»Um ehrlich zu sein, hatten wir keinen Plan«
Wie würden Sie die Arbeit Ihres Projekts beschreiben?
Die Hauptaufgabe unserer Organisation besteht darin, Menschen, die aus der Ostukraine kommen, zu empfangen und zu unterstützen, vor allem Ältere, Menschen mit Behinderung und alle Bedürftigen. Das reicht von grundlegenden Aufgaben wie der Hilfe beim Tragen von Habseligkeiten bis zur Suche nach Familienangehörigen im Ausland, der Wiederbeschaffung verlorener Dokumente und der Bereitstellung einer vorübergehenden Unterkunft. Außerdem stellen wir lebenswichtige Dinge wie Wasser, Lebensmittel und Hygieneartikel bereit, überweisen die Menschen bei Bedarf an Fachärzte und bieten psychologische Erstbetreuung an.
Was hat Sie dazu gebracht, dieses Projekt zu initiieren?
Als die russische Invasion in der Ukraine begann, war ich Medizinstudentin im letzten Semester. Ich erinnere mich noch genau an diesen Morgen – das Chaos auf den Straßen, die panischen Käufe von Medikamenten, Lebensmitteln und Treibstoff. Es fühlte sich an wie eine Szene aus einem apokalyptischen Film, aber es war unsere Realität.
»Angesichts des wachsenden Zustroms von Menschen wurde uns klar, dass der größte Bedarf am Bahnhof von Lwiw bestand, wo über 40.000 Menschen auf Evakuierungszüge warteten.«
Meine Familie beschloss, nicht zu fliehen, sondern zu bleiben und zu helfen. Am zweiten Tag der Invasion sammelten wir die wichtigsten Vorräte und suchten nach einem Ort, an dem wir freiwillig helfen konnten. Die nächsten zwei Tage verbrachte ich in der Fußballarena, organisierte eine Hotline und half bei der Koordination der Evakuierungen. Am dritten Tag kamen bereits große Gruppen von Evakuierten an – Patienten aus Krankenhäusern, Bewohner von Waisenhäusern. Meine Aufgabe war es, sie zu registrieren und in Busse ins Ausland zu verfrachten.
Angesichts des wachsenden Zustroms von Menschen wurde uns jedoch klar, dass der größte Bedarf am Bahnhof von Lwiw bestand, wo über 40.000 Menschen auf Evakuierungszüge warteten. Wir – damals vor allem Medizinstudenten – drängten uns durch die Menschenmenge und riefen: »Wir sind Freiwillige, bitte lasst uns durch!« Um ehrlich zu sein, hatten wir keinen Plan – nur einen Instinkt. Ich glaube, ich habe auch versucht, mich vor der Angst und der Ungewissheit zu retten, indem ich gehandelt habe.
Bei Ihnen arbeiten viele internationale Freiwillige mit. Welche Aufgaben haben sie, und was motiviert sie?
Im März 2022 trafen die ersten Freiwilligen aus Polen und Deutschland ein, und bis heute haben wir ein internationales Freiwilligennetzwerk. Die Freiwilligen sind das Fundament unserer Organisation. Bis heute waren über Tausend Freiwillige bei uns tätig, von denen jeder eine eigene Geschichte hat: Nuklearingenieure, Neurochirurgen, Bibliothekare, Sportler, Geschäftsleute, Studenten.
Stimmt es, dass Sie sich an den Notfallmaßnahmen im Falle russischer Luftangriffe beteiligen?
Ja, wir reagieren auf Luftangriffe, indem wir zu den betroffenen Orten reisen und provisorische Zelte aufstellen, in denen sich die Menschen ausruhen, ihre Telefone aufladen, Kontakt zu ihren Familien aufnehmen, Wasser trinken und medizinische und psychologische Hilfe erhalten können.
»In der Oblast Lwiw leben derzeit rund 400.000 Binnenvertriebene.«
Wie ist derzeit die Situation der Binnenvertriebenen?
Die Zahl der Ankommenden ist zwar zurückgegangen, aber es kommen immer noch Menschen an, deren Häuser kürzlich zerstört wurden oder die Angehörige verloren haben. Etwa sieben Millionen Menschen sind bereits vertrieben worden. In der Oblast Lwiw leben derzeit rund 400.000 Binnenvertriebene.
Wie geht es Ihnen mit dieser Arbeit?
Man würde erwarten, dass es mit der Zeit leichter wird, aber in Wirklichkeit ist es schwieriger geworden. Es ist emotional verheerend, Menschen zu unterstützen, die alles verloren haben.