Mitglieder, teils auch aus Süddeutschland, im Januar an einer Demonstration von Ferhat Sentürk in Aachen teil. Die war unter dem Motto »Für Recht und Ordnung, gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt« angemeldet. Sentürk hat mittlerweile verlauten lassen, er habe sich aus der rechtsextremen Szene zurückgezogen. Mitte Mai stellten DST-Mitglieder die Ordner bei einer Demonstration gegen ein linkes Jugendzentrum in Herford (Ostwestfalen). Auch eine Woche später, bei einer Demonstration für »Remigration« in Bielefeld, liefen DST-Mitglieder mit.
In Magdeburg trafen sich am 1. Juni Neonazis aus dem Westen, unter ihnen Daniel Kokott, der die Demonstration in Herford organisiert hat, mit ostdeutschen Gesinnungsgenossen zu einer GfD-Demonstration. Auch Mitglieder der Jungen Nationalisten, der Jugendorganisation von »Die Heimat« (ehemals NPD), waren zugegen.
»Active Clubs« in Nordrhein-Westfalen
In Berlin agieren Jungnazi-Gruppen wie DJV eher isoliert von anderen rechtsextremen Strukturen. Das scheint in Teilen der westdeutschen Neonazi-Szene anders zu sein. In Dortmund nahmen an der bereits erwähnten GfD-Demonstration Ende April rund 800 Personen teil. Nach Angaben des Portals Nordstadtblogger waren darunter etwa 50 bekannte Neonazis. Führende Kader wie Sascha Krolzig (Die Heimat) marschierten gemeinsam mit Nachwuchs-Neonazis.
Teilnehmer dieser Demonstration, Krolzig eingeschlossen, ließen sich auch bei der Demonstration in Herford blicken. Das DST-Mitglied Dino C. ist ein weiteres Beispiel für die Verbindungen zwischen älteren und jüngeren Neonazi-Strukturen. Er war Ordner bei der Veranstaltung in Herford und soll dem Portal Antifa-Info.net zufolge schon 2014 der rechtsextremen Hooligangruppe »Berserker Pforzheim« angehört und sich an den Demonstrationen von »Hooligans gegen Salafisten« (Hogesa) beteiligt haben.
Unterdessen gründen junge Neonazis neue Gruppen in Nordrhein-Westfalen: Die Sicherheitsbehörden zählen derzeit drei sogenannte »Active Clubs« – am Niederrhein und in Ostwestfalen. In diesen »Active Clubs« – die Bezeichnung prägte die US-amerikanische Alt-Right – sollen junge Rechte aus verschiedenen Teilen der Szene durch Kampfsport zusammengeführt werden.
»Auseinandersetzung zwischen rechten und linken Gruppen«
Wie zuletzt in Berlin greifen Neonazis auch im Westen vermehrt linke Orte an. So sollen in der Nacht auf den 30. Mai etwa 20 Neonazis die linke Kneipe »Hirsch-Q« in Dortmund angegriffen haben. Die Gruppe »beschädigte dabei die Eingangstür der Kneipe mit Schlagstöcken und Mobiliar der Außengastronomie«, berichtet die Antifa-Gruppe Mean Streets Dortmund. Zuvor sollen die Angreifenden ein offenes Treffen der Partei »Die Heimat« im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld besucht haben.
Der Angriff zeigt, dass sich die neue Neonazi-Generation offenbar kaum von der Polizei abschrecken lässt: Mean Streets Dortmund zufolge war der Neonazi Nico W. beteiligt. Dieser hatte erst Ende Mai in einer Instagram-Story geschrieben: »Ich bin soeben vom staatsschutz besucht worden Und habe eine gefärder Ansprache bekommen« (sic).
In Westdeutschland scheint man bislang nicht vollends zu erfassen, was damit auf einen zukommt – oder wie darauf zu reagieren wäre. Nach dem Angriff auf die »Hirsch-Q« berichteten die Ruhr-Nachrichten von einer »Auseinandersetzung zwischen rechten und linken Gruppen«.