12.06.2025
Die meisten Fußballfans interessieren sich kaum für den Sport

Fußball und Weltflucht

Podkowik Propaganda. Fußballfans interessieren sich meist gar nicht für Fußball, bei unserem Kolumnisten ist es umgekehrt. Sagt er.

Sich für Fußball zu interessieren hat den Vorteil, jederzeit unverfänglichen Small Talk führen zu können, ohne über Politik reden zu müssen. Die anderen Väter auf dem Spielplatz stellen für mich so beispielsweise eine geringere Bedrohung dar. Und seitdem mein HNO-Arzt mich im Wartezimmer ein 11 Freunde-Sonderheft lesen sah, möchte er mit mir nicht mehr über Donald Trump sprechen, sondern über den FC Schalke 04 lästern. Leider hat Schalke ja den Klassenerhalt geschafft.

Engagierte Sportmuffel

Zu meiner Bestürzung gerate ich gelegentlich an Leute, die zwar vorgeben, fußballinteressiert zu sein – doch dann geht es immer nur um Ultras und Fanfreundschaften, um »Fankultur« gar. Man mag »Traditionsvereine«, aber keine »Retortenclubs«, dauernd fällt das Wort »Kurve«, sogar Feuerwerkerei wird zum Thema. Derart engagierte Sportmuffel geben auch gerne Auskunft darüber, bei welchen Vereinen es besonders viele oder besonders wenige Nazi-Fans gibt.

Mir ist das alles egal, denn ich interessiere mich nicht für Fußballfans, sondern für Fußball. Ich schaue auf Youtube alte Spiele aus den Neunzigern an, lese Autobiographien von Fußballern, auch Bücher über Taktik, und ich habe eine Bundesligastecktabelle zu Hause. Aber natürlich würde ich mich niemals selbst sportlich betätigen.

Entscheidend ist, sich ausschließlich auf das Spiel zu konzentrieren und sämtliche gesellschaftspolitische oder politökonomische Dimensionen des – wie ich ihn nenne – Rasenballsports vollständig auszublenden.

Klar ist: Fußball wird im Fernsehen geschaut, nicht im Stadion. Und man darf niemals schlecht über die Kommentatoren reden. Es handelt sich bei diesem Hobby um eine angenehme Form der Weltflucht, die ich allen empfehlen kann, die sich nach geistiger Gesundheit sehnen und an den irren Verhältnissen nicht irre werden wollen. Entscheidend ist, sich ausschließlich auf das Spiel zu konzentrieren und sämtliche gesellschaftspolitische oder politökonomische Dimensionen des – wie ich ihn nenne – Rasenballsports vollständig auszublenden.

Franz Beckenbauer hat’s vorgemacht: 2022 hat er »nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen«, dafür wusste er 1990 die deutsche Nationalmannschaft folgendermaßen zum WM-Titel zu motivieren: »Geht’s raus, habt Spaß und spielt’s Fußball.« Gänsehaut!

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